Das ist die Höhe: Mit dem BMW M5 auf der Wiener Höhenstraße

10. März 2016
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2012 ließen wir zwei Ikonen effektvoll aufeinandertreffen: Die Wiener Höhenstraße mit ihren Kehren, ihrem handgesetzten Kopfsteinpflaster und dem traumhaften Blick, und den BMW M5 in aktueller Version. Also mit Turbo-V8. Das Ergebnis lest ihr hier:

Foto: Robert May - Veršffentlichung mit Credit: Robert May, Veršffentlichung ausschlie§lich mit schriftlicher Genehmigung! Honorar nach vorheriger Vereinbarung!Tausendfünfhundert Umdrehungen reichen völlig, dann kommt der M schon quer. Ganz leicht und zaghaft, wenn’s feucht ist – so rutschig ist das Kopfsteinpflaster hier oben. Und so viel Kraft hat der V8 bereits auf der untersten Drehzahlkellerstufe an die hilflosen Hinterräder zu verteilen. Spätestens bei der zweite Kurve wird klar: Die alte Höhenstraße und der neue M5 werden ordentlich raufen. Und der Fahrer kommt sich als Vermittler zwischen bayerischer Urgewalt und Wiener Schmierigkeit etwas verloren vor.

Tatsächlich ist es eine Kunst, hier einen 560 PS-Biturbo-Bomber kühlen Gemüts hochzuscheuchen. Der Belag ist glitschig und holpring, die Strecke wellig und ausgewaschen, manch Kurve unübersichtlich. Wie passend, dass beim Spaten­stich im Mai 1934 der damalige Kanzler Dollfuß von der Kunststraße sprach. Die Entstehung der Höhenstraße liegt aber noch viel weiter zurück.

Im Mai 1904 legte Bürgermeister Karl Lueger den organisatorischen Grundstein für die Errichtung einer „aussichtsreichen, mit Baumreihen versehenen Hochstraße“. Weil Wien damals schon Wien war, dauerte es Jahre, bis das Stadtbauamt mit der Fertigung begann. 1909 war es schließlich soweit. Die „staubfreie Automo­bilstraße“ führte nicht nur Motoristen auf den Wiener Hausberg, bereits damals schupften Linienbusse Ausflügler von Heurigenort Grinzing hinauf zum Kobenzl. Das chronisch überlastete Stadtbudget (wie gesagt: Wien bleibt Wien) verhinderte weitere Ausbau­pläne. Und die gingen in den Wirren des ersten Weltkriegs sowie der rapiden Inflation in den 20er-Jahren endgültig den Bach runter.

 

Erst 1932 kam wieder Bewegung in die Angelegenheit, und das als willkommene Maßnahme gegen die Massenarbeitslosigkeit. Bis zu 600 Arbeiter klopften Stein für Stein in den Waldboden, und zwar in erstaunlich schneller Manier. Bereits 1935 war der Abschnitt Cobenzl-Kahlenberg fertig, 1936 reichte die Route schon bis zum Leopoldsberg, 1938 nach Neuwaldegg und als finales Stück 1940 hinab nach Klosterneuburg. Ein harmonisches Geschlängel durch den Wienerwald, fein untergliedert in verwunschene Waldpassagen und Schikanen mit fast schon malerischem Blick hinab auf die Hauptstadt.

Das musste natürlich gefeiert werden. Und wie es sich für die finsterste Zeit unserer Geschichte gehörte, wurden neue Straßen mit einem Rennen eingeweiht. Auto Union und Mercedes ballerten zur Feier mit ihren Kompressor-Monstern Richtung Kahlenberg, die Zuschauer standen weitgehend ohne Absperrung und unter perfekt inszenierter Hakenkreuz-Szenerie am Streckenrand. Unglaublich, dass die Höhen­straße die Wirren des letzten dreiviertel Jahrhunderts bis heute praktisch ohne Veränderung überdauert hat.

