Heimo Aichmaier

Interview: Elektroauto-Guru DI Heimo Aichmaier

14. November 2022
Keine Kommentare
1.109 Views
Aktuelles

Heimo Aichmaier kam über die Raum- und Verkehrsplanung zur Entwicklung intelligenter Verkehrssysteme. Ab 2005 arbeitete er für das Verkehrsministerium Strategien für die bereits damals absehbare Elektrifizierung von Antriebssträngen aus und koordinierte verschiedenste davon betroffener Bereiche. Ab 2012 leitete er die Branchen-Allianz Aus­trian Mobile Power und wandelte den Verein 2020 in die Smart Mobility Power GmbH um. Das von ihm geführte Unternehmen ­beschäftigt sich mit der strategischen ­Be­ratung und operativen Begleitung von ­Unternehmen mit Softwarelösungen für die E-Mobi­lität. Er selbst sieht diese pragmatisch und unverklärt: als eines von vielen Mitteln zur Erreichung der Klimaziele. Und nennt auch ungeschönt die Punkte, bei ­denen es derzeit hakt.

ALLES AUTO: Derzeit funktioniert die E-Mobilität auf dem Markt hauptsächlich bei Dienstwagen, während der Privatkunden-­Bereich stagniert, und die Akzeptanz dieser Technik in der Bevölkerung insgesamt überschaubar bleibt. Was müsste getan werden um das zu ändern?

Aichmaier: Die größte Herausforderung bei der E-Mobilität für Privatkunden ist, dass die Fragen im Entscheidungsprozess für oder gegen einen Kauf derzeit nicht punktgenau beantwortet werden. Wo kann ich laden, welche Infrastruktur gibt es, was kostet es? Das Versäumnis liegt in der mangelnden Transparenz.

ALLES AUTO: Sind die Menschen zu wenig aufgeschlossen gegenüber neuer Technik?

Aichmaier: Wir haben über Jahrzehnte ­gelernt, mit fossilen Pkw und Lieferwagen unterwegs zu sein. Das beeinflusst die Vorstellung, wie man das mit einem reinen ­Batterie-Fahrzeug bewältigen kann. Man tendiert naturgemäß eher zum bekannten ­System als zur Revolution.

ALLES AUTO: Wäre es demnach zielführender, statt eine Revoltion zu veranstalten, eine Evolution zu begünstigen – etwa über die Zwischenstufe von Plug-In-Hybriden?

Aichmaier: Man muss die Menschen dort abholen, wo sie gerade stehen, auch ihre ­finanziellen Möglichkeiten berücksichtigen. Weil wir mit den Klimazielen spät dran sind, wird es nicht dem Kunden überlassen, wie hoch der Elektrifizierungsgrad sein soll. Es werden mehr Förderungen auf das Batterie-Fahrzeug gelegt und die Plug-In-Hybride mehr oder weniger diskrimiert. Das nimmt dem Privatkunden die Chance, den Einstieg in die E-Mobilität mit gewohnter Reichweite und gelernter Technik zu kombinieren. Die ganze Diskussion um die nächste Urlaubsfahrt oder die ins lange Wochenende würde der Plug-In erst einmal erledigen.

ALLES AUTO: Allerdings kosten Plug-In-­Hybride und erst recht Elektrofahrzeuge größtenteils dramatisch mehr, als die meisten Privatkunden für ihr Auto ausgeben können. Ist die individuelle Mobilität drauf und dran, ein „Reichensport“ zu werden?

Aichmaier: Das eigentliche Problem der E-Mobilität ist, dass es nicht nur ein technischer, sondern auch ein sozialer Umbruch ist. Mit dem gegenwärtigen System ist jeder vertraut, aber kaum jemand kennt wirklich die gesamten Erhaltungskosten seines Fahrzeugs. Die müssen aber mit denen des E-Autos verglichen werden – man muss aufzeigen können, wann der Break-Even erreicht ist, wo der günstigere Betrieb die ­höheren Anschaffungskosten wettmacht.

