Was haben die Premium-Alemannen tatsächlich selbst erfunden und nicht jenseits des Rheins abgeguckt? Modularer Längsbaukasten mit drei Radständen für 16 Karosserien in 43 Versionen. Front/Mittelmotor zur entspannten Gewichtsverteilung. Stromlinie mit Scheiben aus Sekuritglas, versenkten Türgriffen und Sicherheits-Zapfenschlössern. Elektromagnetische Halbautomatik mit vier Gängen in beide Fahrtrichtungen. 12 Volt-Netz statt der üblichen sechs. Elektrisches Metallfaltdach à la SLK gab es bereits 60 Jahre vor dem SLK, bei Peugeot. Was brachte deren Zweier-Reihe 202-302-402 nicht in Serie, was heute Mercedes oder Volksaudi auf ihre Premium-Flaggen reklamieren?
Einen „Schwerölmotor“ hatte Peugeot seit 1936 im 402 Lkw, im Pkw erst 1939 zur Erprobung in Pariser Taxen, drei Jahre nach Hanomag Sturm und Mercedes 260 D, weil die Bürokratie derlei verbot; Versuchswagen nagelten sogar als Cabrios. Hydraulische Bremsen hatte vor dem bei Simca gebauten Fiat 11 CV 1934 der Frontantriebs-Citroën 11 CV. Die breite, selbst tragende Karosserie des „Traction Avant“ ist moderner, obwohl sie konservativer aussieht als Peugeots Stromlinie. Deren schmaler Tiefbettrahmen mit Kabelzugbremsen und aufgesetztem Blechgehäuse war aber, dank amerikanischer Werkzeuganlagen, flexibler und viel billiger herzustellen. Citroën musste 1934 vom Hauptgläubiger Michelin gerettet werden, Renault 1945 verstaatlicht. Peugeot blieb Familiensache, als zweitältester Autobauer hinter Panhard und zweitgrößter Franzose hinter Citroën, vor Renault. Zwischen diesen Fronten war Simca Lizenznehmer von Fiat, bald Ford, dann Chrysler. Von den Amis kam 1934 auch der Airflow in Stromlinie, die das bisherige Autodesign alt aussehen ließ und auch Peugeot inspirierte. Der Airflow missriet zum ersten Flop der Branche, Peugeot aber traf mit dem 402 die Konten gutbürgerlicher Käufer am oberen Ende des Massenmarktes: Ärzte, Apotheker und Anwälte, Ingenieure und Textil-Kaufleute. Nach heutigem Geldwert würde unser 402 Légère 121.000 Euro kosten. Ein Peugeot im deutschen Premium-Revier: Daran scheiterten seit 1975 die Nummern 604, 605, 607 – zum 606 kam es erst gar nicht.
Die Deutschen und Peugeot. Ferdinand Porsche, Anton Piëch, Albert Speer wollten im besetzten Sochaux Volkskübelwagen fertigen lassen und den Lastkraftwagen Opel Blitz, den auch Daimler-Benz bauen musste. Tatsächlich produzierte man Lkw vom 402, rüstete auf Holzgasbetrieb um, montierte Ende 1944 beim Anrücken der Alliierten alles ab, was sich nach Wolfsburg verfrachten ließ, also 90 Prozent. 35 Mitarbeiter hatte man schon früher abholen lassen, 40 gleich an Ort und Stelle liquidiert. Nicht unbegreiflich, warum die Peugeots 1945 darauf drängen, die Porsches und ihren Piëch zu verhaften, oder noch 1963 ihr Veto gegen „901“ erheben, nicht aber gegen den Bristol 402. Viele Peugeot 402 dienten in der SS. Der Schweizer General Henri Guisan, bis 1968 unhinterfragter Nationalheld, ließ sich im Fond eines 402 Cabriolets chauffieren, ohne Holzgasofen am eleganten Heck.
Im Frieden fuhr der spätere Nobelpreisliterat von 1957 Albert Camus den Metalldachfalter Éclipse („Sonnenfinsternis“). Ebenso eine „Sündige Affentänzerin“ (Kritik zu ihrem Wien-Auftritt 1932 im Ronacher), was die Naturgewalt der in Paris blühenden Schwarzamerikanerin Josephine Baker (1906–75) nur ungenügend würdigt. Peugeot im kleinen Sochaux in Ostfrankreich, Fußballmeister 1935/38 in den Farben hellblau-gelb, war eine kollegiale Bruderschaft protestantischer Prägung, anders als die katholischen Egomanen Louis Renault und Agnelli. Ein Gegenpol auch zum künstlerischen, nach damaligem Verständnis „jüdischen“ Intellekt eines André Citroën oder Ettore und Jean Bugatti. Die anderen Autobauer der Großen Nation, sie hämmern und schweißen am Sündenpfuhl Paris, Stadt der Front- und Heck-Triebe.
