Alfa Romeo erklärt ungerührt, dass von einer Verspätung gar keine Rede sein könne und Giulias grandioser Auftritt vor fast einem Jahr eh nur als eine Art sehr zeitige Vorschau gedacht war. Damals hat das zwar noch ganz anders geklungen, aber wir wollen nicht kleinlich sein.
Dass nach so einer ausgiebigen Entwicklungszeit außer dem 510 PS-Überflieger kein Benziner fertig ist und momentan nur zwei Dieselmotorisierungen angeboten werden, es auch für den Allradantrieb immer noch „bitte warten“ heißt und ein Kombi sowieso bestenfalls in den Sternen steht, macht das Projekt zumindest zu einer authentisch italienischen Angelegenheit.
Immerhin ist die Normal-Version der Giulia noch fescher als der x-fach verspoilerte und zusatzvergitterte Biturbo – ohne die optischen Anabolika kommen die eleganten und trotzdem sportlich gespannten Formen besser zur Geltung. Kaum anders im Innenraum: Schaltung, Drehknopf für die Infotainment-Steuerung, analoge Klima-Regelung und natürlich das Lenkrad sind ergonomisch perfekt angeordnet – konzentriert zu einem Cockpit, dass die Bezeichnung wirklich verdient.
Die beiden Stanitzel für die Instrumente sind historisch korrekte Giulia-Zitate, für die analogen Zifferblätter in ansprechendem 3D-Look hat Audi gut Pate gestanden. Dazwischen findet sich ein variabel belegbares TFT-Display, rechts unter dem Abschwung der Instrumentenabdeckung der zweite, bündig eingesetze Bildschirm für das Infotainment-Display.
Unerwartet hat es eines der feinsten Goodies aus der scharfen Quadrifolglio-Version in die Serie geschafft: der Startknopf auf dem Lenkrad, ein kleiner Gruß aus der Formel I-Küche von der Ferrari-Verwandschaft. Hier zwar nicht mehr feuerrot, sondern schlicht und schwarz, aber trotzdem eine Freude bei jedem Mal Draufdrücken.
Der 2,2 Liter-Diesel geht akustisch äußerst diskret ans Werk, in der 150 PS Variante ein bisschen braver, mit 180 Pferden schon deutlich spritziger. Der Wechsel von normal auf dynamisch am Fahrmodi-Schalter lässt Giulia merkbar die Muskel spannen, das Ansprechverhalten des Motors wird deutlich direkter. Ist die optionale Achtgang-Automatik an Bord, drehen die Gänge höher und die Schaltwechsel passieren knackiger. Auch davon abgesehen ist die Feinabstimmung der Automatik gelungen, sie schaltet praktisch ruckfrei, gegen nochmaligen Aufpreis auch manuell mittels Wippen am Volant. Lob verdient aber auch die sechsgängige Handschaltung – sauber und präzise geführt, gute Übersetzungs-Anschlüsse, nur die Schaltwege könnten ein wenig kürzer sein.
Die elektrische Servolenkung ist passend direkt ausgelegt und macht das Wedeln durch die Kurven zu einer echten Freude: Selbst in Kehren reicht ein Einschlag ohne Nachgreifen, trotzdem ist der Wagen im Geradeauslauf nicht nervös. Auch das Fahrwerk vereint Komfort und sportlichen Anspruch: Trotz der ansprechend strammen Auslegung werden selbst harte Schläge perfekt ausgefiltert, die Geräuschentkopplung ist vorbildlich, die Wankbewegungen in den Kurven minimal.
Sorgsam ausbalanciert und prinzipiell für die Urgewalt von 510 PS konzipiert, ist es allerdings mit der Leistungsausbeute eines herkömmlichen Motors kaum in Verlegenheit zu bringen. Giulia liegt selbst bei äußerst ambitionierter Fahrweise souverän und gönnt sich nicht den kleinsten Schlenker, mehr als ein minimales Schieben über die Vorderachse am Kurveneingang ist ihr nicht zu entlocken.
Einen Schalter zum Deaktivieren der Antischlupfregelung, mit dem dieser sportliche Makel zu beheben wäre, gibt es leider nicht. Wir sind gespannt, wie die angeblich jeder Situation gewachsene Elektronik das Anfahren bergauf im Winter löst. Dank hochwertiger Dämmung und Geräuschkapselung ist der Qualitätseindruch insgesamt bemerkenswert, Giulia fährt sich premiumverdächtig ruhig und sprintet so unspektakulär dahin, dass oft erst ein Blick auf den Tacho an den längst drohenden Führerscheinentzug erinnert.
Bei der scharfen Giulia Quadrifoglio ist das praktisch der Normzustand. Im nur bei dieser Motorisierung wählbaren Race-Modus sind alle elektronischen Helferlein aus und schalten sich auch nicht wieder von selbst ein. Das Gaspedal tritt ein herrliches Inferno aus Sound und Vortrieb los, dazu kommt ein atemberaubendes Handling und Bremsen an der Grenze dessen, was die Physik zulässt. Dass Alfa Romeo diese Leistung auch ganz old school mit Handschaltung anbietet ist mutig und verdient außerdem Respekt – bei so viel Leistung wieder einmal selbst Maschinist sein, ist inzwischen ein seltenes Vergnügen. Im Gut & Böse-Club müssen sich AMG, M und RS demnach mit einem neuen Mitglied abfinden, das noch dazu mit 85.900 Euro keinen übertriebenen Tarif ausruft.