ALLES AUTO: Der Erfolg der E-Mobilität wird also auf der Kostenseite entschieden?

Aichmaier: Kostentransparenz ist die ­Minimal-Anforderung. Derzeit scheitert die Chance auf eine lokal saubere Mobilität ­daran, diese Transparenz herbeizuführen.

ALLES AUTO: Ein Punkt dieser mangelnden Transparenz ist die fehlende Preisauszeichnung an den öffentlichen Ladesäulen und die oft unklare Abrechnung.

Aichmaier: Ausgezeichnet wird größtenteils, aber nicht tarifbasiert, wie es die ­Kunden von der Energiewirtschaft bei den Stromrechnungen gewohnt sind. Die Energiewirtschaften, die die Energiewende be­wältigen müssen, haben eigene Logiken. Man muss auch ehrlich sagen, dass die Netzbetreiber die E-Mobilität jahrelang stiefmütterlich behandelt haben. Die Ladesäulen sind bessere Schaltschränke, natürlich kann man sie aber aufrüsten und ergänzen.

ALLES AUTO: Welches System wäre Ihrer Ansicht nach sinnvoll?

Aichmaier: Was mir als Konsument und Elektroauto-Fahrer weh tut, ist, dass die Preis­auszeichnung immer unterschiedlich ist. Meist nach Zeit, mal wieder nach Kilowattstunden, mit Aufkleber, dann auf einem Display, anderswo nur online. Deftige Roaming-Aufschläge, wenn ich außerhalb meines Netzes bin, ­werden fast nie vorher angezeigt. Wün­schenswert wäre eine dynamische digitale Preisanzeige je nach Provider-Vertrag oder Tarifart.

ALLES AUTO: Allerdings muss ich bei der OMV oder Shell nicht Mitglied sein und bezahle auch beim jeweils anderen nicht (viel) mehr für den Sprit…

Aichmaier: Sie haben vielleicht keine Mitgliedschaft bei Shell, aber generell hat jeder Privatkunde eine Mitgliedschaft bei einem Stromanbieter. Und drei von vier E-Auto-Fahrern haben einen Ladekarten-Vertrag. Aber sogar da gilt: Wer weiß tatsächlich ­seinen Kilowatt-Preis?

ALLES AUTO: Das führt zur Frage der technischen Ausstattung. Die eignet sich daheim etwa nicht überall für die Installation einer Wallbox, oft scheitert es schon an der Kapazität der Hauszuleitung.

Aichmaier: Energieversorgungssicherheit und -planung sind immens wichtig. Durch E-Mobilität muss die Planung aber agiler werden und vom Urzustand – nämlich Kraftwerk, Leitung, Steckdose – abweichen dürfen. Die Fragestellung lautet: Darf ein Netzbetreiber oder Energieversorger ein dynamisches Leistungsversprechen geben, um auf Engpässe reagieren zu können? Sprich: Wenn die Leitung ausgelastet ist, darf ich über ein Energiemanagement-System oder einen ­Pufferspeicher in die Ladeanla­ge eingreifen oder muss ich die maximale Netzleistung rund um die Uhr garantieren? Wenn in ­einem Mehrparteienhaus ein neuer Verbraucher in Form einer Wallbox dazukommt, dann könnte ich das Leistungsversprechen beispielsweise auch halten, wenn ich das nur während der Nachtstunden zusage (wenn Netzleistung frei ist) und durch eine dynamische Verteilung regle. Damit würde eine echte Markt-Barriere fallen.

ALLES AUTO: Wer ist für solche Entscheidungen zuständig?

Aichmaier: Elektrizitätswirtschaftsgesetz, Energieausbaugesetz, aber auch Wohnungseigentums- und Mietrechtgesetz bis hin zum Genossenschaftsgesetz, Konsumentenschutz und die Bauordnungen der Länder sind betroffen. Einiges lässt sich eventuell verein­fa­chen, anderswo muss eine Norm in den Gesetzesrang erhoben werden.