„La Fuseau de Sochaux“ – mit „Spindel“ von Sochaux übersetzten Deutsche den französischen Volksreim. Guckt man im Dictionnaire nach, findet man was Treffenderes: „Die Rakete von Sochaux“ hatte Ingenieur Henri Thomas mit 402-302-202 angespitzt. Unser Légère kombiniert die kürzere Karosserie des 302 mit dem Motor des 402 – quasi ein „voiture musculaire“. Was beim Fahren nicht spontan zu spüren ist. Nach heutigem Empfinden ist nach der Startprozedur (Zündung, Zündzeitpunkt, Choke, Startzug) auch das Anfahren Geduldsache. Auch der kürzeste 402 ist ein langes, schmales Automobil mit eher gezügelten Pferdestärken. Aber wenig Gewicht und viriler Durchzugskraft, die niemand zu beziffern suchte: Drehmoment war kein Thema, Motorleistung nur im Sinne der Steuerklasse, in diesem Fall elf „Cheval-Vapeur“ für Dampf-Pferde. Den 12. Platz eines Légère in der Rallye Monte-Carlo 1938 (Startort Athen) erfuhr hinter zwei Ford V8 und drei Matford, einem Renault Primaquatre, zwei Hotchkiss und drei Lancia Aprilia ein Charles de Cortanze; sein Nachkomme André dient später als Rennfahrer, Rennleiter und Konstrukteur, la Madame und Mademoiselle de Cortanze als Pressechefinnen. Um das Sporttalent des 402 ins reche Licht zu rücken, bemühten wir uns bei Laxenburg bei Wien um ein Kurvenfoto, prompt belohnt mit zwei Anonymverfügungen: Tempo 63 statt 50. Man unterschätze keinen Achtzigjährigen.
Jeder zehnte 402 wurde zum Aufpreis von zehn Prozent mit einer von Jean Cotal patentierten Halbautomatik geliefert, einer elektromagnetischen Gangvorwahl am Hebel rechts hinterm Lenkrad. Das Kupplungspedal dient zum Anfahren oder zum weicheren Schalten, mehr nicht. Nicht zu verwechseln mit dem Wilson Preselector-Getriebe, das wir seit Heft 5/2010 aus dem Lago-Talbot kennen. Auch nicht zu verwechseln mit der ebenfalls 1935 im 402 vorgestellten Vollautomatik ohne Kupplungspedal des Gaston Fleischel: Peugeot war diese zu teuer für den Heimmarkt, vier 402 mit Automatik à la Fleischel lieferte man an Chrysler und Borg Warner in die USA – was Folgen haben sollte. Und wer hätte je gedacht, dass Peugeot als erster Europäer in Indianapolis die 500 Meilen gewann? 1913 war das und 1916 erneut – mit einem Vierzylinder mit Vierventilkopf und doppelten Nockenwellen. Recht lange vor BMW M3 und Mercedes 2.3-16 jedenfalls.
„A guats Auto, der Pühschoh!“ warb Volksschauspieler Ossi Kolmann (1928–2016) in den 70ern für den 504. Den hatte ihm der Wiener Austria-Fußballpräsident Sir Joschi Walter (1925–1992) vor die Tür gestellt, weil er Geschäftsführer und Adoptivsohn von Peugeot-Importeur Carl Jeschek war. Erzählte uns der Ossi in Heft 9/2010. Jeschek vertrat seit 1933 Peugeot in Ost- und Südösterreich, im Westen der Ersten Republik tat dies Rudolf Leischko in Linz von 1923 bis 2001. Wie viele Peugeot mag der Vösendorfer Auto-Metzger namens Auto Metzker seit 1936 verwertet haben? Das Foto eines 202 Stationswagens mit Holz um die Hütte findet sich, unterfertigt 1950 mit einer 1 Schilling-Stempelmarke. Von 75.000 Peugeot 402 überleben etwa 500, die Deutschen und ihre Auslandseinsätze sind schuld. Eine Handvoll 402 und 302 wohnt im Raum Wien, im Freundeskreis der Amicale Peugeot, ein zweiter Légère mit Handschaltung in fester Damenhand.
Das Abenteuer Peugeot erlebt unser Gastgeber Joseph Boucher alias Josef Metzker mit seiner Erwachsenwerdung. Metall-schwere Kindheit am Autoschrottplatz, Jugend mit billigen Exoten. Nach Liebesaffären mit Lamborghini, Neunelf, Käfer, Golf und Saab schließlich Vorkriegsautos – weil diese Szene wenig unter Wertsteigerungs-Exzessen leidet. Erstaunlich, wie wenig da vieles kostet und welche technisch-kulturelle Substanz man für überschaubares Geld findet, so man Lifestylemodemarken meidet, statt Bentley und Bugatti halt Peugeot.
Stellt man sich den 402 als Nachkriegswagen vor, käme dabei vielleicht ein Jaguar 2.4 Litre oder 240 heraus, die kosten aber 50 Prozent mehr, wenn nicht das Doppelte. Frankreich-Kenner Eric Antoni hält den 402 Légère um 21.000 Euro für eine Mezzie, im Heimatland wäre er teurer. Weil ihn im Ausland kaum wer kennt. Das hat Gründe, die man Peugeot (wie den anderen Galliern) deutlich vorhalten muss: den deutschen Premium-Prätendenten bei deren Geschichts-Vermarktungs-Schwindeleien nichts entgegen zu setzen. Würdigen wir also die Preiswürdigkeit von Schiebedach-Limousinen, umso mehr die von agilen Achtzigjährigen. Und damit das auch so bleibt: nicht weitersagen!