Volks-Samba: der Volkswagen SP2

17. Dezember 2018
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Na hören Sie mal, wo gibt’s denn sowas: Im Mutterland rappeln kreuzbrave VW vom Band, und plötzlich kommt ­einer aus Brasilien und zeigt den einheimischen Herren, was man denn so alles aus einem Käfer zaubern kann.“ Rudolf Leiding erläutert aus der Distanz der Jahre, warum der SP2 nie nach Europa gekommen ist. Der gelernte Kfz-Mecha­ni­ker über­nimmt 1968 den Chefsessel bei Volkswagen do Brasil und wird die Produktion inner­halb von drei Jahren um 50 Prozent steigern. Sein Lieblings-Vorhaben freilich, das ist seiner großen Liebe gewidmet. Das „Projekt X“ startet Leiding 1970: Ein kostengüns­tiger Sport­­wagen soll dem Puma die Krallen stutzen – die brasi­lianische Raubkatze fährt seit 1967 mit einer hübschen Gfk-Karosserie auf einer Groß­se­rien-Bo­den­grup­pe von VW, worüber man bei uns in der heurigen Mai-Ausgabe lesen konnte. Sportwagen-Importe sind im Ama­­zonas-Staat ob absurder Zölle mehr oder we­niger unmöglich – doch Bedarf ist sicht­lich da, zunehmend auch bei dynamischen Da­men. Also soll der Wagen vor allem Helga gefallen, der Gattin von Rudolf Leiding. Der 56­-Jährige liefert selbst die ersten Skiz­­zen für seine Herzensangele­genheit, den Fein­schliff darf ein Team aus jungen De­sig­nern und Ingenieuren übernehmen. Schon im November 1970 ist das erste Ton­mo­dell fertig. 16 Millionen D-Mark als Budget klingen alles andere als üppig, doch man ent­wi­ckelt ja im Inland und darf sich groß­zügig aus dem Teileregal von VW do Brasil bedie­nen. Ei­genständig Entscheidungsgewalt hatte Leiding auch als Be­dingung dafür ge­macht, dass er als Statthalter von Wolfsburg nach São Bernardo do Campo gesandt wurde, ­ei­nem Vorort der Metr­o­pole São Paolo.

Prototyp? Salon-Showcar? Design- Studie? Mitnichten, der VW SP2 lief ganz offiziell vom Band – leider in Brasilien und eigentlich nur für den dortigen Markt.

Prototyp? Salon-Showcar? Designstudie? Mitnichten, der VW SP2 lief ganz offiziell vom Band – leider in Brasilien und eigentlich nur für den dortigen Markt.

 

Bereits im März 1971 wird der Projekt X-Proto­typ ebendort auf der deutschen Industrie­messe der Öffentlich­keit präsentiert, da arbeitet Rudolf Leiding schon wieder in seiner Heimat – als ­Audi-Chef. Freilich nur ein halbes Jahr, dann übernimmt er als Konzern­lei­ter das große Steuerrad in Wolfsburg. Damit hätte es doch eine Möglichkeit von höchs­ter Stelle ge­ge­ben, den hübschen Volkssportler ins Europa-Programm aufzunehmen, oder?

Stimmt, doch der Sciroc­co scharr­t da schon in den Startlö­chern, ab 1974 soll er die sport­liche Linie bei VW vorgeben – quasi als Coupé-Version des Golf. Pikan­terie dabei: Gera­de Leiding ist kein Freund der neuen Frontmotor-Strategie des Hauses. Doch als er zurück in die Konzernzentrale kommt, ist der Weg Richtung Wasserkühlung und Vorder­rad­an­trieb schon eingeschlagen, weiß auch der damalige Technik-Vorstand Ernst Fiala. Der Pro­fessor aus Wien, gerade erst 90 geworden, blickt für uns in den Rück­spiegel: „Auch aus wirtschaftlicher Sicht hätte ein Europa-Import keinen Sinn ge­habt, denn in Brasilien wurde nicht gerade günstig produziert. Außerdem wollten wir das europäische Händler- und Werkstatt-Netz nicht mit einer zusätzlichen Komplexität über­fordern.“

 

