Erster Test: Alfa Romeo Tonale

7. Oktober 2022
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Aktuelles

Wenn nach einem halben Jahrzehnt Funkstille der erste neue Alfa Premiere feiert, rumort es unter den Auto-Fans. Denn man muss schon die Augen vor der Realität verschließen, um nicht um die Zukunft der italienischen Traditionsmarke zu bangen. Seit die glorreiche Mailänder Ära Anfang der 70er-Jahre zu Ende gegangen war, rang man stets um eine wirtschaftlich nachhaltige und stabile Ausrichtung. Die zuletzt zum Kauf ange­botenen Modelle Giulia und Stelvio brachten zwar frischen Wind für die Marke, die Modellpalette blieb aber zu klein. So wurden im letzten Jahr in Österreich summa summarum keine 1200 Fahrzeuge verkauft – das waren weniger Autos als bei Porsche und nur rund zehn Prozent von dem, was Audi absetzt. 

Das soll sich jetzt ändern, und zwar mit dem neuen Einstieg in die Welt von Alfa Romeo, der auf den klingen Namen Tonale hört. Um das Thema Einstieg zu strapazieren: Zur Markteinführung ist nur ein Sondermodell erhältlich, das etwa mit 20 Zoll-Alus, Matrix-LED-Licht, Navi-gation, schlüssellosem Zugang sowie Adaptiv-Tempomat und aktivem Spurhalteassistent alles andere als mager bestückt ist. 

In Kombination mit einem 130 PS starken Mildhybrid-Vierzylinder ist dieser Tonale aber immer noch mehr als 10.000 Euro billiger als die Basis-Version der Mittelklasse-Limou­sine Giulia. Im hart umkämpften Markt-Angebot ist das schon eine Ansage. Dabei bekommt man einen hochwertig gemachten Kompakt-SUV, der in vielen Bereichen neue Standards für die Marke setzt. 

 

Zunächst ist die Optik hervorzuheben: In einer Welt, in der sich die Autos immer ähnlicher sehen, ist Alfas weitgehend einzigartiges Design eine willkommene Abwechslung. Alles wirkt wie aus einem Guss und gefällt mit hoher Detailverliebtheit. Ein besonderer Hingu­cker sind die Lichter, die sowohl vorne als auch hinten je drei Halbkreise zeigen.

Öffnet man das Fahrzeug, wird man von ausreichend Platz empfangen: Dass man in einem Kompakt-SUV vorne genügend Bewegungsfreiheit hat, ist nicht weiter verwun­derlich – doch auch im Fond sitzt es sich als Erwachsener gemütlich. Der Kofferraum überrascht mit guten 500 Litern Ladevolumen, eine Ski-Durchreiche gehört zum
Serienumfang.

Das Cockpit erinnert stark an die zwei größeren Alfa-Geschwister (vor allem das Lenkrad), die Software der digitalen Instrumente und des Multimediasystems ist hingegen neu für die Marke. Letzteres bietet Over-the-air-Updates, Amazon Alexa für Sprachbefehle sowie Android Auto und Apple CarPlay für die Integration des Smartphones. 

Erstmals ist mit dem Tonale ein Auto mit einem NFT-Zertifikat (Non Fungible Token) ausgestattet, einer Art fäl­schungs­sicheres, digitales Siegel. Mit diesem werden beispiels­weise Service-Daten im Auto gespeichert, die nicht gefälscht oder manipuliert werden können, was auch dem Wiederverkaufswert zuträglich sein sollte.

In idealer Griffweite zum Fahrer befindet sich ein Drehregler zur Einstellung der Fahr-Modi, der bei Alfa traditionell „DNA“-Regler genannt wird. D steht dabei für „Dynamik“, N für „Neu­tral“ und A für „Advanced Effi­cency“ (erweiterte Effizienz). Die drei Programme beeinflussen diverse Parameter im Auto und prägen so das Fahrerlebnis – womit wir auch schon bei der Kernkompetenz eines jeden Alfas wären.

Der Ausdruck cuore sportivo (sportliches Herz) prägt seit eh und je die Mailänder Marke. Leider handelt es sich bei den ver­­fügbaren Aggregaten nicht unbedingt um Ma­schinen, die diesem Credo gerecht werden. Das hängt weniger mit der grundsätzlichen technischen Ausrichtung der Antriebe zusammen, sondern vielmehr mit dem Charakter, den sie an den Tag legen. 