Ebenso unglaublich ist es, dass die Leistung eines High End-Rennwagens von damals heute in einer zivilen Limousine steckt. Und das so kultiviert, dass Nuvolari & Co vor Neid lange Zähne bekommen würden. Irgendwie haben es die Jungs von der M GmbH geschafft, dem doppelt zwangsbeatmeten V8 nur die Vorzüge einer Turbo­aufladung anzuzüchten. Es gibt also Schub im Überfluss, immer und bei jeder Gas­pedal-Stellung. Von einem Turboloch spüren auch die sensibelsten Sinne nichts, was die Sache erst so richtig spannend macht.

 

Wir haben hier eine Limousine, die vor lauter Kraft kaum fahren kann. Die sich aber in Anbetracht dieses süßen Wahn­sinns – es ist tatsächlich möglich, das ESP bis über 200 km/h regeln zu lassen – spiele­risch schnell bewegen lässt: Lenkung, Fahrwerk und Bremsen arbeiten in alter M-Tradition so feinfühlig und exakt, dass sich die Brutalo-Limo bei weitem nicht nach knapp zwei Tonnen anfühlt. Der Über-Fünfer ist perfekt ausbalanciert und scheint sich tatsächlich dann am wohlsten zu fühlen, wenn die Hinterachse mit einer gesunden Portion Schlupf die Lenkarbeit von den Vorder­rädern übernimmt.

Das schreit natürlich nach einer Rennstrecke, und rein theoretisch würde die Höhen­straße auch eine wunderbare Piste abgeben. Schnelle und langsame Kurven paaren sich mit Kuppen und Geraden. Es gäbe sogar die ein oder andere Überhol­möglichkeit, und die Boxengasse käme problemlos auf dem großen Parkplatz am Kahlenberg unter. Die Idee, hier Rennen zu fahren, lag also auf der Hand und rettete sich über die Kriegswirren in die verspielte Nachkriegszeit. Anfangs noch offiziell, in der Neuzeit dann aber nur mehr als nächtliche Spiel­wiese zahlloser Generationen von Führer­schein-Neulingen von Lauda bis Pospisil. Wie schnell eine Nacht gewesen war, erkannte der Kenner lange Jahre an den abgeflogenen Wracks am Wegesrand. Handyempfang gibt es hier oben zum Teil immer noch nicht, im Falle eines Unfalls bleibt man also weiterhin auf sich allein gestellt.

 

Foto: Robert May - Veršffentlichung mit Credit: Robert May, Veršffentlichung ausschlie§lich mit schriftlicher Genehmigung! Honorar nach vorheriger Vereinbarung!Das alles kratzt den neuen M5 nicht, er ist im niederregulierten Alltag mit der Höhenstraße im speziellen und den vorherrschenden Tempolimits im allgemeinen maßlos unterfordert. Doch es ist wohl das Schicksal von Super­lativen, die Frage nach der Sinnhaftigkeit aufzuwerfen. Was nutzt ein Auto, das sich auf der Rennpiste pudelwohl fühlt, im Alltagsverkehr aber teilweise so unbeholfen agiert wie ein flügellahmer Adler. Überholmanöver bei regennasser Fahrbahn und ein­geschaltetem ESP werden durch die Zwangs-Drosselung ungewollt spannend. Und das Erlebnis, von Vierzylinder-Dieseln hergebastelt zu werden, nur weil die keine Traktions-Probleme haben, ist wirklich demütigend.

Der M5 ist ein Statement des verlockenden Irrsinns, der schonungslos die Grenzen des Machbaren aufzeigt. Hier gibt es definitiv zu viel des Guten – meinen zumindest die Hinterreifen. Wobei die Höhenstraße für den Brutalo-BMW definitiv das falsche Pflaster ist. Da drängt sich vielmehr der kommende M 550d xDrive auf – dessen 740 Newtonmeter aus einem sparsamen Dreiliter-Diesel werden dank Allrad souverän auf die Straße gebracht. Nur halt ohne den Reiz des unvernünftigen Überflusses.