Mit dem Mercedes TC63S AMG im Schnee

21. März 2016
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„ICH KANN NICHT NOCH GEFÜHLVOLLER GAS GEBEN, DAS IST STANDGAS!“ schallte es aus dem Fahrerfenster. Der Ruf galt den zwei schon leicht erbosten Kollegen, die sich mit aller Kraft gegen die Nase des AMGs lehnten, während seine Hinterräder sie mit Dreck bewarfen. Der Kombi war festgefahren, in leicht feuchtem und nachher jedenfalls sehr gut umgepflügtem Gras. Es hätte dieser Zeitpunkt sein sollen, an dem man die Idee nochmal überdenkt, sich mit dem Mercedes C63 AMG S T-Modell auf die „Suche nach dem Schnee“ zu machen. Er war es aber nicht.

Die Grundidee war einfach zu verlockend: Man hat hier ein Auto mit massig Power, Hinterradantrieb, und einem riesigen Kofferraum. Was damit zu tun ist, war also klar: Ein Ski- und Snowboardwochenende mit einem Ausflug auf eine kurvige, beschneite Straße kombinieren. Einfach eine Mordsgaudi haben. Das Problem allerdings: Unsere Redaktion ist in Wien. Und gibt’s hier Schnee? Oder Berge? Eben. Außerdem hatte es zur Stunde Null unserer Mission Mitte Jänner rund 18 Grad – nix also mit „Mordsgaudi“.

 

mercedes_c63s_amg_67_mayDoch zumindest waren Zeit, Ort und Temperatur passend, um sich mit den technischen Details des Sterns mit dem Kürzel T C63 S zu beschäftigen. Am verlockendsten ist dabei freilich der Blick unter die Haube. Dort lauert ein 4-Liter V8, der dank Zwangsbeatmung durch zwei zwischen den Zylindern liegenden Turboladern (die Formel 1 lässt grüßen) maximal 510 PS und satte 700 Nm Drehmoment entwickelt. Im Grunde ist der V8 damit identisch mit dem, den man in Affalterbach auch in den AMG GT-S schraubt. Nur dass er hier sogar NOCH stärker ist: Die Maximalleistung liegt statt bei 6.250/Min schon ab 5.500 Umdrehungen an und es stehen ganze 50 NM Drehmoment mehr zur Verfügung als beim GT-S. Man braucht also kein Cern-Physiker zu sein um sich ausrechnen zu können, dass dieser Kombi – auf gut Deutsch – geht wie die Feuerwehr. Eben jene könnte übrigens auch durchaus mal unnötigerweise auf den Plan gerufen werden, wenn man den Power-Rucksack anständig fordert. Während der Benz all die Power nämlich beim Geradeauslauf noch erstaunlich gut auf die Straße bringt, sind in ESP-losen Kurvenfahrten bei kleinen Gasstößen Quer-Einlagen mitsamt starker Rauchentwicklung quasi vorprogrammiert. Dabei ließe sich das Qualmen recht einfach vermeiden. Zwei Arten fallen mir ein: eine mit gleichzeitiger Abnahme des Spaßes – also mittels ESP. Oder aber (mein Favorit) mit Schnee unter den Gummis! Also ab ins Auto, voll machen den Kofferraum, raus aus dem Grün und rein ins Weiß!

 

Und es fing alles auch so gut an. Von Wien aus Richtung Westen aufbrechend, fanden sich schnell die ersten Schneeflocken in der Luft – überraschend schnell. Mehr noch: Es dauerte nicht lange, da wurde aus den einzelnen Flocken schnell dichtes Schneegestöber … sehr dichtes. Doch der Benz hielt sich tapfer, gab sich auf der kräftig gezuckerten A1 ganz als brave C-Klasse: langstreckentauglich und bequem. Per Schalter in den Eco-Modus versetzt, entkrampft sich das knackige Fahrwerk etwas, die Klappe der Abgasanlage bleibt zu, der Motor schnurrt bei niedrigen Drehzahlen vor sich hin und die Schaltung lässt es sanft angehen. So hätten wir locker noch bis in die französischen Alpen weiterfahren können – und dabei nicht mal allzu oft tanken müssen. Immerhin wies der AMG am Ende unserer üblichen Testverbrauchsrunde durchaus passable 10,5 Liter Durchschnittsverbrauch aus. Aber hey: Bei 72.113,48 Euro Grundpreis und 3.034,44 jährlicher KFZ-Steuer sind die Treibstoffkosten irgendwie eh wurscht. Deswegen: Runter von der Autobahn, rauf auf die gut angeschneite Landstraße irgendwo südlich von St. Pölten. Sportmodus rein, Schaltung auf Manuell und Hurra! Schon bei kleinsten Gas-Stößen kommt das Heck. Das ESP gewährt nun ein wenig zusätzlichen Spielraum, fängt den Kombi-Hintern aber trocken wieder ein, wenn es sein muss. Vor allem aber ist nun die Auspuffklappe offen. Und es tut mir leid, aber an dieser Stelle wird noch einmal schwere Umgangssprache fällig: Ja bist denn du deppert, das Ding klingt geil! Vom tiefen Grollen bis zum furiosen Brüllen liefert der AMG alles, was audiophilen Autofans die Ganserlhaut über die Arme treibt. Herrlich!

