Daimler elektrifizierte Fahrzeuge Elektro Hybrid

CO2-Strafen für Autohersteller – auch Kunden betroffen

31. Juli 2020
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Aktuelles

Die EU-Kommission zwingt Europas Autoherstellern in Sachen Abgase und Verbrauch immer schärfere Limits auf. Gesundheitsschädliche Abgase (vor allem CO und NOx) werden über stetig strengere EU-Normen schon seit langem bekämpft, nun kommt auch noch der Sprit-Konsum dran, und zwar in Form von limitierten Flottenverbräuchen. Beim Verbrauch geht es nicht nur ums Energiesparen, sondern vor allem ums Klima. Denn bei jedem Verbrennungsvorgang wird das im Energieträger gespeicherte CO2 freige­setzt. Ein Treibhausgas, das bekanntlich die Erderwärmung beschleunigt.

Weil in Europa alles kompliziert ablaufen muss, nimmt man für das ab heuer geltende Flottenverbrauchs-Limit nicht die aktuell gültige WLTP-Norm her, sondern die bereits im Aktenschrank der Geschichte archivierte NEFZ-Norm. Die magische Limit-Zahl lautet dabei 95 Gramm.

Bei jedem in Europa neu zugelassenen Auto wird dessen individueller NEFZ-Normverbrauchswert (er muss eigens für den Flottenverbrauch erhoben werden, denn für die Homologation wird ja nach WLTP getestet) mit dem Grenzwert von 95 Gramm CO2 verglichen, was übrigens einem Benzinverbrauch von 4,1 Litern bzw. einem Dieselverbrauch von 3,6 Litern pro 100 Kilo­meter entspricht. Über diesem Wert gibt es zum Jahresende Strafzahlungen, darunter Bonuszahlungen in Höhe von jeweils – Ironie am Rande – 95 Euro pro Gramm und Auto.

Zweite Verkomplizierung: Die 95 Gramm gelten für ein Fahrzeuggewicht von 1392 Kilo. Je schwerer ein Auto, desto mehr darf es verbrauchen und umgekehrt. Der Verbrauchs-Nachteil von Luxusherstellern wird damit etwas ausgeglichen.

Dritte Verkomplizierung: Um die Autokonzerne zur Herstellung von Elektroautos und Plug-In-Hybriden mit weniger als 50 Gramm CO2 pro Kilometer zu motivieren, zählt deren Verbrauchsvorteil doppelt. Ein Elektroauto, das beispielsweise genau 1392 Kilo wiegt, erhält damit nicht 9025 Euro (= 95 ersparte Gramm x 95 Euro), sondern sogar 18.050 Euro gutgeschrieben.

Vierte Verkomplizierung: Automarken dürfen sich in einem sogenannten „Pooling“ beliebig zusammenschließen, wenn ihnen das Kostenvorteile bringt – nicht nur innerhalb eines Konzerns, sondern auch außerhalb. So hat FCA (Fiat-Chrysler) mit Tesla einen diesbezüglichen Deal abgeschlossen. Das hat Tesla zwar Kritik von Umweltschützer-Seite eingebracht, die perlt an den Amerikanern angesichts des warmen Fiat-Geld­regens aber ab wie an Teflon.

Fünfte (und zum Glück letzte) Verkomplizierung: Für 2020 gibt es eine „Einschleif-Re­ge­lung“. Das heißt, die fünf verbrauchsstärksten Prozent an zugelassenen Autos darf jeder Hersteller wegrechnen. Ein Vorteil, der 2021 wieder wegfällt. Daher stöhnt die Automo­bil-Industrie, weil die Corona-Krise einen wochenlangen Produktionsstopp zur Folge hatte und noch viele Monate lang Kaufzurückhaltung bringen wird. Neue Elektro- und Plug-In-Modelle werden also langsamer als geplant in den Markt eindringen. Das könnte die ohne­hin gebeutelten Hersteller über die Verbrauchsstrafen weitere Milliarden kosten.

Wäre diese Regelung bereits 2019 in Kraft gewesen – was mit Vorsicht zu genießen ist, weil es in diesem Jahr noch weniger Elektro- und Hybridmodelle gegeben hat –, dann hätte etwa der VW-Konzern 4,5 Milliarden Euro Strafe zahlen müssen, PSA (Peugeot, Citro­ën, DS plus Opel) 950 Millionen, und selbst die Hybrid-Marke Toyota wäre noch mit 20 Millio­nen Euro belangt worden.

