Exklusiv: Rendezvous mit der Citroën Dyane

19. Mai 2017
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Holiday in Afghanistan? Eine englische Werbung pries so das Reisetalent der Citroen Dyane. Vierzig Jahre danach würde das Marketinglisch eine „Premium-Ente für Individualisten“ ausloben, eine DS2 mit Zweizylinder-Umweltschutzmotor. „Übergangsmodell zwischen 2CV und Ami 6“ stellte 1977 eine Werkspublikation klar. Dieser Übergang, der kam nie: Die Ente überlebte die Dyane um sieben Jahre, den Kastenwagen ­Acadiane um drei. Unter Vogelfreunden genießt diese Edel-Ente seit 1967 einen ähnlich stiefmütterlichen Status wie seit 1968 der R6 bei Renault, seit 1971 der SLC bei Mercedes oder seit 1977 der 928 bei Porsche. Das macht ihn nur noch interessanter, diesen schönen Schwan mit der Werksbezeichnung AYA – aha!

Die Ente, speziell ihre zweifarbige „Charleston“-Parodie, erfreute sich in Österreich und Deutschland ungewohnter Lieferfristen. Die Dyane blieb eine rare Erscheinung: Wer was Schräges suchte, nahm gleich den 2CV. Nach Ablösung der Kasten-Ente durch die Acadiane 1978 kam es fallweise sogar zum Rückbau auf Enten-­Vorbau, wozu sich die vorderen Kotflügel abschrauben lassen – ­eine Tierquälerei. Ganz anders dagegen die figurbewussten Italiener: Bei ihnen kam die Dyane als Elegantente stets viel besser an als der „Due Cavalli“. Mehr Dyane als 2CV entstanden nur 1968/69, also in den beiden Volljahren nach der Vor­stel­lung. Doch Citroën erholte sich dank Dyane und Ami 6 vom R4-Schock: Renault bot seit 1961 eine substanziellere Karosserie mit Heckklappe und vier Zylinder samt Wasser­heizung, 1968 ergänzt um den R6. Citroën hatte bis 1961 zwischen dem asketischen 2CV und den luxuriösen ID/DS nur den Wellblechdosen-Laster HY, ehe die Riesen-Ente Ami 6 die Zulassungsstatistik aufmischte.

Geflügellahm. Stromliniente mit cw-Beiwert 0,41 statt 0,51 beim 2CV – wenn das Dach geschlossen bleibt. In der Spitze notierten Stuttgarter Kollegen 1978 und 1981 trotz dreier PS mehr in der Dyane keinen Unterschied, wohl aber in der Tempozunahme – von Beschleunigung zu schwärmen, das wäre arglistige Übertreibung.

Geflügellahm. Stromliniente mit cw-Beiwert 0,41 statt 0,51 beim 2CV – wenn das Dach geschlossen bleibt. In der Spitze notierten Stuttgarter Kollegen 1978 und 1981 trotz dreier PS mehr in der Dyane keinen Unterschied, wohl aber in der Tempozunahme – von Beschleunigung zu schwärmen, das wäre arglistige Übertreibung.

Der Dyane gelang 16 Jahre lang das Kunststück, billigster Viertürer, billigstes Cabrio und billigster Kombi zugleich zu sein. Bei Einführung im Herbst 1967 kostete die Ente 32.400 Schilling, die Dyane Luxe ohne Radkappen 36.950, als Confort 39.800 Schilling – in der Nachbarschaft von Mini 850 Countryman, Ford ­Anglia Kombi, Daffodil 33 Kombi und Simca 1000. Drei bis vier Tausender billiger waren Skoda MB 1000 und VW 1200, auch der Nationalmatador Steyr-Puch 700 C mit gebläseverkühltem Zwei­zylinder-Boxer, wie ihn auch der kleine Daf hatte und eben die Citroënten. Was Verkaufsprobleme era­hnen lässt: 1971 galt für 2CV 6 und ­Dyane Luxe derselbe Preis von 37.900 Schilling; um 39.600 gab es einen „Confort Targa“ (wohl dem Rolldach geschuldet), um weitere drei Hunderter „Confort Stoff“ mit weniger schweißtreibenden Sitzen. Bestverkaufter Jahr­gang: 1974 – die Benzinkrise. 1982, im Geburtsjahr unseres Fotomodells, entstanden 36.054 Dyane und 27.960 Acadiane, neben 86.060 2CV. Bei uns fanden damals 1500 Enten im Jahr ihren Pflegeplatz. In Villach schnattert heute noch eine Dyane auf schwarzen Kennzeichen; ihr ausliefernder Händler ­Willi Lindner warf nach 45 Jahren das Handtuch auf das Halsabschneider-Geschäft mit Neuwagen, fährt aber privat nach wie vor – ­Ente, nicht Dyane.