Die zivile Giulia ist ab 35.390 Euro knapp unter den Vergleichsmodellen von Audi und BMW eingepreist. Nur Mercedes verlangt für seine C-Klasse gleich einige Tausender mehr. Nach dem Preis werden aber auch nach dem Marktstart am 18. Juni die wenigsten Kaufentscheidungen fallen – immerhin fährt Alfa Romeo bewusst mit dem Emotions-Bonus zurück in die sonst größtenteils recht biedere Mittelklasse.
Daten & Fakten
Basispreis in € | 36.390,– (37.790,–) |
Zyl./Ventile pro Zyl. | 4/4 |
Hubraum in ccm | 2143 |
PS/kW bei U/min | 150/110 bei 4000 |
Nm bei U/min | 380 bei 1750 |
Getriebe | 6-Gang, man. (8-Gang-Automatik) |
L/B/H, Radst. in mm | 4370/1980/1609, 2660 |
Kofferraum/Tank in l | 480/52 |
Leergewicht in kg | 1374 (1445) |
0–100 km/h in sec | 8,4 (8,2) |
Spitze in km/h | 220 (220) |
Normverbrauch in l (Mix) | 5,3/3,5/4,2 |
CO2-Ausstoß in g/km | 109 (109) |
Basispreis in € | 38.890,– (41.290,–) |
Zyl./Ventile pro Zyl. | 4/4 |
Hubraum in ccm | 2143 |
PS/kW bei U/min | 180/132 bei 3750 |
Nm bei U/min | 450 bei 1750 |
Getriebe | 6-Gang, man. (8-Gang-Automatik) |
L/B/H, Radst. in mm | 4370/1980/1609, 2660 |
Kofferraum/Tank in l | 480/52 |
Leergewicht in kg | 1374 (1445) |
0–100 km/h in sec | 7,2 (7,1) |
Spitze in km/h | 230 (230) |
Normverbrauch in l (Mix) | 5,3/3,5/4,2 |
CO2-Ausstoß in g/km | 109 (109) |
Basispreis in € | 85.900,– |
Zyl./Ventile pro Zyl. | 6/4 |
Hubraum in ccm | 2891 |
PS/kW bei U/min | 375/510 bei 6500 |
Nm bei U/min | 600 bei 2500 |
Getriebe | 6-Gang, man. (8-Gang-Automatik) |
L/B/H, Radst. in mm | 4370/1980/1609, 2660 |
Kofferraum/Tank in l | 480/58 |
Leergewicht in kg | 1655 |
0–100 km/h in sec | 3,9 |
Spitze in km/h | 307 |
Normverbrauch in l (Mix) | 12,8/6,1/8,5 (12,4/5,7/8,2) |
CO2-Ausstoß in g/km | 198 (189) |
Weuzi
( 29. Juni 2016 )
Meines Wissens nach sind die “Stanitzeln” historische Zitate an die Berlina 1750, das Bertone Coupe und den Spider. Die klassische Giulia hatte diese nicht, sondern einen flachen – als Spiegelschutz “gemeinsam überdachten” – Armaturenträger vor dem Lenkrad, welcher einen großen Drehzahlmesser und Tacho mit dazwischenliegender mittiger kleiner Uhr beinhaltete. Die Zusatzinstrumente für Tank, Wassertemperatur und Öldruck waren unterhalb der durchlaufenden Holzleiste – oberhalb des Schalthebels positioniert.
Hans
( 1. Juli 2016 )
Also dass Alfa – abgesehen vom jenseits von Gut und Böse stehenden – V6 Biturbo Quadrifoglio keinen Benziner anbietet, ist angesichts der Historie der Firma erschütternd.
MfGJ
Johannes Posch
( 4. Juli 2016 )
Die kommen noch im Laufe des Jahres … 4-Zylinder-Turbos mit bis zu 250 oder 280 PS werden es wohl sein.
Mozl
( 4. Juli 2016 )
Welches Jahr? 😉
Mozl
( 3. Juli 2016 )
Die Giulia gefällt mir sehr gut und ich wünsch Alfa Romoe viel Erfolg damit.
Eine Ausweitung der Motorpalette und der Modellversionen ist dafür wohl unerlässlich.
Rolex
( 4. Juli 2016 )
Ausweitung der Motor-Palette einerseits, aber (hierzulande) wäre auch eine Kombiversion nötig, um Stückzahlen zu machen. Und das dürfte wohl leider nix werden.
PS: die oben angegebenen Maße stimmen gottlob nicht, sonst müsste sich Alfa auch da Gedanken machen, L/B/H von 4370/1980/1609 ist keine gute Vorgabe für eine sportliche Limousine – aber diese Werte waren in der Printausgabe auch schon falsch….
Mozl
( 5. Juli 2016 )
Volle Zustimmung. Unsere Lieblingsnachbarn machen aus so einem Modell eine Limousine, einen Kombi, ein Coupe und ein viertüriges Coupe. Auf die Idee eines zweitürigen Combis sind sie noch nicht gekommen. 🙂