 

Zu Beginn ist ausschließlich ein 130 PS starker Vierzylinder-Turbo-Benziner verfügbar, der durch ein 48V-Mildhybrid-System unterstützt wird. Der Elektro-Boost bringt beachtliche 20 PS und 55 Newtonmeter Drehmoment ­– deutlich mehr also als bei der Konkurrenz. Da auch die Batterie mit 0,77 kWh größer ist als üblich, wird tatsächlich oft nur mit Strom gefahren. Somit kann man auch ein Auge zudrücken, wenn Alfa von einem Hybrid-Antrieb spricht und den korrekten Begriff Mildhybrid gar nicht erwähnt.

Bei unserer Testfahrt genehmigte sich die nächststärkere 160 PS-Version (die es konzernweit so nur bei Alfa gibt und die einen Turbo mit variabler Geometrie bietet) dennoch weit über acht Liter Sprit auf 100 Kilometer. Wäre der Antrieb besonders sportlich oder charaktervoll, könnte man damit leben. Doch leider enttäuscht er mit verzögerter Gasan­nahme und nicht sonderlich kräftigem Vortrieb. 

Sparfüchse sollten deshalb auf den 130 PS starken Diesel warten. Mehr Leistung kommt mit dem 275 PS starken Plug-In-Hybrid, der dank einer elektrisch angetriebenen Hinterachse auch Allradantrieb bietet.

­Im Bereich der Fahrdynamik hat man bei Alfa alles Erdenkliche versucht, um die ver­wendete Plattform (nämlich jene des Jeep Compass) auf Sport zu trimmen. So wurde das Fahrzeug versteift, vorne wie hinten gibt es McPherson-Achsen. Die Dämpfer passen sich permanent an den Untergrund an, optional gibt es auch eine echte Adaptiv-Version (mit lediglich zwei Stufen). 

 

Angetrieben wird wie befürchtet die Vorderachse, dort arbeitet immerhin ein elektro­nisches Sperrdifferenzial, bei Nässe gibt es dennoch leichten Schlupf. Zudem ist die Lenkung zwar präzise und sportlich-­direkt, allerdings hat man im Sinne der Ent­koppelung von
Antriebseinflüssen auch einiges an Fahrbahn-Rückmeldung ge­opfert, was sie etwas leblos wirken lässt. Gebremst wird optional mittels Marken­ware von Brembo. Fahrdynamik-Fazit nach der ersten Ausfahrt: Der Tonale fährt am Ende des Tages nicht sportlicher als die Konkurrenz von Audi oder BMW. 

Grund zur Enttäuschung sollte das aber keiner sein, denn der Tonale soll weniger die tradi­tionelle Fangemeinde der dynamischen Alfisti ansprechen, sondern eine neue Ziel­gruppe. Inso­fern stellt der Tonale einen Alfa Romeo dar, den es so bisher noch nicht gab und der neben schmuckem Design auch viel Platz und Ausstattung für vertretbares Geld bietet. 

Im Gespräch mit Alfa-CEO Jean-Philippe Imparato kam jedenfalls die Begeisterung des ­gebürtigen Franzosen rüber: ­Einerseits ist man von der Qualität überzeugt (und bietet deshalb sogar fünf Jahre Garantie), anderseits ist man hundertprozentig motiviert, den Mythos ­Alfa Romeo in ein neues Zeitalter zu transferieren – und das ist schon die halbe Miete bei einem italienischen Auto. 

Daten & Fakten

Basispreis in € 35.600,–
Zyl./Ventile pro Zyl. 4/4
Hubraum in ccm 1469
PS/kW bei U/min 130/96 bei 5570*
Nm bei U/min 240 bei 1500–3000
Getriebe 7-Gang-Doppelk.
L/B/H, Radst. in mm 4528/1835/1601, 2636
Kofferraum/Tank in l 500–1550 / 55
Leergewicht in kg 1600
0–100 km/h in sec 9,6
Spitze in km/h 200
WLTP-Normverbrauch in l (kombiniert) 5,7–6,2
CO2-Ausstoß in g/km 130–142

E-Motor: 20 PS

Basispreis in € 42.900,–
Zyl./Ventile pro Zyl. 4/4
Hubraum in ccm 1469
PS/kW bei U/min 160/118 bei 5570*
Nm bei U/min 240 bei 1500–3000
Getriebe 7-Gang-Doppelk.
L/B/H, Radst. in mm 4528/1835/1601, 2636
Kofferraum/Tank in l 500–1550 / 55
Leergewicht in kg 1600
0–100 km/h in sec 8,8
Spitze in km/h 210
WLTP-Normverbrauch in l (kombiniert) 5,7–6,3
CO2-Ausstoß in g/km 130–144

E-Motor: 20 PS