Die 90 PS des – nur für Belgien und Österreich gebauten – Einstiegs-Diesel tun dem sexy Auftritt des Fiat Bravo keinen Abbruch
Der kleine Bruder hat es vorgemacht: Attraktive Formen locken Kunden in die Schauräume. Stimmen dann auch noch Technik und Preis, ist der Verkaufserfolg so gut wie sicher. Nach diesem Muster konnte der Grande Punto voriges Jahr Fiats Kleinwagen-Umsatz fast verdoppeln. Den gleichen Schub erwarten die Italiener nun vom neuen, in nur 18 Monaten entwickelten Bravo in der Kompaktklasse.
Die äußere Form stimmt jedenfalls. Ästhetische Rundungen, flacher Kühlergrill und das wieder auferstandene Markenemblem aus Fiats Glanzzeiten lassen an der Herkunft des Turiners keinen Zweifel. Auch wenn sich in Wien nicht halb so viele Passanten nach dem neuen Bravo umdrehen wie bei seiner Präsentation in Rom.
Um trotz der runden – und damit nicht gerade raumökonomischen – Formen genügend Platz zu bieten, überragt der Italiener außen den Großteil der anderen Kompaktklassler. Mehr als 4,30 Meter Länge sind beim Einparken nicht unbedingt eine Hilfe, fast 1,80 Meter Breite können in engen Gässchen zum Problem werden. Die Passagiere jedoch wissen diese Großzügigkeit zu schätzen.
Auch an den Fahrer hat Fiat gedacht. Tippt man den Hebel an, blinkt der Bravo dreimal, die Klimaautomatik (in der getesteten Version Dynamic” ein Extra-Posten) regelt angenehm zugfrei, ja sogar die Fensterscheiben öffnen und schließen via Fernbedienung.
Die Anschnall-Warnung meldet sich erst nach dem Losfahren zu Wort – und nervt nicht, wie bei manchem Konkurrenten, schon beim Hineinsetzen. Die unauffällige Berganfahr-Hilfe nimmt die Angst vor steilen Kreuzungen. Alles Kleinigkeiten, die zur stressfreien Bewältigung des Verkehrs-Alltags beitragen. Wie auch die körpergerechten, komfortablen Sitze und die tadellose Cockpit-Ergonomie.
Dass man bei korrekter Sitzposition stets an den stark vorgeneigten Kopfstützen anliegt, mag stören. Es bringt aber Punkte im NCAP-Crashtest – und den bestand der Bravo mit dem Maximum von fünf Sternen bravourös. Auch dank der Tatsache, dass gegen Aufpreis ein siebenter Airbag das Fahrerknie schützt.
Rührend stolz ist Fiat auf das – stets aufpreispflichtige, im Testwagen verbaute – “Blue&Me”- System. Außer einer Bluetooth-Freisprechanlage stellt es einen USB-Anschluss in der Mittelkonsole bereit, über den Musik in mehreren Dateiformaten (etwa MP3) abgespielt werden kann.
Bedient wird Blue&Me über acht Lenkrad-Tasten, einschlägige Computer-Vorkenntnisse und viel Geduld sind die besten Voraussetzungen dafür. Die bordeigene Software stammt von Microsoft, gelegentliche Systemabstürze sind vorprogrammiert. Leider fehlt am Lenkrad die berühmt-berüchtigte Tastenkombination Strg+Alt+Entf – so hilft dann nur stehen bleiben, Motor abstellen und neu starten.
Ein ernsteres Elektronik-Problem brachten unsere Bremstests im Driving Camp Pachfurth zutage. Treffen rechte und linke Räder auf stark unterschiedliche Reibwerte, sind ABS und ESP überfordert. Am sogenannten Schachbrett, wo griffige und glatte Stellen rasch abwechseln, brauchte unser Bravo aus 60 km/h den weitaus längsten Bremsweg aller bisher getesteten Fahrzeuge.
Und auf einseitig glatter Piste sind die elektronischen Fahrhilfen außerstande, den Wagen in der Spur zu halten. Um keinen Dreher zu produzieren, muss der Fahrer blitzartig und heftig gegenlenken. Auf winterlichen Straßen ist also Vorsicht geboten.
Unter normalen Verhältnissen bereitet das Fahrwerk aber durchaus Freude. Der Bravo bügelt Bodenwellen komfortabel und ohne zu schaukeln, nur kurze Stöße können leichtes Poltern provozieren. Die Lenkung ermöglicht zielgenaue Manöver, kein Kandidat absolvierte bisher unseren Spurwechsel-Test mit höherem Tempo – und da waren auch sportliche Vertreter wie der Volvo C30 T5 oder der BMW 330xd darunter. Auf Knopfdruck verstärkt der City-Mode noch die Servo-Unterstützung – nicht nur für zarte Arme eine willkommene Rangierhilfe.