Zurück nach Südamerika. Als Partner für die Produktion des SP holt man sich Karmann – die Osnabrücker unterhalten auch ein Werk in Brasilien, nur einen Speer­wurf von der VW-Fabrik entfernt. Dort fertigte man bereits in kleiner Stückzahl Ghia-Kar­män­ner sowie seit 1970 das ebenfalls VW-basierte Touring Coupé, vulgo TC, einen von Giug­iaro ge­lun­gen ge­stylten 2+2-Sitzer. Karmann kümmert sich um den Karosseriebau, Lackie­rung und End­mon­tage erfolgen aus Qualitätsgründen bei Volkswagen – je nach ­Quelle schafft man dort 20 bis 25 SP pro Tag. Die Boden­grup­pe stammt ungekürzt vom bra­siliani­schen Typ 3, der süd­amerikanischen Schachtel, die seit 1968 am Markt ist. Das be­deutet Heckmo­tor, Pen­del­achse hinten, dazu Käfer-Kurbellenkerachse vorne – und vier Nippel, die alle 10.000 Kilometer abgeschmiert werden wollen. Für die SP1 ge­nann­te Basis-Version wird das Triebwerk unverändert vom VW 1600 übernom­men, doch nur wenige Käufer wollen sich mit 54 PS abspeisen lassen. Für den SP2 bohrt man den Boxer auf 1700 Kubik auf und bestückt ihn mit größeren Vergasern, mehr als 65 PS sind aber ob der geringen Ver­dichtung von 7,5:1 nicht drin, getankt wird schließlich süd­ameri­kanischer Spru­del. „Sem Potência“, also „ohne Leistung“, so inter­pre­tieren Augen­zwin­kernde den Na­men des hübschen Zweisitzers, dabei steht SP einfach für São Paolo. Kurz wird über den Einbau des Triebwerks aus dem Volks-Porsche 914 nach­gedacht, das käme jedoch zu teuer, denn in ­Sachen Einfuhrzölle ist die brasilianische Mil­i­tärre­gie­rung ziemlich aus­länder­feindlich. Dazu mischt sich der Staat auch in die Preis­ge­staltung der Fahrzeuge ein.

Für einen VW ist der SP innen gar sportlich und luxuriös, gepolstertes Armaturenbrett, eine hübsche Mittelkonsole, sechs dekorative Rundinstrumente – so sieht ein Volks­wa­gen in jenen Jahren eigentlich nicht aus. Dazu finden sich hinter den Sitzen lederne Ge­päck­spanngurte, das kommt in den besten Häusern vor. Leder gibt es auch optional als Bezugsstoff für die Sitze, an weiteren Extras lassen sich Gurte, Feuer­lö­scher, Radio und Pannendreieck ­ordern. Die Farbpalette ist bunt gemischt, obligat sind rote re­flek­tie­rende Zierstreifen seitlich, die geradewegs in die Heckleuchten münden. Fesch ist der SP2, richtig fesch. Wir treffen den Brasilo-Sportler in Berchtesgaden, wo alle zwei Jahre Ende September das Rossfeldrennen stattfindet. An zwei Tagen geht es je drei Mal den Berg hinauf und über eine eindrucksvolle Panoramastraße wieder zurück ins liebevoll ins­zenierte Fahrerlager – das muss man ­gesehen haben! So wie als Old­ti­mer-Fan die­sen raren VW. Immer wieder werden wir von Zuschauern und Teil­neh­mern auf den SP2 angesprochen. Ist das ein Prototyp? Nein, davon wurden über 11.000 Stück gebaut. Wa­rum habe ich so einen noch nie gesehen? Nur knapp 700 Stück ge­langten in den offiziellen Export, nie aber nach Europa, der Großteil ging nach Afrika, aber auch in den Nahen Osten.

Jetzt aber hinein ins Cockpit. Der Einstieg gelingt einem durchschnittlich gelenkigen Menschen ganz gut, selbst Groß­gewachsene finden genug Platz. Und die Sitzposition ist ob kleinem geschüsseltem Volant wirklich gut. Brav schiebt der Boxer von unten heraus an, die Schaltung über den kleinen Hebel zeigt sich überraschend knackig und kurzwegig, auch die Reak­tion auf Lenkrad-Bewegungen ist so gar nicht Käfer-like – 2,7 Umdrehungen sind es von Anschlag zu Anschlag. Vertrauenerweckend legt sich die keine 1,2 Meter tiefe Flunder in die Kurve, und schon beginnt man zu sinnieren, wie sich der SP2 mit einem moti­vierteren Motor anfühlen würde. Vor allem der Anschluss vom Zweiten auf die Dritte lässt den Vorwärtsdrang bergauf einknicken, immerhin zeigt sich der Murl trotz dünnem Teppich zum Innenraum hin ganz gut gedämmt in Sachen Wärme und Geräusch.

Die charakteristischen roten Zierstreifen sind reflektierend, das war womöglich eine gute Ausrede für das Nichtzu­standekommen eines Europa-Imports. Karosserie von Karmann aus Stahlblech, Gfk wie beim brasilianischen Bruder Puma traute man sich bei VW nicht zu.

