Exklusiv: Porsche 924 Carrera GT

24. August 2016
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klassik_porsche924_carrera_gt_04_may“Mit dem 924 ist man Jahre früher am Ziel, einen Porsche zu fahren“. Die Abkürzung zum Präfix männlicher Lebensplanung ist nur eine der griffigen Modell-Botschaften, die der ehemalige Werbeleiter Georg Ledert nach wie vor im Köcher hat. In den 70er und 80er Jahren war er mindestens so gefordert wie seine Technik-Kollegen. Die stellten für Porsche ein rundum neues Automobilkonzept auf die Räder – und Ledert musste es dem Markt schmackhaft machen. Keine leichte Aufgabe: Die 911er-Fraktion ging zwangsneurotisch auf Distanz zu allem, was keinen luftgekühlten Sechszylinder-Boxer im Heck hatte. Um genau diesen Geburtsfehler ging es aber bei der Entscheidung zur zweiten Modelllinie – unter anderem.

1972 beauftragt Volkswagen Porsche mit der Entwicklung eines Nachfolgers für den unter gemeinsamem Namen vermarkteten Einstiegs-Sportler 914. Zwecks günstiger Herstellung unter der Auflage möglichst großer Teilegleichheit mit den modernen Audi-Baureihen – im Detail bedeutet das vorallem: wassergekühlter Vierzylinder-Front­motor. 1974 ist Entwicklungsarbeit, kurz EA Nr. 425, fast serienreif, als Volks­wagen das Projekt doch noch kippt. Die Benzinkrise steckt allen in den Knochen, aber auch sonst hängt in Wolfsburg der Haussegen schief – etwa so schief, wie die Bilanzkurve abwärts zeigt. Die Idee, die Welt bis ans Ende aller Tage mit Käfern zu beliefern, war vielleicht doch nicht so nachhaltig wie gedacht – das Krabbeltier ist mindestens seit Mitte der 60er Jahre ein dringender Ablösefall, der immer wieder verschoben wird. Der alle bisherigen VW-Dogmen über Bord werfende Golf ist ein Sprung ins kalte Wasser – wer weiß schon, ob den überhaupt jemand kaufen wird? Kurz: Für ein Sportwagen-Projekt zum Lückenschluss mit Porsche fehlt der Mut.

 

In Zuffenhausen ist die Stimmung derweil auch nur unwesentlich besser. Der 911 wird tatsächlich als nicht mehr entwicklungsfähig angesehen. Bei niedlichen 230 PS ist damals Schluss, und mehr als sechs Zylinder traut man sich auch nicht in den Käfer-Ableger zu stopfen. Bei Ferrari, Lamborghini und Maserati treten damals schon an die 400 Hengste an, zwölf Zylinder gelten als respektable Bestückung, acht als Mindesterwartung. Und knackige Einstiegsdrogen ins Sportwagen-Universum haben die sämtlich auch noch im Talon. Porsche ist drauf und dran, nach unten und oben den Anschluss zu verlieren – und kauft als Gegenmittel EA425 kurzerhand wieder zurück, bringt das Projekt selbst zur Serienreife und auf die Straße.

Bis er die sieht, ist der etwas pummelige Prototyp zum schlanken Keil mit gefälligen Proportionen gereift. Das Design des 924 hebt sich von der 911-Linie bewusst ab – mit der Technik darunter will Porsche einen Generationswechsel einleiten und gegen die italienische Mittelmotor-Konkurrenz mit neuen Qualitäten punkten. Transaxle, also die optimierte Gewichtsverteilung durch Motor vorne und Getriebe an der Hinterachse, ermöglicht souveränes Fahrverhalten schon bei überschaubaren Motorleistungen. Und ist gut für saftige Power-Updates. Vorerst muss die frohe Botschaft aber einmal ankommen. Werbe-Chef Ledert rückt den Familiengedanken in den Vordergrund: „Ein guter Stall ist entscheidend“ oder „Familienausflug“ betitelte Plakate zeigen den 924 stets gemeinsam mit einem 911. Fotografiert wird meist an den freien Wochenenden, die Modells sind Verwandte, das Honorar der Ausflug selbst. Nebenbei erfindet Ledert auch noch eine Argumentation, die Porsche bis heute begleitet: die der Alltagstauglichkeit. Bis dahin hätte die einem Sportwagen niemand angedichtet. Zurecht – der 911 von damals war eine feine, aber mäßig bequeme und ebenso unpraktische wie reichlich unwirtschaftliche Heckschleuder ohne Stauraum.

