Unter Strom gesetzt

19. Januar 2016
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Haben Sie auf youtube schon mal das Stichwort „Tesla“ eingegeben? Die Trefferzahl ist unüberschaubar, die Inhalte ähneln sich dafür oft: Beschleunigungsduelle, bei denen die Gegner aus Zuffenhausen oder Maranello (zumindest auf den ersten hundert Metern) ziemlich schlecht aussehen, oder die Gesichter fassungslos grinsender Beifahrer wenn das Ding buchstäblich wie vom Katapult geschossen abzieht. Grund genug also, um dem Hype rund um dieses E-Mobil auf den Grund zu gehen.

Im konkreten Fall bot sich ein Tesla S P85D zur Probefahrt an. Die Eckdaten: knapp 2,3 Tonnen Gewicht, Allradantrieb, zwei E-Motoren, rund 700 PS System-Spitzenleistung und 1000 Nm Drehmoment vom Stand weg. Auf dem Papier mal ehrfurchterbietende Werte, die zumindest unter Serienlimousinen kaum Konkurrenz haben. Porsche Panamera Turbo S? Vergessen Sie’s! Ein S 65 AMG käme vielleicht noch grad mit, allerdings zum zweieinhalbfachen Preis.

Keine Öko-Optik

Optisch hat der Tesla gegenüber seinen elektrischen Mitbewerbern schon mal einen Vorteil: Er schaut von außen aus wie ein richtiges, modernes, cooles Auto und nicht wie ein gutes ökologisches Gewissen auf Rädern. Und wer sich in gewissen Designdetails an Aston Martin erinnert fühlt, liegt nicht ganz falsch. Der Schöpfer des Tesla hat früher nämlich für die englische Edelschmiede gearbeitet. Innen bekommt man einen Vorgeschmack darauf, wie vermutlich die meisten Autos der nächsten Generation aussehen werden: Ein digitales Armaturendisplay und ein riesiger Touchscreen statt einer Mittelkonsole, über den so ziemlich alles eingestellt wird, vom Fahrleistungsmodus über den Radiosender bis zum Öffnen des Schiebedachs. Generation i-pad halt. Ob die Emotion der Technik damit rüberkommt, muss jeder für sich selbst entscheiden. Wer aber auf klassische Schalter steht, könnte es schon bald ziemlich schwer haben. Denn Tesla hat wohl die automobile Zukunft vorweggenommen. Auch der Rest der Innenraumanmutung mit Leder und Alcantara ist durchwegs auf Oberklassenniveau.

Produkthaftungsgesetze lassen grüßen

Also endlich ans Steuer und überprüfen, was an den youtube-Videos dran ist: Und es stimmt – das Mörderdrehmoment, das vom Stand weg ansteht, sorgt für ungläubiges Lachen, die Beschleunigung ist anders als bei jedem normalen Auto. „Katapult“ ist der einzige Vergleich, der einem dazu einfällt, die Werksangabe von unter vier Sekunden auf hundert scheint nicht übertrieben. Die Abstimmung des Allradantriebes und der Antischlupfregelung ist ganz offensichtlich geglückt. Dadurch, dass das Getriebe nur über einen Gang verfügt, gibt es nicht mal Schaltpausen. Und das ganze eben fast völlig geräuschlos, nicht mal die Reifen quietschen merklich. Wer jetzt aber Blut geleckt hat, ein bisserl spielen möchte und auf der Suche nach dem ESP-off-Schalter ist, der wird enttäuscht. Kontrollierte Beschleunigung ist offensichtlich das Einzige, das in den USA noch unter „Spaß“ durchgeht, launige Drifts fallen wohl unter „groben Unfug“ – wahrscheinlich auch amerikanischen Produkthaftungsgesetzen geschuldet. Nicht auszudenken, wie hoch die Schadenersatzklage an Tesla wäre, würde sich ein grobmotorischer Ami mitsamt seinem Gefährt in den Straßengraben vertschüssen, nachdem die 1000 Nm ungezügelt über die vier Räder hergefallen sind. (Angeblich ist sogar dieser Wert künstlich begrenzt, da man bei Tesla nach Testfahrten mit einem ungedrosselten Motor der Meinung war, diese Kraft sei Normalverbrauchern nicht zumutbar.)

