Lancias Glück und Ende

23. April 2019
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Lancia, einst die feinste Automarke ­zwischen Brenner und Sizilien, erfolgreich wie kaum eine andere im Rallye­sport, war bis Ende der sechziger Jahre eines der Aushängeschilder der italienischen Ingenieurskunst – aber dennoch pleite. ­Manche sagen: auch deshalb. Geniale Ingenieure hatten Technik und Image der Marke in lustvolle Höhen getrieben, aber das Unternehmen zielsicher in den Ruin. Der Rechenstift gehörte offenbar nicht zum Inventar der Kreativabteilung.

1969 übernahm der Fiat-Konzern die Marke Lancia. Und versuchte einen Spagat: die außergewöhnliche Technik beibehalten, Geldregen und Sport-Engagement sogar noch ausweiten, aber die Modellpalette in massentauglicheren Sphären ansiedeln. Das schien mit der viertürigen Beta Limou­sine 1972 zu gelingen. Lancia ver­kaufte in der Folge mehr Fahrzeuge als zuvor, aber ­Auto-Enthusiasten diesseits und jenseits der italienischen Grenze rümpften ob des biederen Beta-Designs die Nase: Für einen VW okay, aber für einen Lancia? 

Knapp ein Jahr später reichte Lancia einen eleganten Zweitürer nach. Die Vorstellung des Beta Coupé in Monte Carlo sprengte alle Dimensionen von Luxus und Groß­zügigkeit. Hunderte Motorjournalisten aus ganz Europa wurden in Lear-Jets nach Nizza geflogen und dann mit Luxuslimousinen ins Fürstentum chauffiert. Ich durfte dabei sein. Im „Hotel de Paris“ stand für jeden von uns eine Suite bereit (an den Zimmerpreis kann ich mich nicht mehr erinnern, heute kostet dort eine Nacht 650 Euro). Hausgetränk war Champagner, wer Sekt oder gar Bier bestellte, den verachteten die Kellner (ich wurde übrigens nur ­deshalb vom „Kurier“ nach Monte Carlo ­entsandt, weil sich niemand in der Redaktion den viertägigen Auslandsaufenthalt mit Hinflug am Sonntag antun wollte). 

Ganz Monte Carlo war mit Testfahr­zeugen überschwemmt, gut fünfzig Lancia Coupés in allen erhältlichen Farben standen für Probefahrten zur Verfügung. Der spätere Rallye-Weltmeister Sandro Munari chauffierte im Renntempo jeden Journalisten, der wollte, über den Col de Turini, die legendäre Sonderprüfung der Monte Carlo-Rallye (die Munari übrigens fünfmal gewann). »Die Straße ist ja gar nicht abgesperrt«, fragte ich den ­Rallye-Weltstar ängst­lich. »Das macht doch nichts«, antwortete Munari, während er das Beta Coupé ein paar Zentimeter neben dem drohenden Abgrund im Drift hielt, »ein net­tes Auto, wäre was für dich«. Von meinem „Kurier“-Gehalt hätte ich mir allerdings bloß einen halben Lancia leisten können.

Das Beta Coupé beeindruckte mit extrem sicherem Fahrverhalten, der Federungskomfort war für ein dermaßen sportliches Auto überragend. BMWs 2002er, für dieselbe Zielgruppe gedacht, aber mit ungenügender Traktion und schwammiger Lenkung besonders auf nasser Fahrbahn heikel zu fahren, fühlte sich vergleichsweise an wie ein Fossil. Und wir schrieben das auch im „Kurier“. Bei Lancia hatten die Techniker das Sagen, bei BMW die Marketingleute.

Der österreichische Pressesprecher von Lancia, Hans Stadlinger, verriet später, dass die Testwagen für die Presse-Präsenta­tion händisch nachgearbeitet wurden. Nichts knisterte, nichts vibrierte, es waren Autos wie aus einem Guss. Die Kundenfahrzeuge kamen unbearbeitet vom Fließband, und schon meldeten sich beim „Kurier“ nach ­unserem Jubelbericht verärgerte Kunden, die ein Beta Coupé erworben hatten – alles knisterte, alles schepperte, Türschlösser klemmten, das Getriebe streikte. Als Lancia später erneut in die Krise schlitterte und BMW in der Erfolgsspur blieb, brachte Lancia-Sprecher Stadlinger die Defektanfälligkeit der italienischen Edelautos auf den Punkt: »Je aufwändiger, desto anfälliger. Der Lancia hat halt so viel, der 2002er hat nichts. Was soll da kaputt werden?«

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