 

Der 924 hatte alles: Komfort, Sicherheit, einen ansehnlichen Kofferraum und günstige Verbrauchswerte. Und leider auch nur zierliche 125 PS. Was damals aber bei weitem nicht so minimalistisch war, wie es heute klingt – selbst der Basis-911 muss 1976 mit gerade einmal 150 Pferden auskommen. Ein Jahr darauf macht Porsche aber klar, wohin die Reise geht: Der 928 mit 4,7 Liter-V8 und 300 PS reizt das Transaxle-Konzept schon ungleich anders aus. 944 und 968 runden die Familie-Legende im Laufe der Jahre ab. Aber auch der scheinbar brave 924 streckt sich mit der Zeit ordentlich nach oben. „Sein großer Bruder ist der Turbo“ heißt es auf einem weiteren Werbesujet – gemeint ist da noch der 911 mit Turbine. Ab 1979 presst dem 924 die Zwangsbeatmung selbst schon solide 170 PS ab, ein Jahr später setzt der Carrera GT mit 210 Turbo-PS noch eins drauf – unter anderem dank Ladeluftkühler, vollelektronsicher Zündung, anderem Turbo, geänderter Kurbelwelle und angehobener Verdichtung. In dessen Erscheinungsjahr ist von den 911ern nur das Spitzenmodell 3,3 Liter Turbo stärker – alle anderen Luftkühler müssen mit weniger Leistung auskommen als der Top-924.

Der gibt auch äußerlich überzeugend den Kraftlackl: Mit Turbo-Hutze auf der Haube, ausgestellten Kotflügeln vorne und Verbreiterungen hinten. Innen schwarzes Velours mit roter Nadelstreif-Optik, ein Gruß aus den 80ern an der Grenzlinie von schrill und edel. Der Zigarettenanzünder zeigt nicht den Tschick selbst, sondern das damals coolste Gerät, um ihn sich anzuzünden: ein Zippo. Auch die Bequemlichkeit hat ein Baujahr-Mascherl – das Lenkrad steht fix und ist beim Einfädeln in den Sitz grandios im Weg. Zur Klimaregulierung gibt’s Fensterkurbeln, das seitliche Fischen nach dem Gurt ist mit einiger Geduld irgendwann erfolgreich. Sitzriesen mit etwas kürzeren Beinen werden die Ergonomie zu schätzen wissen, alle anderen nicht so sehr. Beim Kurbeln am Volant im heute alle paar hundert Meter vorkommenden Kreisver­kehr sind die Oberschenkel hinderlich – wer geschickt ist, kann sie aber auch mitarbeiten lassen.

 

Tatsächlich ist das aber nicht wichtig – viel essentieller ist die Pracht der frühen Turbo-Technik, gepaart mit dem kolossalen Transaxle-System, das fast unnatürliche Kurventempi und Lastwechsel erlaubt. Und wenn es anzeigt, dass jetzt Schluss mit lustig ist, dann immer noch reuelos und nicht gleich mit einem Abschiedgruß von der Hinterachse. Unter 3000 bis 3500 Touren bleibt der Motor verhaltensunauffällig, aber dann kommt die gestreckte Faust. Heutige Turbos arbeiten mit einem Euro 6-gefälligen Leistungsplateau und fühlen sich entsprechend fad an, aber damals ging’s noch um den ultimativen Haudrauf. Entsprechend angewendet radieren die hinteren Gummis zuverlässig am Asphalt, die Lenkung – natürlich ohne Servo – ist sauber und direkt. Mutig packen die Bremsen aus dem normalen Turbo zu, der Anker hält auch ohne elektrische Bremskraftverteilung souverän. Als Draufgabe geben sie feines Feedback, wo es demnächst zwicken könnte. Ein bisschen auf der Strecke bleibt vielleicht der Sound – wobei das durchaus ansprechende Einatmen des Motors trotzdem seinen Teil beisteuert.

