Der internationalen Motorpresse wird der Mercedes 190 E 2,3-16 Anfang Mai 1984 am Nürburgring vorgestellt, einem geschichtsträchtigen Ort für die Stuttgarter: Das erste Rennen hier gewann 1927 Rudolf Caracciola – auf einem Mercedes SSK. Doch mit der Mordschleife hat der neue Grand Prix-Kurs nichts mehr gemein, er zeigt sich auf 4,5 Kilometer verkürzt und vor allem entschärft. Es war übrigens einer der Leidtragenden der alten Strecke, der am Sicherheitskonzept des neuen Rings mitgewirkt hat: Niki Lauda. In der von Hassliebe geprägten Beziehung des rotweißroten Aushängeschilds mit dem Nürburgring ist also ein neues Kapitel aufgeschlagen – und ein weiteres kommt wenig später dazu. Am 12. Mai 1984 wird die neue Rennstrecke eröffnet, zu diesem Zweck veranstaltet Mercedes mit 20 technisch identischen 190 E 2,3-16 ein bis heute einzigartiges Schaurennen.
Das personelle Starterfeld dazu hat es wirklich in sich, Daimler konnte das Who-is-who der Vollgas-Branche verpflichten, allesamt frühere Nürburgring-Sieger, darunter neun F1-Weltmeister: Jack Brabham, Phil Hill, John Surtees, Denny Hulme, James Hunt, Jody Scheckter, Alan Jones, Keke Rosberg – und eben Niki Lauda. Hans Herrmann und Stirling Moss, die Althasen aus der Mercedes-Motorsportgeschichte, gehen ebenfalls an den Start, der bereits 72jährige Juan Manuel Fangio zieht sich das Spektakel als Außenstehender rein, also Tribüne statt Bühne. Weitere PS-Promis im Starterfeld: die damals aktuellen Grand Prix-Piloten Alain Prost, Elio de Angelis und Jacques Laffite sowie Tourenwagenmeister Klaus Ludwig. Mario Andretti und Emerson Fittipaldi führen als Ausrede fürs Fernbleiben ihr Engagement beim US-Klassiker Indy 500 an, der Schotte Jackie Stewart hat Ford versprochen, Showrennen zu meiden. Aus einem ähnlichen Grund springt auch der amtierende Weltmeister Nelson Piquet im letzten Moment ab – Brabhams Motoren-Lieferant BMW will den Brasilianer nicht in einem Mercedes fahren sehen, es reicht schon, dass Piquet privat einen 500 SEL bewegt. Daimlers Marketingchef Gerd Kremer hat schnell Ersatz parat: Ayrton Senna. Obwohl Piquets Landsmann bereits fünf Formel I-Rennen für das britische Toleman-Team auf dem Konto hat, ist er wohl der am wenigsten bekannte Starter in dieser illustren Runde.
Und die Einsatzfahrzeuge? Auf den ersten Blick scheinen die 20 Stück 190 E 2,3-16 wie serienmäßig vom Band gelaufen, lackiert in schwarz oder rauchsilber, also den einzig verfügbaren Farben für die kleine Sport-Limousine. Zur optischen Unterscheidung werden bloß Startnummern aufgeklebt und dazu die Nachnamen der Piloten auf Scheibe und Fahrzeug-Flanke. Der Blick ins Innere der Baby-Benze überrascht: Die Fahrzeuge sind gar nicht nackt ausgeräumt, haben noch Teppiche und Rückbank drin, zum Großteil auch Extras wie Radio, Schiebedach und elektrische Fensterheber. Immerhin gibt es einen Überrollkäfig, Feuerlöscher, einen Batterie-Trennschalter, Sechspunktgurte und Rennsitze. Letztere sind über die Mercedes-typischen Schalter in der Türverkleidung in der Länge zu verstellen – elektrisch! Gerhard Lepler, der Mann für besondere Benz-Projekte, hat unterm Blech natürlich kleine, feine Modifikationen vorgenommen: Härtere Federn und Dämpfer sowie eine Spurverbreiterung über spezielle Felgen sorgen zusammen mit Pirelli P7 für mehr Kurven-Kompetenz, die kürzere Achsübersetzung bringt besseres Spurt-Vermögen – und der Entfall zweier Auspuff-Töpfe vor allem sportlicheren Sound.