Warum wir erst jetzt auf den Motor zu sprechen kommen? Nun, wer den von uns getesteten Basis-Diesel kauft, dem sollte sportliches Vorankommen kein Anliegen sein. Mit der eigens für Belgien und Österreich auf 90 PS gedrosselten Version des Zweiventil-Vierzylinders schwimmt der Bravo brav im Verkehr mit. Autobahn-Steigungen schafft er innerhalb unserer Speed-Limits locker, Überholmanöver auf Freilandstraßen wollen sorgsam geplant sein. Wem das nicht reicht, der kriegt den feschen Italiener ja auch mit 120 oder 150 Diesel-PS. Dann passt auch die Power zur Sportlichkeit von Optik & Handling.
Kunststoff im Carbon-Look, fesche Polsterung und tadellose Ergonomie. Das Lederlenkrad kostet beim “Dynamic” Aufpreis
MOTOR & GETRIEBE
Der 90 PS-Diesel legt vom Stand weg einigermaßen spontan und munter los, bei höherer Drehzahl geht ihm aber die Puste aus. Entsprechend magere Fahrleistungen, deutlich unter den Werksangaben. Lange Getriebe-Übersetzung, weite Gangsprünge. Schaltung kein Muster an Präzision, weite Schaltwege.
FAHRWERK & TRAKTION
Guter Fahrkomfort, nur bei kurzen Stößen kann es leicht poltern. Zielgenaue, direkte Lenkung, auf Knopfdruck extrem leichtgängiger City-Mode. Im Grenzbereich Untersteuern, nur voll beladen leichte Lastwechsel-Reaktion. Wenn nötig, greift das ESP unauffällig ein. Gut dosierbare und standfeste Bremsen – allerdings mit Problemen bei unterschiedlich glatten Fahrbahnbelägen.
COCKPIT & BEDIENUNG
Tadellose Ergonomie, doch schlecht ablesbarer Tacho. Viele Annehmlichkeiten wie Komfort-Blinken, One-Touch-Fensterheber, automatisches Licht-Aus beim Abstellen etc. Die massiven A-Säulen stören den Blick in Kurven, nach hinten ist die Übersicht schlecht – Abhilfe schafft die optionale Einparkhilfe.
INNEN- & KOFFERRAUM
Klassenübliche Platzverhältnisse in beiden Reihen. Großer Kofferraum mit 2:1 umlegbarer Fondbank. Einräum-Hindernisse: extrem hohe Ladekante und kleine Öffnung.
DRAN & DRIN
Als “Dynamic”, die zweite von vier Ausstattungsstufen, brauchbar bestückt. Die meisten Wunsch-Goodies sind als Extra zu haben (siehe Liste rechts). Optisch und haptisch hochwertige Materialien. Der Verarbeitung ist außerhalb des unmittelbaren Sichtbereichs der Rotstift anzusehen.
SICHER & GRÜN
Bis zu sieben Airbags, fünf Sterne im NCAP-Crashtest. Die gängigen Elektronik-Fahrhilfen sind zwar an Bord, unter extremen Verhältnissen allerdings überfordert. Partikelfilter serienmäßig, Verbrauch angesichts der Fahrleistungen kein Renommee.
PREIS & KOSTEN
Preislich am unteren Ende der Kompakt-Palette angesiedelt. Ausstattungsbereinigt kriegt man nur den Kia Cee´d für weniger Geld. Nur acht Jahre Garantie gegen Durchrosten, die Werthaltung wird stark vom Verkaufs-Erfolg abhängen.
FAZIT:
“In Anbetracht der kurzen Entwicklungszeit ist Fiat mit dem Bravo ein beachtlicher Wurf gelungen. ABS- und ESP-Regelung bedürfen jedoch einer Nachjustierung.”
MOTOR-BAUART:
Vierzylinder-Reihenmotor vorne quer liegend, Abgasturbolader mit variabler Turbinengeometrie und Ladeluftkühler. Fünffach gelagerte Kurbelwelle, eine oben liegende Nockenwelle mit mechanischen Stößeln und Zahnriemenantrieb, zwei Ventile pro Zylinder. Mehrfach-Diesel-Einspritzung nach Commonrail-Prinzip. Zwei Oxidationskatalysatoren, integrierter wartungsfreier Rußpartikelfilter und elektrisches Abgasrückführungsventil.
