Jochen Rindt und der Briefträger

15. Mai 2020
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Jochen Rindt war längst ein Weltstar, als ich als junger, unerfahrener Motorsportreporter 1969 in die Redaktion des „Kurier“ einrückte. Ich kannte Rindt nicht persönlich, und er wusste nicht einmal, dass ich existierte. Im „Kurier“ drückten sie mir einen Zettel mit der Telefonnummer Rindts aus seinem Domizil am Genfer See in die Hand. „Sie müssen den Rindt täglich um halb zehn anrufen, damit wir bis zur Redaktionskonferenz um elf wissen, ob wir eine Rindt-Geschichte einplanen sollen“, instruierte mich der zuständige Sportredakteur. – „Und was soll ich dem Rindt sagen?“, fragte ich schüchtern. „Fragen Sie ihn einfach, was es Neues gibt“, antwortete der Redakteur in väterlichem Tonfall.

Die ersten drei Wochen, ich klingelte Rindt jeweils pünktlich um halb zehn an, antwortete Rindt, ohne sich irgendwelchen Ärger anmerken zu lassen, auf die Frage, was es Neues gebe, jedes Mal trocken: „Nichts“. – „Danke“, sagte ich verlegen. Rindt riet mir: „Rufen Sie mich morgen wieder an, vielleicht weiß ich da etwas.“ Er wusste aber wieder nichts. Bei der Redaktionskonferenz beachteten mich die Kurier-Blattmacher bald nicht mehr. Wenn ich an die Reihe kam, machte der Chef vom Dienst sofort ein Hakerl und murmelte: „Effenberger…der hat keine Geschichte…“

Am 27. Tag der Rindt-Telefonate, Rindt war schon per du mit mir, überraschte mich der Formel-1-Star, hörbar gut aufgelegt, auf meine immer wiederkehrende Frage, was es Neues gebe, mit der befreienden Antwort: „Heute ist der Briefträger gekommen.“ Diese dramatische Nachricht wollte ich der Redaktionsversammlung aber auch nicht präsentieren – das Gelächter der Kollegen wollte ich mir ersparen.

Eines Tages läutete auf meinem Schreibtisch das Telefon. Jochen Rindt war dran. Die Kollegen ulkten: „Na, bitte. Jetzt ruft der Rindt schon von selbst an. Wie hast ihn denn eingekocht?“ Rindt erzählte mir von den veränderten Abstimmungsdetails an seinem Lotus. „Weil der Heinz (Prüller, Anm.) bringt das morgen im ‚Express‘, und ich will nicht, dass du ohne Geschichte dastehst, das wäre nicht gut für dich.“

Nach so vielen Nullmeldungen benötigte ich bei der Redaktionskonferenz dann aber doch eine Menge Überzeugungskraft, um mein erstes Interview mit Jochen Rindt in der Zeitung unterzubringen.

www.buch-effenberger.at

Foto: Joost Evers/Anefo (nationaalarchief.nl)