ALLES AUTO: Es dreht sich insgesamt sehr viel um die Kosten. Aber ist das nicht ein ­etwas arroganter Zugang, weil solche ­Be­träge für Klein- und Mittelverdiener ­ohnehin außer Reichweite sind?

Aichmaier: Die finanzielle Reichweite ist natürlich entscheidend. Mehrkosten sind für viele Private kaum darstellbar. Aber auch Dienstnehmer mit Firmenwagen sind Pri­­vat­personen. Wenn sie sich für ein Elektroauto entscheiden, betrifft das auch einen privaten Haushalt. Und letztendlich befüllen diese Dienstwagen nach Ablauf des Leasings den Markt für gebrauchte Strom-Fahrzeuge, die für eine größere Bevölkerungs­gruppe leistbar sind.

ALLES AUTO: Dienstnehmer mit Firmen­wagen sind aber für gewöhnlich gut bis sehr gut verdienende Privatpersonen. Die Förderung deren teurer E-Fahrzeuge aus Steuergeldern sehen viele Menschen kritisch.

Aichmaier: Die Förderkriterien sind zwar preisgedeckelt, aber dennoch stimmt es: Da wird ein sehr teures Fahrzeug mit Steuergeldern subventioniert. Aber die Umver­lagerung von Steuergeldern ist gängig, sie passiert ­etwa auch für den Bahnausbau oder das Gesundheitswesen – und hier eben für einen Systemwechsel bei Antrieben. Es ist aber ­keine Verpflichtung da, elektrisch zu fahren.

ALLES AUTO: Zumindest noch nicht – ist das E-Auto überhaupt die Lösung für alle?

Aichmaier: Derzeit ist es weder für jeden passend noch leistbar. Es gibt aber genug Fälle, wo es sich rechnet. Weil bereits Rahmenbedingungen geschaffen wurden, die E-­Mobilität wirtschaftlich sinnvoll machen. Ist die Nachfragekurve zu schwach, muss man sich die Frage der Treffsicherheit stellen. Schlauere Rahmenbedingungen müs­sen ganz klar den Massenmarkt adressieren, sonst wird es nichts mit der Energie­wende im Verkehr. Denn auch ein gebrauchter Seat Mii Electric ist ein Beitrag.

ALLES AUTO: Ein gutes Beispiel – tatsächlich fehlen auf dem Markt weitg­e­hend die Kleinwagen für den urbanen Großraum, die weder viel Leistung noch Reichweite brauchen. Stattdessen haben wir schwere Mittel- und Premium-Klasse SUV mit weit über zwei Tonnen und hunderten PS.

Aichmaier: Die Hersteller könnten die ­Volumenmodelle sehr wohl bauen, die Kunden fragen sie aber nicht nach. Im Grunde genommen ein klassisches Henne-Ei-Pro­blem. Wenn der Markt nicht entsprechend der gesetzten Ziele funktioniert, ist die ­Politik gefragt, dorthin zu lenken. Derzeit badet die E-Mobilität aus, was an langen Entscheidungsprozessen vertagt wurde.

ALLES AUTO: Ist der Stellenwert, den die ­E-Mobilität dennoch im politischen Alltag hat, gerechtfertigt?

Aichmaier: Die E-Mobilität rettet die Welt nicht, sie steht derzeit im Spannungsfeld zwischen Energiewende und Verkehrswende. Die Mythen der E-Mobilität müssen zerstreut und durch Fakten ersetzt werden – wann hast du den Vorteil, wann ist der Break-Even, was kostet es dich?

ALLES AUTO: Die Klimaziele haben Sie im Gespräch schon erwähnt – werden wir die erreichen?

Aichmaier: Was den Straßenverkehr betrifft: Mit der jetzigen Nachfrage bei der E-Mobilität werden wir die Ziele 2030 nicht ­erfüllen. Wir sind aber auch nicht ganz schlecht unterwegs. Es bedarf aber noch massiver Maßnahmen, um die Nachfrage nach sauberen Fahrzeugen zu unterstützen.

Foto: Robert May

Dieser Beitrag erschien zuerst in Print-Ausgabe 6/2022 von ALLES AUTO