Was hat die Dyane, was die Ente nicht hat? Größere Scheiben und eine Heckklappe. Schiebefenster vorn (wie der Mini bis 1969) statt Klappfenster, die immer wieder aufs Unterarm-Toupet fallen. Kurbelscheiben vorne und Schiebefenster hinten gab es 1981 in zwei Sonderserien für Spanien („Edelweiss“ in Blaumetallic, 750 Stück) und Frank­reich („Argent“ in Silber, 50 rare Exemplare). ­Andere Sondermodelle hießen „Cote d´Azur“ (England 1982/83 in Weiß/Blau), „Dyanissima“ (Portugal), „Capra“ (Italien und Spa­nien 1981, Mimosengelb). Bei uns fiel die „Caban“ von April 1977 auf, in Violettblau mit Weiß für Dekorstreifen, Dach und Räder, mit Sitzbezügen in Pepita-Muster. Auflage 1500 Stück – wer so ­eine Dyane sieht, darf sich was wünschen!

Raumgefühl wie im Mercedes Puch G. Spurenele­-mente von Luxus: Einspeichen-Volant, Schiebe- fenster, Aschenbecher mit Deckel – approbiert für Gauloises & Gitanes. Wer diesen Entenstall für rustikal hält, saß nie im 2CV. Einzelsitze mit Textil- bezug haben gemeinere Enten auch nicht, dort rutscht man verschwitzt auf echtem Kunstplastik.

Raumgefühl wie im Mercedes Puch G. Spurenele­-mente von Luxus: Einspeichen-Volant, Schiebefenster, Aschenbecher mit Deckel – approbiert für Gauloises & Gitanes. Wer diesen Entenstall für rustikal hält, saß nie im 2CV. Einzelsitze mit Textilbezug haben gemeinere Enten auch nicht, dort rutscht man verschwitzt auf echtem Kunstplastik.

Die Rückbank könnte man umlegen oder herausheben, längs darunter passen vier mal zwei Langlaufski. Das Ersatzrad findet auch vorne über dem Antrieb Platz, was die Illusion eines Motorraum-Airbags schafft. Passive Sicherheit ist ein verwundbarer Punkt aller Enten. Aktive Sicherheit weit besser als bei allen Heckmotorgeplagten ihrer Zeit: eklatant mehr Straßenlage als Leistung, dank eines windelweichen Fahrwerks, das zum Nichtumfallen kein ESP braucht.

Wimmern beim Anlassen. Die Billardkugel am Drehschiebestangerl rechts vom Volant, auch genannt Revolver-Schaltung (und das im Einsatzwagen der Friedensbewegten!), sie erwischt den Ersten links hinten und den Vierten rechts vorn, die Gänge zwei und drei in der imaginierten Ebene dazwischen. Beim Einkuppeln setzt die Dyane vehement zu einem Satz an, ehe sie der Novize abwürgt. Hell heult das Kühlgebläse, als gelte es, die Dyane durch die boden­nahe Luftschicht zu saugen. Enten-Treter halten Schalten unter 7000 für sinnlos. Anders in der Dyane 6 mit Verdichtung 9,1 statt 8,5 und An­sätzen von Durchzugswillen. 2CV beschleunigen nicht, sie werden langsam schneller. Auch die stärkste Dyane spürt Steigungen, lange bevor sie ihr Probefahrer ohne Was­ser­waage erkennt. Es gilt, Schwung aufzubauen und weit vorausschauend einzusetzen. Wozu dann überhaupt die Scheibenbremsen vorn seit 1977? Sie mindern die Wartungs­kosten beim Bremsbelag-Wechsel drama­tisch – wo gibt es das noch im Autobau?

„Ihr Auto gefällt mir auch nicht!“ Heckklappe und greifbare Türgriffe unterscheiden die Dyane vom 2CV. Die Vorderräder schneiden mit steilem Nachlaufwinkel in die Kurve. Endlose Federwege dank Schraubenfedern entlang der Schweller meistern jeden Elchtest mit Maximalkomfort.

„Ihr Auto gefällt mir auch nicht!“ Heckklappe und greifbare Türgriffe unterscheiden die Dyane vom 2CV. Die Vorderräder schneiden mit steilem Nachlaufwinkel in die Kurve. Endlose Federwege dank Schraubenfedern entlang der Schweller meistern jeden Elchtest mit Maximalkomfort.

Der Boxermotor hat einen Ölkühler, aber keinen Zündverteiler. Deshalb zündet er wie eine Harley auch im Auspufftakt – alte Meister sprechen vom „vergeudeten Funken“. Der 435 Kubik-­Motor der Dyane 4 muss für 23 PS auf 7000 drehen, leidet dabei unter schwachen Pleuel. Die sind ungeteilt wie im Fuhrmann-Carrera-Motor der Porsche 356, 550 oder 718. Der 602-Kubikler mit 32 PS hält ewig. Sollte trotzdem ein Motortausch locken, könnte man sich ­einen Vollalu-„Big Block“ ohne Laufbüchsen mit 652 Kubik und 34 bis 37 PS aus LN oder Visa überlegen. Mehr Durchzugskraft schadet jedenfalls nicht, ohne mit solch einer „Dyane 6.5“ das Konzept zu überdehnen.

