Honda NSX: Das Generationstreffen

16. November 2017
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Ob er wohl jemals bei einem Rennen so nervös war? Ayrton Senna hatte viel Zeit in dieses Projekt investiert, sein analytisches Wesen und seine langjährige Erfahrung mit in die Waagschale geworfen, um ein möglichst ausge­glichenes Setup herauszu­fahren. Und jetzt, vor den ­Augen zahlreicher Journalisten und VIP-Gäste in der Boxen­gasse des Suzuka-Rings, musste er zeigen, was der neue Honda alles draufhat. Schließlich gab es nie zuvor einen so extremen und schnellen Serienwagen des japanischen Herstellers, nur selten ein derart radikales Sportauto. Wobei: Im Prinzip kann er all das, was die braven Großserien-Verwandte auch können. Nur eben um ein paar Klassen schneller. Es ist die wirre und einzigartige Geschichte des vielleicht kontroversesten Sportwagens der Welt: dem NSX.

 

New Sportscar eXperimental – wer sein Topmodell so nennt, sollte über eine gesunde Portion Selbstbewusstsein verfügen, denn Ende der 80er-Jahre trat Honda als Nobody in den Ring ­zahlreicher brüllender Löwen. Ferrari, Porsche, aber auch Toyota und Nissan boten potente Sportwagen an, die alle laut, schnell und brutal waren. Honda lief damals aber auf eine sehnigere Art zur Höchstform auf, die Renn­sport und Straße ziemlich unkonventionell vermischte. Einerseits überzeugten die Japaner in der Formel I mit bedingungsloser Haltbarkeit. Anderer­seits bauten sie für die ­Straße Motoren, die bis an die 9000 Touren drehten. Der einfache Weg war je­denfalls nicht der von Honda, und so war es den Technikern schnell klar, dass sie keinen Sportler bauen konnten, der einfach nur auf brutale Leistung setzte. Schlank, leicht und sophistisch sollte er werden. Wie eine Neufassung des Lotus Elan, oder vielleicht ein Mazda MX-5 auf Steroiden. Kein Auto für Angeber, sondern für Fahrer. Das merkt man schon am Design. Für das kuppel­förmige Dach ließ sich Designer Ken Okuyama vom F-16 Kampfjet inspirieren, um eine möglichst gute Rundumsicht zu ge­­­währleisten.

Der Motor ist ein kompakter V6 ohne jegliche Form der Auf­la­dung, der seine Kraft dank Titan-Pleuel und variabler Ventilsteu­erung aus der Drehzahl schöpft. Fast 280 Pferde aus drei Litern Hubraum waren 1990 ein Hit, und der Einbauort vor der Hinterachse zeigt schon, dass hier penibel darauf geachtet wurde, eine möglichst ausgeglichene Gewichtsverteilung hinzubekommen. Da vorne 15 und hinten 16 Zoll-Räder zum Einsatz kamen, benötigt der NSX vier unterschiedliche laufrichtungs­gebundene Reifen, die auch eigens für ihn entwickelt wurden.

 

Die Obsession, einen möglichst perfekten Sportler zu bauen, ging so weit, dass man eigens für den Flachmann eine neue Fabrik aus dem Boden stampfte, in der nur langgediente und erfahrene Honda-Hackler den NSX zusammenbauen durften. Doch der Aufwand führte den Konzern schön langsam an seine Grenzen. Gerade die Sache mit dem Aluminium wollte nicht so recht, wie man sich das vorgestellt hatte. Es fehlte die Erfahrung, denn wird das Leichtmetall so wie normales Stahl­blech ver­arbeitet, ist es zu insta­bil und bricht. Oder man muss es so massiv dimensio­nieren, dass der Gewichtsvorteil wieder dahin ist. Die Karosserie mutierte ­somit zum reinen PR-Instru­ment. Doch das Chassis bereitete ganz andere Probleme. Als zu weich und anfällig sollte sich die Konstruktion erweisen, was wenige Monate vor dem Produk­tionsanlauf selbst bei Japanern für einen leichten Anflug von Nervosität sorgte. Doch zum Glück gab es da ja noch diesen Mitarbeiter aus Brasilien. Gemeinsam mit Ayrton Senna zog man sich für geraume Zeit zur Klausur auf den Nürburgring zurück, um der fragilen Konstruktion endlich Manieren beizubringen. Man krempelte Details um, besserte an zahlreichen Stellen nach und fand für fast alles eine befriedigende Lösung. Nur für das etwas wabbelige Fahrgefühl, das einfach aufgrund der relativ hohen Reifenflanken herrührt (und das Senna bis zum Schluss monierte), gab es erst zum Facelift 1997 Abhilfe in Form von einem Zoll größeren Rädern und kräftigeren Bremsen.

Zugegeben, es ist etwas eng im alten NSX, aber Sitze und Cockpit passen wie angegossen. Erstaunlich gut: Ãœbersicht und Komfort. Ehrensache, dass bei unserem Fotomodell auch nach 170.000 Kilo- metern noch jeder Stellmotor funktioniert.

Zugegeben, es ist etwas eng im alten NSX, aber Sitze und Cockpit passen wie angegossen. Erstaunlich gut: Ãœbersicht und Komfort. Ehrensache, dass bei unserem Fotomodell auch nach 170.000 Kilometern noch jeder Stellmotor funktioniert.