Auf die Frage, ob die Corona-Krise Grund genug für neue Verhandlungen mit der EU sein könnte, ant­­wortet Günther Kerle, Vorsitzender des Arbeitskreises der österreichischen Automo­bilimporteure (Bild links): „Offiziell geben sich sowohl die Autohersteller als auch die EU-Kommis­sion optimistisch und wollen keine Schwäche zeigen, inoffiziell wird aber ganz sicher verhandelt. Eine Möglichkeit wäre es, die Einschleif-Regelung über das Jahr 2020 hinaus zu verlängern.“

Wir sollten den Herstellern Verhandlungsglück wünschen, denn eines ist klar: Deren Wohl und Wehe wird kräftig auf die Kunden durchschlagen, und zwar in vielerlei Form:

  1. Zahlreiche Motorisierungen oder sogar ganze Modellreihen werden wegfallen. Und zwar nicht nur Sportwagen und andere PS-Protze, sondern auch Klein- oder Kleinst­wagen. Deren Hybridisierung ist nämlich in Relation zum Kaufpreis zu teuer. So hat etwa Opel seine Minis Karl und Adam bereits über die Klinge springen lassen.
  2. Falls ein Hersteller nicht auf Kleinwagen verzichten will, stellt er diese auf Elektro­mo­bilität um. Den Anfang machte bereits der VW-Konzern, dessen Winzlinge Sko­da Citigo und Seat Mii nur noch elektrisch erhältlich sind. Finanzschwächere Kunden trifft das doppelt: Sie müssen für einen Elektro-Kleinwagen wesentlich mehr als für einen Ver­brenner bezahlen und müssen mangels eigener Garage auch noch Umwege und Mehrkosten bezüglich öffentlicher Ladestationen auf sich nehmen.
  3. Teure Plug-In-Hybride und noch teurere Elektroautos wachsen wie die Schwammerln aus den Preislisten. Nicht, weil sie von Kunden gewünscht werden, sondern, weil sie beim Flottenverbrauch doppelt zählen. Die Strategie, erfolgreiche Verbrenner-Modelle trotz fetter Strafzahlungen ungebremst weiterzuverkaufen, ist laut Günther Kerle nämlich bestenfalls ein Kurzzeit-Thema, langfristig hielte das kein Hersteller aus.
  4. Autohersteller außerhalb der EU könnten auf den europäischen Markt, der weltweit an Bedeutung verliert und gleichzeitig immer mühsamer wird, pfeifen. Sie werden sich aus Europa zurückziehen oder ihre Modellpalette auf einige wenige „EU-konforme“ Modelle zusammenstreichen. Importeurs-Sprecher Günther Kerle fügt dazu an: „Auch in Japan, China und den USA gibt es strenger werdende Flottenverbrauchs-Limits, diese sind aber im Gegensatz zu Europa so angesetzt, dass sie für die Hersteller machbar sind.“
  5. Autos werden generell teurer. Die erzwungene Elektrifizierung muss letztlich jemand bezahlen. Und mangels Margen-Luft der Hersteller ist das zwangsläufig der Kunde. Wie­der ein Schlag ins Gesicht der weniger finanzkräftigen Bevölkerungsschicht. Die muss ihre alten „Spritfresser“ länger fahren. Ergebnis: Beschädigte Wirtschaft, ver­ringerte Neuwagen-Steuereinnahmen, kaum positive Effekte fürs Klima.

Fazit: Angeordnete Verbrauchssenkungen sind prinzipiell eine gute Sache, wenn sie mit Augenmaß erfolgen. Selbst gegen einen Alleingang der EU, deren CO2-Emissionen nur acht Prozent des weltweiten Treibhausgas-Ausstoßes ausmachen, ist nichts zu sagen. Aber wenn dieser Alleingang europäischen Autoherstellern massive Wettbewerbs­nach­teile bringt, Arbeitsplätze gefährdet und letztlich gerade finanzschwächere Kunden am schwersten trifft, dann sollte man ihn nochmals überdenken.

Fotos: Daimler (1), Arbeitskreis der Automobilimporteure (1)