Autosammler Heinz Swoboda (im linken Bild neben Niki Lauda) hat den Mercedes 190 E 2,3 16 im Jahr 2017 bei einer Oldtimer-Messe in Deutschland erstanden[/vc_message]
Pole hat Prost vor Senna und Carlos Reutemann. 120.000 Zuschauer haben sich am neuen Nürburgring eingefunden, das Mercedes-Rennen wird sogar live im Fernsehen übertragen, allerdings erst nach Ausstrahlung der Eröffnungsrede von Bernhard Vogel, dem Ministerpräsidenten von Rheinland Pfalz. Durch die fehlenden TV-Bilder von den ersten Minuten ist unklar, wer Prost in Runde eins von der Strecke schiebt, was diesen zahlreiche Plätze kostet. „Es war Senna“, erinnert sich der Franzose in einem Interview drei Jahre später. Der junge Brasilianer fährt jedenfalls mit der Machete zwischen den Zähnen, will die große Bühne nutzen und es allen zeigen. Es herrscht typisch nasskaltes Eifel-Wetter, tricky macht die Sache neben Slicks auch das für Rennfahrer ungewohnte ABS – als würde man Sebastian Vettel heute mit einem Abstandsregel-Assistenzsystem auf den Red Bull-Ring schicken. Senna ist also in Führung, seinen Speed kann auch Tourenwagen-Spezialist Klaus Ludwig nicht mitgehen, obwohl es der Deutsche ja gewohnt ist, links vorne zu sitzen. Dahinter entwickeln sich teils abenteuerliche Rennszenen, viele Piloten kommen von der Strecke ab, Keke Rosberg nimmt immer wieder die neuen Sturzräume in Anspruch, weil ihm die Piste ausgeht, andere kürzen bewusst über die Botanik ab – James Hunt wird quasi zum Rädelsführer der Rasenmäher, als mittlerweile passionierter Golfspieler fühlt er sich auf dem Green sichtlich wohl. „Die neue Rennstrecke ist leider ganz anders als die alte“, stellt der Brite wehmütig fest. Hunt war acht Jahre zuvor der letzte GP-Sieger am Nürburgring – ja genau, das war das Rennen mit Laudas fürchterlichem Feuer-Unfall.
Bereits in Runde drei muss Alan Jones mit Motorproblemen an die Box, in der Zwischenzeit kämpft sich Prosts McLaren-Teamkollege Niki Lauda Auto um Auto nach vor, bald fightet er mit John Watson um Platz zwei. Nachdem der Nordire von der Ideallinie abkommt, ist das Duell entschieden. In der zehnten von zwölf Runden fliegt Prost von der Strecke, kann aber weiterfahren, gleichzeitig sendet der Auspuff von Nikis Mercedes Rauchzeichen, weshalb Lauda keine Chance hat, seine zwischenzeitliche Führung (Zur Erinnerung: Er war vom letzten Platz gestartet!) zu behalten. Senna siegt rund eineinhalb Sekunden vor Niki Lauda, danach folgen Reutemann, Rosberg, Watson, Hulme, Scheckter, Brabham, Ludwig und Hunt. Stirling Moss mit Startnummer eins wird noch vor Prost 14. John Surtees (Rang elf) nimmt kurz nach dem Rennen Kontakt zu seinem ehemaligen Boss Enzo Ferrari auf, um ihm den Brasilianer als Werkspilot schmackhaft zu machen. Ein italienisches Gastspiel kommt jedoch nie zustande, 1985 fährt Senna für Lotus (mit den Engländern holt er auch seinen ersten GP-Sieg), später auf McLaren und Williams, bis er unsterblich wird.
Und wie geht es mit dem Mercedes 190 E 2,3-16 weiter? Aus ihm wird recht bald ein erfolgreicher Tourenwagen, einen offiziellen Werkseinsatz gibt es jedoch erst 1988, in diesem Jahr wird Roland Asch DTM-Vizemeister, den Gesamtsieg für Mercedes gibt es mit 2,5 Litern Hubraum erst 1992, also im zehnten Baujahr des 190ers. Auch die Karriere des Ayrton Senna nimmt 1984 nach dem Sternstunden-Event am Nürburgring so richtig Fahrt auf. Drei Wochen nach dem Schaulauf in Deutschland erringt das brasilianische Ausnahmetalent im GP von Monaco Platz zwei hinter Erzrivalen Prost. Weil das chaotische Regenrennen im Fürstentum frühzeitig abgebrochen werden muss (was Prost am Funk aufgrund seiner stürmisch aufholenden Verfolger Senna und Bellof immer wieder fordert), gibt es am Ende nur die halben Punkte für die WM-Wertung, und damit wird am Ende der Saison nicht Prost Weltmeister – sondern Niki Lauda.