Seit Jahren tritt das Thema autonomes Fahren auf der Stelle. Nun könnte auch hier künstliche Intelligenz den Umschwung bringen.
Angekündigte Revolutionen finden einer alten Regel zufolge nicht statt. Das autonome Fahren scheint diese zu bestätigen – öfter versprochen und mit ähnlich kurzen Deadlines angesagt wurden in der jüngeren Vergangenheit wahrscheinlich nur das preisgünstige E-Auto und der Reichweiten-Wunderakku. Selbst Google ist an der Entwicklung eines Roboter-Autos gescheitert, und von Tesla gibt es außer großmauligen Ansagen bislang bestenfalls Internet-Videos von autonom verursachten Horror-Crashs der eigenen Autos.
Bisher gab es für die Realisierung grundsätzlich zwei Zugänge: den europäischen, der auf die Vernetzung von Fahrzeug-Technik und Infrastruktur setzt – Stichwort „Intelligente Straße“, mit der die Autos ebenso kommunizieren wie untereinander über die Cloud. Ein Ansatz, der maximale Sicherheit ermöglichen soll, aber teuer ist, weil dafür hohe öffentliche Investitionen notwendig sind. Das gilt vor allem in den USA als praktisch undenkbar, weswegen dort die Stand-Alone-Variante bevorzugt wird, bei der allein die Technik an Bord des einzelnen Autos alle Anforderungen erfüllen muss – was die Bilder von Fahrzeugen mit tumorartigen Sensor-Geschwülsten an den Stoßstangen und einer Dachgalerie voller Zusatz-Technik erklärt.
Der Einsatz von künstlicher Intelligenz könnte hier Abhilfe schaffen. Mit ihr wird der notwendige Hardware-Einsatz deutlich geringer und entspricht im Großen und Ganzen dem Umfang, den die Assistenzsysteme an Bord eines heutigen Pkw bereits bedingen – also Kameras, Radar, Lidar und Infrarot. Der Lern-Algorithmus braucht eine Einschulung ähnlich der Fahrstunden, die ein Mensch zur Erlangung des Führerscheins absolviert. Wenn auch deutlich mehr davon, weil die Software praktisch bei null beginnt. Sie muss so viele Situationen und Vorgänge wie möglich „aufnehmen“ sowie Daten und Aktionen verknüpfen.
Dazu verfolgt sie die Handlungen und Reaktionen eines Menschen und verbindet sie mit dem jeweiligen Echtzeit-Datenmaterial. Sie registriert also etwa, dass das Tempo zurückgenommen wird, wenn Sicht- und Straßenverhältnisse schlecht sind. Ebenso, wenn die Fahrbahn enger wird, etwa bei Baustellen. Oder dass angehalten wird, wenn ein Fußgänger einen Zebrastreifen überqueren will. Dass die Zahl der Kombinationsmöglichkeiten unendlich ist und sie in egal wie vielen Lern-Stunden nicht alle abgebildet werden können, ist hier nicht relevant. Wie ein Mensch, so lernt auch das Programm, einzelne Erfahrungen für komplexe Situationen aufzurufen und zu verknüpfen. Selbst wenn diese regelwidrig sind – etwa wenn ein links abbiegender Gegenverkehr die Vorfahrt erzwingt oder ein Radfahrer unerlaubterweise Gehsteig und Schutzweg benützt.
Die KI nimmt über die Sensoren nicht nur alle Inputs auf, sondern lernt dabei auch das Fahren selbst: Lenkwinkel und Pedalstellung beim Durchfahren einer Kurve, Ablauf eines Überholmanövers, Befahren einer mehrspurigen Straße, Ausweichen in Gefahrensituationen – all das speichert sie automatisch mit ab und verarbeitet diese Informationen zur eigenen Anwendung weiter. Es ist also nicht länger notwendig, jeden Millimeter Straße zu kartografieren und dieses Datenmaterial ständig zugänglich zu machen, weil die Software mit der Handhabung des Autos ebenso selbstverständlich umzugehen lernt wie ein Mensch.
Dennoch bleibt eine der großen Herausforderungen die Hardware. Denn das System kann nur auf Basis der Daten agieren, die von dieser erfasst werden. Die Treffsicherheit der kameragestützten Verkehrszeichen-Erkennung liegt derzeit unabhängig vom Hersteller aber geschätzt bei bestenfalls 60 bis 70 Prozent – diese Fehlerquote würde sich unweigerlich auf das Agieren der KI übertragen.
Wenn der Crash-Warner bei in einer Kurve außen parkenden Autos fälschlicherweise anspringt oder eine Tempolimit-Aufhebung am Ende einer Baustelle fehlt, muss die KI gemäß „Rules & Safety First“ danach handeln – obwohl sie gelernt hat, dass der menschliche Fahrer darauf anders reagiert. Andernfalls wären auch die juristischen Folgen unabsehbar. Am Ende fehlt auch noch der behördliche Segen: Derzeit ist selbst Fahrautomatisierung auf Level 3 in Österreich noch nicht gestattet, obwohl hier bereits vom Sprung auf die Endstufe Level 5 die Rede ist.
Eines der dennoch fortgeschrittensten und auch vom finanziellen Background aufgrund der Microsoft-Beteiligung aussichtsreichsten Projekte dieser Art kommt aus Großbritannien und heißt „Wayve“. Aktuell befindet sich der Algorithmus in der Lernphase, er „begleitet“ also menschliche Fahrer auf tausenden Testkilometern, parallel wird die Entwicklung seiner Fähigkeiten laufend getestet.
Wahrscheinlich ist aber auch hier China längst weiter: Bereits zu Jahresbeginn präsentierte BYD seinen KI-gestützten Autopiloten – nicht auf einem Übungsgelände, sondern im dichten Verkehr der Millionenmetropole Shenzhen. 45 Minuten fuhr das Fahrzeug dabei völlig autonom durch die Rush-Hour, ohne dass ein Eingriff am Steuer notwendig gewesen wäre – und das mit der gleichen Reaktionsschnelligkeit und Sicherheit wie ein geübter menschlicher Fahrer. Eventuell ist die Revolution also längst passiert, nur waren wir wie so oft nicht dabei.
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