Porsche 911 GT3 gefahren: Gewalt auf der Straße

18. Juli 2017
Keine Kommentare
6.875 Views
Aktuelles

Was nach einem Tag im Porsche GT3 wirklich auffällt, ist vor allem, wie sehr der menschliche Körper in der Evolution hinterherhinkt. Vor allem zwei Beispiele sollten einem zu denken geben: Es ist nicht das Auto, das in Kurven wankt und schwankt, sondern nur der eigene Oberkörper im Kampf mit den Fliehkräften. Und langsam ist der letzte Sauger-Porsche wirklich nicht – man ist es als Turbo-Schlaffi bloß nicht mehr gewöhnt, wirklich bis ans Drehzahl-­Ende zu drehen. Das bringt einen schon ins Grübeln. Auch, dass man bei so einem Auto glaubt, es wäre bei der Modellpflege nicht viel passiert, nur weil die Räder die gleichen geblieben sind. Dabei charakterisiert dieses Detail den neuen GT3 am besten. „Die schauen einfach immer noch gut aus, also haben wir sie einfach beibe­halten“, meint Andreas Preuninger, Projektleiter für GT-Fahrzeuge schmunzelnd. Viel wurde verändert, verfeinert und überar­beitet. Aber in klassischer Rennsport-Manier eben nur jene Dinge, die das Auto auch schneller, stärker und besser machen. Neue Felgen nur der Optik wegen zu montieren, hätte einfach nicht dazu gepasst. Immerhin stand die Modellpflege des sportlichen ­Elfer-Ablegers unter einem großen Motto: Effizienzsteigerung.

Das klingt zwar erschreckend emotionslos. Dennoch ist es den Jungs aus Stuttgart gelungen, den lebendigsten Elfer auf die Räder zu stellen, den die Palette derzeit zu bieten hat. Sicher ist ein Turbo S schneller, der GTS alltagstauglicher und ein Cabrio offe­­­­­­­­ner. Aber hier geht es um die reine Sportwagen-Lehre, die (mehr oder minder) ­letzte Fackel im Sturm, den eine teuflische Erfindung entfacht hat: der Turbolader. Das pure Erlebnis eines Saugmotors, eines hei­seren Sounds, eines schier endlosen Drehzahlbands und der unvergleichlich spontanen Art, auf Gasbefehle zu reagieren – das gibt es bei Porsche nur mehr bei den GT-Modellen. „Dabei werden wir natürlich auch bleiben“, entkräftet Frank-Steffen Walliser, Chef für Motor­sport- und GT-Fahrzeuge, sämtliche Untergangs-Szenarien, die im 911 R den letzten seiner Art gesehen haben. „Wir stehen zu den Saugern, zumal uns der Mitbewerb dieses Feld ja komplett überlassen hat.“

 

Und da hat der gute Mann absolut recht. Denn wo sind sie alle geblieben, die großen Motorenbauer? Ferrari? Scusi, zwei kleine Turbos können schon mal passieren. BMWs M-Modelle wurden vom Ladedruck regelrecht erdrückt, ähnlich geht es bei Daimlers AMG- sowie Audis S-Modellen zu. Und McLaren baut auch nichts an­deres mehr als aufgeladene V8. Lamborghini & Pagani? Spielen in ­einer anderen Preis- und Performance-Klasse. Das neue Einhorn der ­Automobilwelt hat also sechs Fäuste im Heck.

Und wenn einem die Techniker die Details des neuen ­Motors aufzählen, können sie so viel Seriosität vorspielen wie sie wollen – doch dieser Auftrag war für sie auch mehr als nur Arbeit. Abgeleitet direkt vom Aggregat aus dem GT3 Cup-Modell verfügt der Boxer nun über vier Liter Hubraum. Die 0,2 Liter mehr ergeben zwar den Leistungssprung von 25 PS, das eigentliche Geheimnis ist aber die reduzierte Reibleistung durch zahlreiche neue ­Innereien, die für spürbar leichteres Hochdrehen im Teillastbereich sorgen, was dem überhypten 911 R immer ein wenig gefehlt hat. Und dazu endet das Drehzahlband erst bei 9000 Touren. Neuntausend! So hoch drehte seit dem vierzylindrigen Honda S2000 kein anderer Motor mehr. Ganz so einfach war das jedoch nicht zu reali­sieren. Der komplette Ölkreislauf musste umgestrickt werden. Die Kurbel­welle wird nun direkt mit Schmierstoff von der Pumpe versorgt, und der Ventil­trieb vertraut auf starre Stößel. Neue Techniken, feinere ­Toleranzen und bessere Materialien sorgen jedoch dafür, dass man nicht alle 10.000 Kilometer zum Nachjustieren in die Werkstatt muss. „Das hält über die Gesamtlebensdauer“, meint Walliser, wobei offiziell von 160.000 Kilometern gesprochen wird – was auch immer das jetzt über die Dauerhaltbarkeit aussagt.