MOTOR-DATEN:
Hubraum 1910 ccm, Bohrung x Hub 82,0 x 90,4 mm, Verdichtungsverhältnis 18,0:1, Max. Leistung 66 kW (90 PS) bei 4000/min, Spez. Leistung 34,6 kW/l (47,1 PS/l), Max. Drehmoment 255 Nm bei 2000/min, Ölinhalt 4,7 l, Kühlwasserinhalt 7,0 l
KRAFTÜBERTRAGUNG:
Vorderradantrieb, Fünfgang-Getriebe.
I. 3,800, II. 2,235, III. 1,360, IV. 0,914, V. 0,707
Achsantrieb 3,176
FAHRWERK:
Vorne: Querlenker, McPherson-Federbeine, Stabilisator. Hinten: Torsionsachse, Schraubenfedern, Teleskop-Stoßdämpfer, Stabilisator. Radstand 2600 mm, Spurweite vorne/hinten 1538/1532 mm. Zahnstangen-Lenkung mit elektrischer Servo-Unterstützung. Hydraulische Zweikreisbremse mit Bremskraftverstärker, vier Scheiben mit Einkolben-Faustsattel-Zangen (v bel.). Feststellbremse auf die Hinterräder wirkend. Reifen & Räder: 225/45 R 17 91W Bridgestone Potenza auf Leichtmetall-Felge (Serie: 205/55 R 16).
KAROSSERIE:
5 Türen/5 Sitze, Luftwiderstandsbeiwert cw 0,31, Stirnfläche A 2,28 m2, Luftwiderstandsindex A x cw 0,71, Länge/Breite/Höhe 4336/1792/1498 mm, Wendekreis 10,4 m, Tankinhalt 57 l, Eigengewicht 1320 kg, max. zul. Gesamtgewicht 1830 kg, max. zul. Dachlast 80 kg, max. zul. Anhänge-Last 1300 kg, Kofferraumvolumen (VDA-Norm) 400-1175 l
VERBRAUCH:
Norm (Stadt/außerorts/ Mix) 6,9/4,3/5,3 l, Testverbrauch 6,8 l/100 km Diesel (entspricht CO2 180 g/km), Reichweite (bis Tankres.) 750 km
FAHRLEISTUNGEN:
Werksangaben: 0-100 km/h 12,5 sec, Spitze 174 km/h
ALLES AUTO-Messwerte: 0-80 km/h 10,0 sec, 0-100 km/h 14,9 sec, 60-100 km/h (im 4. Gang) 12,3 sec, 80-120 km/h (im 4. Gang) 13,2 sec
WARTUNG:
Service/Ölwechsel alle 30.000/30.000 Kilometer
GARANTIE:
2 Jahre Fahrzeug-Garantie ohne Kilometerbegrenzung, 8 Jahre Garantie gegen Durchrosten, 2 Jahre Mobilitätsgarantie (bei vorschriftsmäßiger Wartung)
PREIS UND AUSSTATTUNG:
Basispreis 5tg: EUR 20.200,-
Serienausstattung: Front-, vordere Seiten- und durchgehende Kopfairbags, ABS, ESP, Bremsassistent, fünf Dreipunktgurte, fünf Kopfstützen, Isofix, Klimaanlage, CD-Radio, beheizbare E-Außenspiegel, E-Fensterheber v, Bordcomputer, Lenkrad längs- und höhenverstellbar, Sitz-Höhenverstellung v, Fondbank 2:1 umklappbar, Nebelscheinwerfer inkl. Abbiegelicht, FB-Zentralsperre etc.
Extras: Fahrer-Knieairbag EUR 248,-, Klimaautomatik EUR 483,-, Navigationssystem ab EUR 670,-, Blue&MeTM (Freisprechanlage, MP3-fähiger USB-Anschluss, Lenkrad-FB etc.) EUR 356,-, E-Fensterheber h EUR 254,-, Außenspiegel el. klappbar EUR 191,-, Multifunktions-Lenkrad EUR 89,-, Lederlenkrad EUR 178,-, Sitzheizung v EUR 483,-, Licht- und Regensensor EUR 191,-, Tempomat EUR 280,-, Einparkhilfe h EUR 318,-, Metallic-Lack EUR 432,-, 17″-Räder EUR 878,-, Sport-Paket (17″-Räder, Alu-Pedale, Sportlenkrad, Dachspoiler etc.) EUR 1005,-, E-Schiebedach EUR 1164,- etc.
Fotos: Robert May
Diesen Test finden Sie in ALLES AUTO 5/2007 “