klassik_porsche924_carrera_gt_19_mayLeider sind nur 400 Menschen in den Genuss dieser Traumpaarung aus Motor und Fahrwerkskonzept gekommen – mehr Carrera GT wurden nicht gebaut, die Homo­logationsregeln für die Rennsport-Gruppe 4 waren da recht anspruchlos. Ungeachtet seiner Leistungsupdates hängt dem 924 zeitlebens die Aura des Un-Porsche an – der lauten 911-Minderheit wegen, die nie müde wird, den Vierzylinder, die Produktion bei Audi in Neckarsulm und die Teile-Verwandtschaft als unrein zu outen. Tatsächlich werden von den Vier- und Achtzylinder-Transaxles bis 1995 insgesamt mehr als doppelt so viele verkauft wie 911 F- und G-Modelle zusammen. Sie waren maßgeblich für den wirtschaftlichen Aufschwung der Firma, ohne den es wohl längst keinen 911 mehr gäbe. Die Transaxle-Baureihe endet mit dem mächtigen 928, in­zwischen auf 350 PS erstarkt. Ein Jahr später, 1996, folgt mit dem Boxster ein neuer Einstiegs-Porsche, und der hat den nächsten Stilbruch an Bord: Wasserkühlung – und ist in der aktuellen Generation auch nur mehr vierzylindrig zu haben. Wer früher am Ziel sein will, in einem Porsche-Cockpit zu sitzen, ist mit einem 924 übrigens immer noch gut bedient – die Oldie-Preise abseits der Carrera sind verlockend. Georg Ledert hat also recht behalten.

Daten & Fakten

R4, Turbo, 8V, Einspritzanlage Bosch K-Jetronic, 1984 ccm, 210 PS bei 6000/min, 280 Nm bei 3500/min, Fünfgang-Ge­triebe, Hinterradantrieb, vor­ne Einzelradauf­hän­gung mit McPherson Federbeinen, Querlenkern und Stabilisator, hinten Einzelradauf­hängung mit Schräglenkern und querliegenden Drehstabfedern, Stabilisator; Schei­benbremsen v/h (bel.), Zahnstangenlenkung; L/B/H 4230/1735/1270 mm, Radstand 2400 mm, Spur­weite v/h 1477/1476 mm, Wendekreis 11,2 m, Reifen­dimension 215/60 R 15 (a.W. 205/55 R 16 v und 225/50 R 16 h), 4 Sit­ze, Leergewicht 1180 kg, Tankinhalt 84 l, 0–100 km/h 6,9 sec, Spitze 240 km/h, Ver­brauch (90/120/Stadt) 6,8/8,5/12,4 l /100 km

1980 (924 insgesamt 1976–1988)

1972: am 21. Februar Erteilung des Entwicklungsauftrags für einen Nachfolger des Volkswagen-Porsche 914 durch VW an Porsche; im Mai Rollout des ersten Prototyps mit Transaxle-Technik in Weissach 1974: Ende des Jahres Projekt­stopp durch VW; 1975: Porsche erwirbt die Rechte an der Entwicklung zurück; 1976: zu Jahresbeginn Produktionsstart des 924 mit 125 PS in Neckarsulm bei Audi; 1979: optional Dreigang-Automatik statt Viergang-Handschaltung; 1979: zu Jahresbeginn 924 Turbo mit 170 PS; auf der IAA im Hebrst Präsentation des 924 Carrera GT mit 210 PS; 1980: Fünfgang-Getriebe für alle 924, im Sommer Beginn der Serienferti­gung des Carrera GT; 1981: 924 Carrera GTS, GTP, GTR – jeweils nur als Wettbe­werbsfahrzeuge angeboten; 1982: Einstellung des Verkaufs in den USA zugunsten des 944; 1986: 924 S mit 150 PS aus 2,5 Liter Vierzylinder; 1988: Einstellung der Produktion des 924

406 (Prototypen und Serie-Modell Carrera GT, 924 insgesamt 150.684)

Ferrari Dino 308 GT4, Lotus Esprit Turbo, TVR Taimar Turbo