Autofahren in Österreich war in den Nachkriegsjahren ein aufregendes Vergnügen. So etwa gab es bis 1960 nicht einmal eine gesetzlich geregelte Promilleobergrenze, entscheidend für die Fahrtüchtigkeit war zunächst allein die subjektive Einschätzung des Lenkers selbst und in Folge, wenn dieser etwa aus dem Auto taumelte, jene der amtshandelnden Gendarmen oder Polizisten: „Ham Sie was trunken?“ – „Na, nur sechs Viertel“. Orientierungshilfe bot eine Regelung aus Bayern: „Von Fahrten mit mehr als 1,5 Promille ist abzuraten.“ Na immerhin.
Die Rieder Volkszeitung, damals so etwas wie das oberösterreichische Zentralorgan der ÖVP, präsentierte wöchentlich die vielbeachtete Rubrik mit dem Titel „Führerscheinentzug der Woche“. Zitat aus dem Blatt: „Die Bezirkshauptmannschaft Ried hat nachstehender Person den Führerschein wegen des Verschuldens eines Verkehrsunfalls in alkoholisiertem Zustand entzogen: dem Landarbeiter Franz Strasser, Neuhofen, Rampfen 2, vom 29. Juli 1960 bis 14. April 1961.“ Auch der Schutz der Persönlichkeitsrechte war den Zeitungen damals noch fremd, ein diesbezügliches Mediengesetz gab es nicht.
Dass die Schreiber der Rieder Volkszeitung sprachlich mehr oder minder originell formulieren konnten, diese Erkenntnis verdanken wir dem Autor Wolfgang Marschall, der kürzlich ein Buch mit dem Titel „Eine Luftmatratze muss her!“ herausgab, das er gar nicht selbst abfassen musste. Fürs Lesevergnügen reicht es, dass er alle das Volk besonders bewegenden Artikel aus besagter Zeitung aneinanderreihte. Straßenverkehr und Autounfälle gehörten bei so viel Alkohol im Blut zu den makabren Köstlichkeiten im Angebot des Blattes, das in einer Ausgabe des Jahres 1965 auf der Wirtschaftsseite sogar beklagte: „Bedauerlicherweise ist der Weinkonsum im Innviertel noch gering.“ Die Redakteure freuten sich über Autoabgase zur Erwärmung der Luft, und für die Sperrmüllbeseitigung empfahlen sie Flüsse und Wälder.
Am meisten Platz aber nahmen Unfälle ein. Der Volkszeitungs-Korrespondent aus Mehrnbach in Oberösterreich berichtete: „Ein Schwein lief in das Vorderrad des Motorradfahrers Georg Huber, wobei dieser zu Sturz kam, schwer lädiert blieb er liegen. Er kann heute bandagiert wieder gehen, das Rüsseltier ließ sein Leben.“ Schlechter als Huber erging es dem 62-jährigen Franz Schuster, Bauer aus Mettmach im Innviertel. Der Redakteur textete: „Schuster musste der rechte Fuß unterhalb des Knies abgenommen werden. Dem Mann wendet sich allgemein tiefes Mitgefühl zu, da er im noch erhaltenen linken Fuß schon länger leidend ist.“ Oh weh!
Wendelin Narrowetz
Wolfgang Marschall/Eine Luftmatratze muss her! Dorfwirtschaftswunder, 208 Seiten, zahlreiche SW-Abbildungen, Verlag Anton Pustet, € 24,-–
Erhältlich im Buchhandel und in Online-Buchshops
Weuzi
( 12. November 2020 )
Liebe Redaktion,
könnt ihr uns eruieren, ab wann in Österreich die Promillegrenze 0,8 eingeführt wurde. Danke im Voraus.
Georg Koman
( 12. November 2020 )
Die 0,8-Promillegrenze stand von Beginn an in der StVO 1960. Womit der Textanfang nicht ganz korrekt war und gleich ein wenig adaptiert wurde. Danke fürs indirekte Aufmerksammachen! 0,8 Promille gelten übrigens heute noch – für Radfahrer. Die wurden bei der StVO-Novelle 1998 irgendwie vergessen…
Rolex
( 13. November 2020 )
Naja, bei der Novelle hat man schon ganz bewusst mit zweierlei Maß gemessen – ein Radfahrer mit über 0,8 ist für die anderen Verkehrsteilnehmer potentiell weit weniger gefährlich als ein Autofahrer mit mehr als 0,5 Promille. Und so viel “mehr” ist dafür ja auch nicht erlaubt zu Trinken. Ich denke, das passt schon so.