Ältere Semester werden sich vielleicht noch an die sogenannten „Amerikaner“ erinnern, wie die nach dem Zweiten Weltkrieg in Wien eingesetzten US-Straßenbahntriebwagen liebevoll genannt wurden. Doch als die Straßenbahnfahrer nach und nach auch den Autoführerschein erwarben, war es mit der Herrlichkeit bald vorbei – der Bedienvorgang des Bremsens erforderte beim Ami-Triebwagen im Vergleich zum Auto nämlich die gegenteilige Reaktion des Fahrers. Und die Unfälle mit der Tramway häuften sich.
Die „Amerikaner“ erfreuten sich damals in Wien großer Beliebtheit – im Gegensatz zu den alten Straßenbahnwagen, die teilweise noch aus der Zeit der Monarchie stammten, war der US-Wagen ein Sprung in die Moderne. Es gab automatische Falttüren mit ausklappbaren Trittstufen, die gepolsterten Sitzbänke waren mit Kunstleder überzogen und die Position der Rückenlehnen konnte entsprechend der jeweiligen Fahrtrichtung ausgerichtet werden, eine Tätigkeit, die dem Schaffner oblag (die Wagen waren sogenannte Zweirichtungsfahrzeuge, zumal es damals an vielen Endstationen noch keine Gleisschleifen gab). Die Halteschlaufen an der Decke wippten vor allem bei flotter Fahrt rhythmisch hin und her, was natürlich die Kinder faszinierte – die mittlerweile längst Erwachsenen erzählen davon bis heute mit leuchtenden Augen.
Da 1945 viele Fahrzeuge der Wiener Straßenbahn beschädigt oder gar zerstört waren, machte die amerikanische Besatzungsmacht die heimischen Verkehrsbetriebe darauf aufmerksam, dass in den Vereinigten Staaten teils noch sehr junge Wagen günstig zum Verkauf stünden. In den USA nahmen Motorisierung und Individualverkehr früher und schneller zu als in Europa. Die Zukunft des öffentlichen Verkehrs sahen die Amis ausschließlich in Autobussen und U-Bahnen, die Tramway stand in den Staaten im wahrsten Sinne des Wortes auf dem Abstellgleis. So wurden die erst 1939 gebauten und in New York am Broadway und in der Bronx eingesetzten Fahrzeuge Österreich zum Kauf angeboten. Der Gesamtpreis für die 42 nach Wien verschifften Triebwagen belief sich dann auf exakt 234.820 Dollar. Bei der von der Polizei überwachten Probefahrt im September 1949 säumten bereits zahlreiche Schaulustige die Strecke, um einen ersten Blick auf die modernen, ungewohnten Wagen zu werfen.
Zu den vielen Besonderheiten dieser US-Type zählte auch die Steuerung. Die Bedienung erfolgte – wie seit jeher auch bei der alten Wiener Straßenbahn üblich – zwar mittels einer Fahrkurbel, mit der bei zunehmendem Weiterschalten der Fahrstufen die Motorleistung und somit auch die Geschwindigkeit erhöht wurde. Im Unterschied zu den Wiener Fahrzeugen wurde beim „Amerikaner“ aber nicht auch mit dieser Kurbel und dem zum Generator umgewandelten Motor gebremst. Beim US-Triebwagen gab es eine eigene Druckluftanlage. Diese wurde mittels eines Fußpedals geregelt. Dazu hatte der Fahrer den Fuß auf dem Pedal stehen, und zum Bremsen entlastete er langsam das Pedal – sobald er den Fuß gänzlich vom Pedal nahm, war die komplette Bremsleistung gegeben. Vor dem Anfahren wurde das Pedal wieder gedrückt, um die Bremse zu lösen.
Diese Bedienung stellte grundsätzlich kein Problem dar – bis ab den späten fünfziger Jahren die meisten Straßenbahnfahrer den Autoführerschein erwarben und privat einen Pkw besaßen. Wenn nun plötzlich vor dem Triebwagen etwa ein Auto auf dem Gleis zum Stehen kam oder ein Fußgänger die Strecke querte, machten nun manche Fahrer im „Amerikaner“ instinktiv das, was sie von ihrem Pkw gewohnt waren: voll in die Eisen steigen, also das Bremspedal durchdrücken. Damit bewirkten sie aber das genaue Gegenteil – die Bremse wurde komplett gelöst. Dies erklärt, warum relativ oft einer der ja nur 42 Ami-Wagen in Wien in einen gröberen Unfall verwickelt wurde.
Ein weiteres Problem war die fehlende Schienenbremse. Fahrzeuge ohne diese Zusatzeinrichtung durften ab 1961 nur maximal 25 km/h fahren, was längere Fahrzeiten mit sich brachte. Gerade bei den modernen und vergleichsweise flotten „Amerikanern“ wirkte diese Beschränkung irritierend. So endete 1969 der reguläre Einsatz der amerikanischen Triebwagen. Und viele junge Leute fuhren damals ohnedies schon lieber mit dem Auto als mit der Straßenbahn – die Zeit in Richtung Vollmotorisierung war angebrochen.
Klemens Kudrna; Foto: Wiener Linien