Und wie fährt sich die Flunder nun? Völlig frei jeglichen ­Dramas. Hat man in der knapp geschnittenen Pilotenkanzel erst einmal Platz gefunden, fehlt es einem an nichts. Alle Bedienelemente liegen nach altjapanischer Sitte in Griffweite, die Übersicht ist sogar nach hinten für einen Mittelmotor verblüffend gut. Und dass die Lenkung anfänglich ohne Servounterstützung auskommen ­musste, nervt vielleicht beim Ausparken – auf der Straße ist ihre Rückmeldung aber hervorragend. Es ist zwar nicht so einfach, gute Reifen in den exotischen Dimensionen zu finden, aber für den geneigten Enthusiasten sind die Nachteile von damals heute gar nicht hoch genug zu schätzen. Der Alltagskomfort ist dank der bauchigen Gummis überra­schend gut, und im Grenzbereich fängt der ­Honda zuerst unschuldig zu rutschen an, bevor das Heck wirklich Anstalten macht, auszubrechen.

Man braucht keine Scheu zu haben, das komplette Drehzahlband zu nutzen. Dank des soliden Hubraums kann man zwar auch schaltfaul durch die Stadt rollen. Die Musik fängt aber erst bei 5000 Umdrehungen zu spielen an, wenn V-TEC die Steuerzeiten umstellt. Wobei die Magie des NSX erst im hohen Alter voll zur Geltung kommt. Er verrichtet seinen Dienst so brav und anspruchslos wie alle Civics und Accords dieser Welt. Laufleistungen von weit über 200.000 Kilometern sind keine Seltenheit, Verbräuche von maximal elf Liter auf 100 Kilometer gelten schon als ziemlich motiviert. Defekte? Die Bremsbeläge vielleicht oder ein Fensterhebermotor bzw. ein Klima-Steuergerät. Kein Wunder also, dass sich Ex-­Honda-Werksfahrer Marco Werner zur Aussage hinreißen ließ: „Hieße er Ferrari, dann würden sich die Leute die Finger danach lecken.“

 

Im Vergleich zum Neuen wirkt der Ur-NSX zwar konventionell gestrickt, andererseits markieren beide die Grenze des zu ihrer Zeit technisch Machbaren. Und das bedeutet für eine moderne Bodenrakete: Elektrifizierung, aber nicht nur zum Schutze der Wale und Bäume. Hybrid bedeutet in diesem Fall: mehr Power, mehr Effi­zienz und vor allem: besseres Handling. Neben dem E-Motor im Heck mit 48 PS sitzen zwei 37 PS-Stromggregate vorne, die jeweils ein Vorderrad bespielen. Aluminium als bevorzugtes ­Material wich Kohlefaser-Verbundwerkstoffen. Die spezielle Spezial­fabrik kommt freilich nicht mehr zum Zug, stattdessen Hondas Montagewerk im US-Bundesstaat Ohio, was aber durchaus praktisch ist, gelten die Staaten nach wie vor als wichtigster Markt für den NSX.

Dazu gesellt sich ein mit zwei Turbos aufgeladener V6-Benziner, jetzt mit 3,5 Litern Hubraum und 507 PS, der in Personalunion mit dem hinteren E-Motor 646 Newton­meter stemmt, die völlig anders zu Werke gehen als jene des alten Saugers. Vorbei die Athleten-Attitüde. Der Turbo-Dampfhammer haut einen schon bei 2000 Umdre­hungen vehement ins Kreuz und schiebt den Sport-Honda vorwärts, als gäbe es keine (Luft)widerstände. Das neun­stufige Doppelkupplungsgetriebe legt die Gänge wie Stamperln nach. Dafür dass immer Traktion vorhanden ist, sorgen die zwei vorderen Strom-Aggre­gate. Gerade in Kurven spielen sie eine wesentliche Rolle an der ausgewogenen Fahrdynamik, denn wenn es einen Sinn ergibt, treiben sie die Vorderräder voll­varia­bel an und ziehen einen wie am Schnürchen aus dem Scheitelpunkt.

 

Geblieben ist das knappe, wenn auch ausreichende Platzangebot sowie die schlaue Ergonomie. Neu ist das vollvariable Fahrwerk, das in vier Stufen einstellbar ist. Die Stellung Sport+ reicht zwar für praktisch alle Belange aus, aber ein Sportler aus dem Land der Playstations und Mangas muss einfach ein wenig verspielt sein. Das Erstaunliche ist aber, dass dennoch alles völlig überschau- und kontrollierbar abläuft. Der NSX überfordert einen nie, bleibt stets lammfromm und zeigt einem schonungs­los auf, dass an ­brenzligen Situationen nur die überhöhte Selbsteinschät­zung des Fahrers Schuld trägt. Die spielerische Leichtigkeit des Alten ist dem Neuen also geblieben. Diese Mischung aus entspanntem Gondeln durch den Alltag bis hin zum beinharten Prügeln über die Hausstrecke – nur mit dem Unterschied, dass es in der aktuellen Version wirkt, als hätte jemand den schnellen Vorlauf aktiviert. Bloß in einem Punkt hinkt der neue NSX seinem Ahnen ein wenig hinterher. Die um satte 13 Zenti­meter gestiegene Breite macht die Fahrspuren schon verdammt eng. Exaktes Pilotieren ist also das Gebot der Stunde – aber das wäre ohnehin ganz im Sinne des einen Mitarbei­ters aus Brasilien gewesen.