Die charakteristischen roten Zierstreifen sind reflektierend, das war womöglich eine gute Ausrede für das Nichtzu­standekommen eines Europa-Imports. Karosserie von Karmann aus Stahlblech, Gfk wie beim brasilianischen Bruder Puma traute man sich bei VW nicht zu.

 

Zeitgenössische Testberichte, zumal in Deutsch, sind kaum zu finden. Immerhin: Für die Ausgabe 12/1973 reist ein Redakteur der „auto motor und sport“ nach Brasilien, um ei­nen SP2 zu erfahren. „Viel Beschleunigung kann man nicht erwarten“.

Moniert wird dazu der flache und vom Reserverad teil-okkupierte Kofferraum vorne. Den Bremsen attes­tiert der Tester Schwergängigkeit, aber auch gute Wirksamkeit. Die Schaltung findet der Kollege natür­lich ebenfalls toll. Doch im Grenzbereich erweist sich der SP2 als kräftiger Un­ter­steu­e­rer, was allerdings den brasilianischen ­Pirellis zugeschrieben wird. Der Autor schließt mit Frage: Warum kommt dieses Auto nicht nach Europa? Werner Schmitt, da­mals Chef bei VW do Brasil, der Mann, der glücklichen Händlern, die einen SP zu­geteilt bekamen, ge­raten haben soll, das ­Auto nicht zu verkaufen, sondern als Blick­fang in den Schau­raum zu stellen, kann sie nicht beantworten. 35 Jahre später hat es eine erkleck­liche An­zahl SP2 über den Atlantik geschafft, man mun­kelt von einem deut­lich zwei­stel­ligen Bestand in Europa. Den allerersten Grau­import aller­dings, den tätigte ausge­rech­net VW-Boss ­Rudolf Leiding: Er ließ einen SP2 frisch aus der Fabrik einfliegen – für Gattin Helga zum Geburtstag.

Geradezu keck, das Heck. Die roten seitlichen Zierstreifen münden zielsicher in die Rückleuchten, das Hitzeblech für den Auspuff-Endtopf hätte VW aus ästhetischen Gründen besser in Wagenfarbe lackieren sollen.

Geradezu keck, das Heck. Die roten seitlichen Zierstreifen münden zielsicher in die Rückleuchten, das Hitzeblech für den Auspuff-Endtopf hätte VW aus ästhetischen Gründen besser in Wagenfarbe lackieren sollen.

Daten & Fakten

B4, 8V, zwei Fallstromvergaser Solex 34 PDSIT, 1678 ccm, 65 PS bei 4600/min, max. Dreh­­moment 123 Nm bei 3000/min, Viergang-Getriebe, Hin­ter­rad­an­trieb, vorne Einzel­radaufhängung, Kurbellenkerachse, hinten: Pendelachse, Längslenker, Dreh­stabfedern, vorne und hinten: Quertorsionsstäbe, Teledämpfer, Stabilisator; Schei­ben­brem­­sen v, Trommeln h, Schneckenlenkung, L/B/H 4217/1608/1158 mm, Rad­­stand 2400 mm, Spur­­­weite v/h 1340/1380 mm, Wen­dekreis 11,3 m, Reifendimen­sion 185 SR 14, Tank 40 l, Koffer­raum v/h 140/205 l, 2 Sitze, Leer­gewicht 890 kg, Gewichts­ver­teilung v:h 43:57, 0–100 km/h ca. 17,5 sec, Spitze 161 km/h, Ver­brauch (DIN) 8,0 l ROZ 95/100 km

Bauzeit: 1972–76

Lebenslauf:

1971: im April Vorstellung von SP1 und SP2 auf der deutschen Industriemesse in São Paolo; 1972: im Juni Produktionsstart; 1973: SP1 läuft Ende aus; 1975: Im Oktober wird der 10.000. Wagen gebaut; 1976: Im Februar rollt der letzte SP2 aus der Fabrik; ein SP3-Proto­typ mit wassergekühltem 1800er-Reihenmotor aus dem Passat TS wird ge­baut, schafft es aber nie in die Serie

Stückzahl: 11.123 (davon 162 Exemplare SP1 mit 54 PS)

Neupreis: ca. € 8000,–

Marktwert heute (guter Zustand, lt. Classic Analytics): ca. € 24.000,­–

Alternativen: Alfa Romeo GT Junior, Fiat 128 3P, Lancia Fulvia Coupé, Matra Bagheera, Opel GT/J, Saab Sonett III, VW-Porsche 914/4