Nächster Kritikpunkt: die Beschleunigung ist umso weniger imposant, je schneller man ist. Wenn man bei Tempo 120 auf der Autobahn – äh – Strom gibt, geht zwar schon ordentlich was weiter, aber nicht in dem Ausmaß, in dem man es angesichts der Leistungsdaten erwarten würde. Ein V8 Bi-Turbo aus einem M5 oder RS6 wäre jetzt eine andere Liga. Hier schließt sich dann auch der Kreis zu den anfangs erwähnten Beschleunigungsvergleichen: Auf den ersten Metern ist ein Tesla aufgrund seiner einzigartigen Kraftabgabe tatsächlich fast konkurrenzlos, aber je länger die Strecke ist, umso mehr schließen Porsche, Ferrari & Co auf und überholen eben auch früher oder später.

Zwiespältiges Resümee

Und somit bleibt das Resümee des Tesla irgendwie zwiespältig: Die Technik hat wahrscheinlich Potential für die Zukunft, die aktuellen 250 – 300 km Reichweite (angeblich selbst im Sommer mit Klimaanlage oder im Winter mit Heizung) genügen für den Alltag (so man zu Hause über eine Garage mit Stromanschloss verfügt) und werden sich in absehbarer Zeit wohl noch erhöhen. Die gut 30 Minuten Ladedauer (bei Schnellladung) für 90 Prozent volle Batterien sind auf Langstrecken schon problematischer – und hier ist zumindest derzeit auch kein Quantensprung in Sicht.

Aber was soll ich vor allem mit einem Auto mit 700 PS, 1000 Nm, das immerhin auch 130.000 € kostet, das seinen Haupteinsatzzweck im alltäglichen Stadtverkehr und auf der Kurzstrecke hat? Für solche Leistungsdaten gibt es eigentlich keine Begründung, außer Spaß haben zu wollen, eine Kurve auch mal quer zu nehmen und vielleicht sogar die eine oder andere Runde auf einer Rennstrecke zu drehen. Wobei letzteres auch nicht geht, weil der E-Motor nicht auf diese Art von Dauerbelastung ausgelegt ist und nach wenigen Minuten einfach die Leistung kappt. (Daher gibt’s auch keine offizielle Nordschleifenzeit.) Um ökologisch nachhaltig ins Büro zu kommen, gibt’s günstigere Alternativen. Da bleibt dann für den grenzenlosen Beschleunigungsspaß auch noch mehr als genug Geld für ein ordentliches Motorrad über – und für ein langstreckentaugliches Auto, mit dem sich Wien-Triest problemlos nonstop absolvieren lässt.

 

Ich bin seit vielen Jahren als Journalist tätig, komme aber eigentlich aus dem kulinarischen und touristischen Eck. Allerdings - die Faszination von allem, was zumindest zwei Räder und einen Motor hat, hat mich nie losgelassen. Daher lege ich wert auf Autos mit Heckantrieb und komplett deaktivierbarem ESP und liebe es, mit meinem Motorrad auf große Tour zu gehen. Außerdem ich habe in der Vergangenheit viel Zeit auf Rennstrecken, bei Fahrtechniktrainings und bei Kartrennen verbracht. Da war es dann irgendwann eine logische Konsequenz, die Faszination am Fahren auch in Worte fassen zu wollen. Hoffe, Ihr habt so viel Spaß am lesen wie ich am Schreiben.

2 Kommentare

  1. Er bringt es auf den Punkt! Ich würde noch eine gewisse Unsicherheit erwähnen, was die Zukunft dieses Autos angeht: Was passiert wenn Elon in 2 Jahren auf die Idee kommt die Bude zu schliessen? Wer kann dann mein Softwareproblem im Auto lösen?
    Steht dann mein Auto mangels fehlendem SW-updates?

  2. Ich glaubs ja schon, dass die E-dinger gut und leise laufen. Das mit der Reichweite ist halt das Problem. Die Autofachzeitschriften sollten so ein Fahrzeug nach 4 Jahren testen. Sind es da noch immer 150 km (250 beim Tesla mit Autobahntempo) im Sommer bei vollgeladener Batterie ohne Licht und Heizung und Kühlung und Scheibenwischer? Jeder Handynutzer kennt inzwischen den Leistungsabsturz des Akkus nach ein, zwei Jahren. Und wie sieht der Wiederverkaufswert nach ein paar Jahren aus? Bringt man das Ding ohne vorherige Batterieerneuerung auch wieder los und zu welchem Preis? Ich meine, dass das E-Autofahren erst mit Brennstoffzelle eine akzeptable Reichweite und damit Akzeptanz erreicht. Denn dann tankt man halt Wasserstoff anstelle Benzin/Diesel. Aber das wird bei den derzeitigen Ölpreisen noch eine Weile auf sich warten lassen, bis es wirtschaftlich wird.

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