So im weißen Element herumpubertierend wurden dann auch schnell so manch Anrainer der nun erreichten Ötscher-Gegend auf uns aufmerksam. Selbst für den vermeintlichen Aufriss zweier Skihaserl hat’s gereicht. Auch wenn der besonders laute Auspuffsound von ihnen wohl ebenso belächelt wurde wie unsere Versuche, am Motor ein Spiegelei zu braten. Aber unseren Kaffee haben’s getrunken – und auch an sich scheint der Wagen ganz gut angekommen zu sein.

 

mercedes_c63s_amg_82_mayIst halt am Ende des Tages bei all der Knallerei immer noch ein neuer Mercedes. Also ein durchaus nobles Gefährt, bei dem vor allem auch der Innenraum zu begeistern weiß. Besonders dann, wenn beim Ordern der besonders große Bestellstift ausgepackt wird: Vollleder, Karbon-Einlagen, Head-Up-Display, Schiebedach, 360°-Kameras, das große Navi samt Online-Features – alles zu nennen, würde den Rahmen sprengen. Nur so viel: Am Ende hatte sich der erwähnte Grundpreis von 72.113,48 fast verdoppelt.

Aber immerhin: So ausgestattet hat man es dann als Fahrer auch sehr gemütlich und schön, wenn man stecken bleibt. Und das kann einem mit 510 PS, Hinterradantrieb und Niederquerschnittreifen schnell einmal passieren, wenn der Schnee dank anhaltendem Fall und völliger Räumfahrzeugabsenz plötzlich 15-20 cm hoch auf der Straße liegt. Genau diese Situation fanden wir im tiefsten Niederösterreich nämlich plötzlich vor … von wegen Schnee wäre schwer zu finden. An diesem Wochenende hätte es ruhig etwas weniger sein dürfen. Gut nur, dass einige der Kollegen, die sich mit mir auf die Suche nach dem kristallin gefrorenen Wasser gemacht haben, ja schon Übung im Schieben hatten.

 

War der AMG Kombi dann aber mal in Bewegung, eröffnete sich auch im tiefsten „Winter-Wonderland“ noch eine Welt der puren Freude. Im Race-Modus fallen endgültig alle Restriktionen: Der Motor spielt sein infernales Lied aus Verbrennung und Vortrieb nun komplett ungehindert, die Abgasanlage kracht, blubbert und schreit, die Turbos pfeifen und zwitschern, die Hinterräder hoffen das Beste und des Fahrers Gesicht bekommt zusehends Ähnlichkeit mit dem des Joker, der gerade erfolgreich Batman über ein Säurebad gehängt hat. Das ist Sportwagen-fahren in seiner großartigsten Form. Vor allem aber, weil bei all der Kraft, all dem perfekt ausbalancierten Handling im und jenseits des Grenzbereichs und all der Emotion keine Abstriche im Alltag gemacht werden müssen. Zwei Snowboards, Helme, Schuhe, Jacken, Bratpfanne, Thermoskanne und Wasserskiseil (dazu kommen wir später) waren so mühelos im Kofferraum verstaut, dass noch locker Gepäck für eine Woche Urlaub dazu gepasst hätte. OK: Männergepäck, aber immerhin!

Außerdem sitzen bei Bedarf auch fünf Leute noch recht bequem im Auto und man kann sich dank guter Übersicht und Wendigkeit problemlos durch jeden Innenstadt-Alltag bewegen. Auch sonderlich auffallen täte man dabei kaum, solange man es nicht darauf anlegt. Klar: Die AMG-Schürzen sind mit deutlich größeren Lufteinlässen versehen als die Standard-Teile, doch gar so einen auf dicke Hose macht der AMG optisch trotzdem nicht. Wer also nicht genauer hinschaut oder sich auskennt, könnte den T C63 S glatt „übersehen“. Außer es hängt aus reinem Spaß an der Freude ein Snowboardfahrer hinten am Auto dran, versteht sich …

 

Das bringt mich zum Schlusswort und Fazit, das mit einer ernst gemeinten Frage starten soll: Ist der AMG T C63 S das perfekte Auto? Ich bin geneigt, „ja“ zu sagen. Immerhin ist er Jekyll und Hyde in einem: Familienkombi bei Tag, Reifen-Schlachter bei Nacht. Einkaufswagen am Freitag, Trackday-Waffe am Sonntag. Brav und relativ unauffällig wenn er muss, unbarmherzig und brutal wenn er darf. Natürlich kostet er ein Vermögen. Natürlich ist er somit nicht das perfekte Auto für uns alle. Und dennoch: viel besser wird Autofahren nicht. Wenn man es sich aussuchen kann, aber bitte nicht auf losem Schnee.