Die anliegenden 500 PS jedenfalls sind von der rohen Sorte, die einem nicht wie bei einem Turbomotor weichgekocht auf dem Silbertablett serviert werden. Hier braucht man noch die Axt zwischen den Zähnen, muss den Boxer für maximale Leistung auswringen wie ein nasses Handtuch. Der dankt es einem dafür mit einem surrealen Sound, wie wenn man beim Beschleunigen irgendwann auf schnellen Vorlauf gedrückt hätte. Wir haben es hier definitiv mit dem am wütendsten klingenden Straßenmotor der Welt zu tun. Sechs bis zu 9000 Mal pro Minute stampfende Häferl muss man auch akustisch erst einmal verarbeiten, wobei der Turbo-Schlaffi in einem anzumerken hat, dass man auf Dauer vielleicht ein ­bisserl taub wird.

 

Vor allem, wenn man zum Schaltgetriebe greift. Erstmals in der GT3-Geschichte gibt es nämlich die Wahlmöglichkeit zwischen PDK und handgerührt. Manuell bedeutet zwar 17 Kilo Gewichtsersparnis, doch effizienter ist natürlich die Doppelkupplung mit sieben Fahrstufen und erschreckend kurzen Schaltzeiten. Ausgerechnet jenes Bauteil, das die Hardliner so sehr verteufeln wie den Turbolader, das andererseits erst den großen Hype um den GT3 auslöste. „Dank PDK war der erste 991 GT3 schon ein großer Erfolg“, erzählt Preuninger über ein Phänomen, das selbst Porsche ein wenig überraschte. Denn so bekam die Hardcore-Variante den nötigen Schuss Alltagstauglichkeit. Sogar die Schalensitze sind erstaunlich bequem. Und das Einzige, was wirklich stört, ist der Blick auf den um 20 Zentimeter höheren Heckspoiler im Rückspiegel, der einem genau die Sicht auf das nachfahrende Auto verhagelt. Es könnte ja schließlich die Exekutive sein.

Doch andererseits: Der Flügel wäre nicht da, würde er keinen Sinn ergeben. Und tatsächlich ist er Teil eines schlauen Strömungskonzepts aus Schürzen und Leitwerken, das bei deutlich erhöhtem Abtrieb keine Verschlechterung des cw-Werts bewirkt. Über ­Kanäle in der Frontschürze wird der Fahrtwind geschickt an den Vorderrädern entlang der Seitenwand abgeführt. Zugleich sorgen Finnen und Anströmkörper am Unterboden dafür, dass die Luft so zielgenau wie möglich zum Diffusor am Heck geleitet wird. In Kombination mit besagtem Flügel bringt das nicht nur über 150 Kilogramm zusätzlichen Anpressdruck, sondern auch ein überragend stabiles Fahrverhalten.

Wie sehr um jedes Kilogramm gefeilscht wurde, zeigt sich am Heck: Der Stoßfänger besteht aus einer Mischung aus Carbon und PU, er wurde 20 Prozent leichter. Und allein die Karbon-­Scharniere des Karbon-Heckdeckels bringen eine Einsparung von einem ganzen Kilo. Gleichzeitig überarbeitete Porsche sämtliche Regelsys­teme, die Allradlenkung, die Dämpfer, natürlich alle Fahrprogramme – und alles führt zu der einen entscheidenden Frage: Merkt man davon auf der Straße etwas? Klare Antwort: Man weiß es nicht.

 

Tatsächlich! Der GT3 verhält sich so federleicht und lammfromm, dass man einfach nicht sagen kann, welche Maßnahme jetzt mehr Einfluss hat. Wie bei einem alten Freund, den man ewig nicht mehr gesehen hat, bei dem aber sofort wieder der Schmäh rennt, springst du in den Elfer und quetschst alles aus dem Gaspedal, was der Sechszylinder hergibt. Der mechanische Grip ist enorm. Es ist nicht so, dass sich der GT3 nicht mitzuteilen weiß – über die Fahrbahnbeschaffenheit bekommt man alles mit, auch, wenn die Michelins einmal nicht genug Halt finden sollten. Doch der Hardcore-Elfer macht das dermaßen höflich und mit einer selbstverständlichen Ruhe, dass man nicht vor Schreck vom Gas gehen würde.

Das Lenkgefühl wirkt vertraut und hat diese komische Leichtigkeit am Anfang, weil ja das meiste Gewicht auf der Hinter­achse liegt. Aber hier heißt es einfach feinfühlig am Volant zu agieren und an die Worte zu denken, die der große Walter Röhrl als Wegzehrung mitgegeben hat: Der Kurveneingang muss immer der langsamste Punkt sein. Und: Natürlich ist PDK flotter, aber das Schaltgetriebe viel gefühlvoller. Um den Glaubenskrieg also ein für alle Mal zu been­den: Man ist ohne Kupplungspedal natürlich schneller. Der Getriebe-Konstrukteur dürfte seinen Job mit dem eines Drill Instruktors verwechselt haben, so zackig löst hier ein Gang den nächsten ab. Das schafft der linke Fuß nicht. Doch gleichzeitig bringt die PDK-Box eine nervige Hektik ins Spiel wie ein hyperaktiver Lebensabschnittspartner: immer alles geben, immer voll drauf, immer am Maximum. Die Schaltbox lässt einen den Motor mehr genießen, was vielleicht ein paar Zehntel auf der Straße liegen lässt. Doch es fühlt sich richtig geil an, so viel rohe Power manuell zu verwalten. Völlig egal also, ob das Schaltgetriebe so wie der menschliche ­Körper der Elfer-Evolution ein wenig hinterherhinkt.