Sitzhöhe wie in einem kleinen SUV. Einspeichen-Lenkrad, groß genug für dreieinhalb handfeste Umdrehungen. Fühlen die sich in Kurven ungleichmäßig schwergängig an, deutet dies auf Rostschäden im Bodenrahmen hin. Den kann man tauschen gegen ein verzinktes Neuteil. Aufwändiger zu kurieren ist Rost im Aufbau. Nur eine Entenweisheit: beste Blechqualität bei den Jahrgängen 1970 bis 1972, ab 1973 markant schlechter, speziell in hellgrünem Lackkleid. Mehr als 40 Jahre später ist sehr viel mehr verrostet und so manches restauriert. Wie unser Fotomodell.

Neigungsgruppe Straßenlage. Kippt trotz Nackenhaar sträubender Seitenneigung auch in schärfsten Kurven nicht um, solange keine Bordsteinkante vor die Radflanken gerät. Dieses elastische Stabilitäts-Programm ESP mit laaaaaangen Federwegen dank Schrauben­federn entlang der Schweller und rundum unabhängig geführter Räder – das hätte sich Mercedes abschauen dürfen für die erste A-Klasse, die in mancher Hinsicht wie eine Neuinter­pretation der Dyane anmutet. Im Regen wie auf Neuschnee lässt dieser Citroën mit der Traktion seiner 135er-Asphaltschneider und 15 Zentimetern Bauchfreiheit so manchen Quattromaticwixdrive arg affektiert aussehen.

Der „Turbolader“ im dunklen Gehäuse oben rechts bläst durch einen Vergaser in zwei Leichtmetall-Zylinder ohne Kopfdichtungen – wenn alle Dichtungen im Kopf des Dichters durchbrennen. Ernsthaft: ein kleines Großmeisterwerk von radikaler Einfachheit. Tief unten, am Ausgang der Antriebswellen, zwei innen drehende Bremsscheiben wie im Lotus 72 von Jochen Rindt­.

Der „Turbolader“ im dunklen Gehäuse oben rechts bläst durch einen Vergaser in zwei Leichtmetall-Zylinder ohne Kopfdichtungen – wenn alle Dichtungen im Kopf des Dichters durchbrennen. Ernsthaft: ein kleines Großmeisterwerk von radikaler Einfachheit. Tief unten, am Ausgang der Antriebswellen, zwei innen drehende Bremsscheiben wie im Lotus 72 von Jochen Rindt­.

Die Dyane ist auch deshalb ein Renner, weil eine ihrer ­Wiegen in Rennes stand, neben Werken in Belgien, Spanien und Portugal. Tomos in Koper an der Adria baute die „Diana“, und im Iran gab es sogar einen Pick-up der mit „Löwe“ übersetzten „Jyane“. Testwerte mit 32 PS in „auto motor sport“ von Mai 1978, gemessen von ­Enten-Halter Klaus Westrup: Sprint auf 100 in 35,1 Sekunden, ­Spitze 116,9 km/h. Haargenau 117 schaffte 1981 die Charleston-Ente mit 29 PS; auf 100 vergingen aber 41,8 Sekunden, trotz einem Kilo Mindergewicht. Ein 2CV 4 mit 23 PS genehmigte sich 67,2 Sekunden – und ließ es bei Tempo 100,6 überhaupt bewenden.

Schrott in Frankreich. Dort überwiegt im Enten-Angebot „viel billiger Rost“, berichtet unser Leser Eric Antoni. Entrostete ­Dyanen kosten aus Privathand 6000 bis 8000 Euro, nach oben bleibt noch Luft für außergewöhnliche Exemplare, etwa aus den mittleren 70ern mit Popart-Sitzbezügen in Bambusgrüntürkis. Franzosen wie Eric spotten die bei uns so beliebte Charleston-Ente als „Gimmick – so was kaufen nur Ausländer, die für frankophil gehalten werden wollen“. Das kann mit einer Dyane nicht passieren. ­Deren ­Halter seien „oft die originelleren Typen“ unter den Enten-Freunden. Und ganz merkwürdige­r­weise auch weniger arg vom Hang zum anderen Geschlecht geplagt. Macht Hetero-Mann mit einer Dyane 6 einen Stich bei den Frauen? Das könnte er an Autostopper­in­nen erproben: Den arg versteckten Türöffner innen findet nicht so bald eine.

Raison d’être Dyane? „Eine Ente mit Beilagen, die sich bemüht, wie ein richtiges Auto auszusehen“ (Klaus Westrup). Für individuellere Individualisten, denen zu viele Enten herumfahren. Die auch im Konsumüberdruss ein schönes Auto fahren wollen. Jedem, der daran zweifelt, dem hilft ein Aufkleber für die Heckklappe, gesehen 1982 bei einem Ententreffen: „Ihr Auto gefällt mir auch nicht!“