Euro NCAP – Sicherheits-Institution unter der Lupe

24. Juli 2021
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Aktuelles

Zur 1997 gegründeten Gesellschaft Euro NCAP („European New Car Assessment Programme“) zählen unter anderem die Verkehrsministerien von Deutschland, Frankreich und Großbritannien, die Warentest-Dachorganisation ICRT, der Automobil- und Motorsport-Dachverband FIA sowie Autofahrerklubs wie der ADAC. Ziel deren Crashtests ist es, die Sicherheit der Autos zu erhöhen. Die rund 70 jährlichen Prüfungen des Euro NCAP sind rechtlich nicht bindend, üben aufgrund ihrer Bekanntheit aber Druck auf die Hersteller aus, ihre Fahrzeuge entsprechend aufzurüsten.

Dennoch gibt es immer wieder Kritik an den Testverfahren. Im jüngst gecrashten Dacia Sandero schlug der Kopf des Fahrer-Dummys beim Seitenaufprall an der gegenüberliegenden Fahrzeug-Innenseite an. Weiters wurden fehlende Assistenzsysteme und zu geringer Fußgängerschutz bemängelt, was unterm Strich ein vernichtendes Zwei-Sterne-Ergebnis brachte. Ist das nicht eine allzu strenge Bewertung für einen Kleinwagen des untersten Preissegments?

Max Lang, einziger Österreicher im 24-köpfigen Euro NCAP-Direktorium, führt dazu aus: „Da es immer neue Erfindungen zur Erhöhung der Sicherheit gibt, müssen auch wir unsere Testprotokolle immer wieder adaptieren. Ein Beispiel dafür ist der Zentral­airbag zwischen den Vordersitzen. Dieser wurde in unser Protokoll aufgenommen, weil es eben schon zahlreiche Autos gibt, auch in den kleinen Klassen, die ihn an Bord haben. Beim Sandero fehlen aber nicht nur der Zentralairbag und einige wichtige Assistenzsysteme, er hat außerdem eine zu harte Frontpartie.“

Ein geradezu gegenteiliger Kritikpunkt lautet, dass Euro NCAP die Autohersteller mit ins Boot hole, damit alle bei den Tests top abschneiden könnten. Was zur Folge hätte, dass Autos extra für diese Crash-Szenarien konstruiert würden und bei anders gearteten Unfällen vielleicht schlecht abschneiden würden.

Max Lang: „Erstens schneidet eine gute Sicherheitsstruktur bei allen möglichen Unfallsze­narien besser ab als eine schlechte, und zweitens gibt es zwischen den weltweiten Unfall-Organi­sationen immer noch Unterschiede, zum Beispiel heben sich USA (US NCAP) und Südamerika (Latin NCAP) von den an­deren ab. Was gar nicht so schlecht ist, weil dadurch teilweise Schwächen aufgedeckt werden können.“ Auf jeden Fall würden global agierende Hersteller ihre Autos nicht jeweils auf Crash-Szenarien in Europa, den USA, China etc. ­hintrimmen, diesbezüglich gebe es nur „Weltautos“.

Ebenfalls kritisiert wurde der Frontalaufprall gegen eine stehende, verformbare Barriere mit 64 km/h, dieser würde nicht der Realität entsprechen. Dazu meint der Experte, dass man permanent Unfallstatistiken studiere und grundsätzlich die häufigsten Crash-Ursachen im Test abbilden wolle. Tatsächlich habe man diesen Punkt zuletzt geändert, die verformbare Barriere erhielt Räder, sie kommt nun mit 50 km/h auf das Auto zu, das sich mit der gleichen Geschwindigkeit annähert (siehe Aufmacher-Bild ganz oben). Ein statistisch treffenderes Szenario.

Schon länger auf Kritik stößt der Umstand, dass Euro NCAP auch Assistenzsysteme prüft. Warum bleibt man nicht einfach bei Crashtests? Max Lang dazu: „Der beste Unfall ist jener, der erst gar nicht passiert. Wenn Assistenzsysteme einen Zusammenprall verhindern oder zumindest dessen Folgen mildern können, sind sie gerechtfertigt. Wenn nicht, dann nicht. Und genau das wollen wir im Test ­feststellen. Außerdem zielen 60 Prozent der Bewertung auf die Karosseriestruktur ab und nur 40 Prozent auf die Assistenzsysteme.“

Dass ehemals laut und anhaltend piepsende Warnsysteme in letzter Zeit deutlich dezenter wurden, sieht Lang übrigens nur zu einem geringen Teil als Verdienst von Euro NCAP, obwohl man den Herstellern immer wieder mitgeteilt habe, dass nervige Warn-Einrichtungen am Sinn der Sache vorbeigingen, weil sie von den Kunden abgeschaltet würden: „Ich glaube, dass die reduzierte Piepserei vor allem daran liegt, dass die Systeme zusehends aktiv eingreifen statt passiv zu warnen.“

Dass die EU ab Mitte 2022 Systeme wie den Notbrems-Assistent für neu genehmigte Fahrzeuge verpflichtend vorschreibt, hält Lang für eine gute Idee – logisch, schließlich hat sie Euro NCAP mit angestoßen.

Info: So testet Euro NCAP

Die Euro NCAP-Wertung besteht aus Sternen – sie reicht von einem Stern (geringer Unfallschutz) bis fünf Sterne (Bestnote). Aufgrund der permanenten  Weiterentwicklung der Testverfahren ist ein Vergleich der Be­­­wertungen nur bei innerhalb des gleichen Jahres getes­teten Modellen sinnvoll.

Vier Hauptkriterien bilden die Basis für die Sterne-Wertung und werden zusätzlich in Form von erzielten Prozentzahlen (Maximum = 100 Prozent) ausgewiesen: Erwachsenen-Schutz, Kindersicherheit, Fußgänger-/­Radfahrer-Schutz und Assistenzsysteme.

Die ersten zwei Kriterien werden in Form von fünf Crashtests ermittelt: 1. Frontalaufprall mit 50 Prozent Überdeckung und 50 km/h auf einen mit ebenfalls 50 km/h entgegenkommenden 1400 Kilo-Rammbock mit verformbarer Front; 2. Frontalaufprall mit 100 Prozent Überdeckung und 50 km/h auf eine starre Barriere; 3. Seitenaufprall gegen eine mit 60 km/h fahrende ver­formbare Barriere; 4. Pfahl-Seitenaufprall mit 32 km/h gegen eine Stahlsäule (siehe Bild unten) und 5. Schleudertrauma-Test, bei dem sich der Dummy auf dem auf einem Schlitten montierten Sitz des zu testenden Autos befindet, der auf 16 bzw. 24 km/h rückwärts beschleunigt und dann schlag­artig abgebremst wird.

Beim dritten Kriterium werden Unfälle mit Fußgängern bzw. Radfahrern simuliert, für den vierten Punkt werden die Assistenzsysteme geprüft – mit zwei Bewertungen: eine für den serienmäßigen Basisschutz, eine für die maximal mögliche Wunschausstattung.

Fotos: Euro NCAP, ÖAMTC