Vorwort
Die Jahreszahl auf diesem ALLES AUTO-Jahrbuch 2021 kaschiert ein wenig, dass es natürlich die Geschichten des Jahres 2020 enthält – das Jahr, in dem sich die Welt sehr plötzlich und sehr drastisch verändert hat. Wer hätte gedacht, dass ein Virus dem Klimawandel im globalen Katastrophen-Ranking noch den Rang abläuft? Soll man angesichts solcher Umstände überhaupt ein Heft herausbringen, das eine Nebensache abfeiert – wenn auch die, zumindest für uns, schönste überhaupt? Man soll nicht nur, man muss. Das seit 1897 existierende und in Großbritannien sehr populäre Garten- und Gesellschafts-Magazin „Country Life“ etwa hat sein Erscheinen auch während zweier Weltkriege und sämtlicher Weltwirtschaftskrisen nie eingstellt. Und so nebensächlich wie Autos sind das Anlegen von Blumenbeeten und die jeweils aktuelle Hutmode in Ascot wohl schon lange. Tatsächlich geht es da wie dort um das Gleiche: Um die Normalität und die Pflege ganz persönlicher Interessen – gerade in einer Zeit, in der beides sonst vielleicht zu kurz kommt.
Wobei die Begriffe Normalität und Interesse beim Automobil von heute natürlich ihre Tücken haben. Glauben wir dem allgegenwärtigen Marketing-Getöse, dann sind Elektrifizierung, betreutes Fahren und Digitalisierung die Norm und im Allgemein-Interesse. Wir sind der Meinung, dass es nicht so ist. In diesem Heft werden Sie daher keine E-Auto-Hymnen finden. Und auch die Storys über modernste High-Tech-Sportler erwähnen garantiert nicht, wie exakt sein Spurhalteassistent arbeitet, ob er ein gutes Restaurant vorschlägt oder über sein Online-Navi die optimale Route gefunden hat. Weil wir wissen: Fahrspuren sind zum Anschneiden da, das beste Lokal findet man eh nur durch Zufall, und der schnellste Weg ist im richtigen Auto nicht erstrebenswert, sondern eine böswillige Verkürzung des Fahrspaßes. Die Tendenz, das Auto zu einem digitalen Allzweckgerät zu machen, befriedigt vielleicht die Zukunfts-Sehnsüchte weniger, killt aber sukzessive die Emotionen der Mehrheit.
Der moderne Mensch hinterlässt Spuren auf dem Planeten. Und in der Atmosphäre. Viel stilvoller als mit einem schönen alten Auto geht es nicht, zumindest wenn man sein Hobby rücksichtsvoll ausübt und sich an gewissen Orten bzw. zu gewissen Zeiten vor Augen führt, dass der Gänsehaut-Sound des geliebten Oldies von anderen als Lärmbelästigung empfunden wird. Ein schlechtes Gewissen sollte man sich aber nicht einreden lassen, schon gar nicht von Menschen, die – bis aufs ihre Auto-Abstinenz – nicht frei sind von Klimasünden aller Art. Alte Autos erhalten Handwerksbetriebe, beleben die Wirtschaft, ermöglichen Netzwerke auf Basis von Emotionen. Sie werden repariert und am Leben erhalten, setzen also ein schönes Ausrufezeichen in unserer Wegwerfgesellschaft mit immer kürzer werdenden Lebenszyklen von Gebrauchsgegenständen.
Die Old- und Youngtimer in diesem Heft dürfen wir daher getrost als das Gegengift zum Trend des Beliebig-Praktischen ansehen. In den letzten Monaten ist ihre Bedeutung als Rückzugsort von allem, was rundum so passiert, vielleicht noch schätzenswerter geworden. Ungeachtet aller Krisen sind sie auch deswegen so beliebt und wertvoll – nicht unbedingt in Euro zu bemessen, sondern rein persönlich. Wie die Zahl von Renaissance-Gemälden, mittelalterlichen Rüstungen oder antiken Schriften ist der Bestand von klassischen Fahrzeugen weltweit limitiert. Ab und zu tauchen vielleicht ein paar bis dahin unentdeckte Stücke auf, das war’s dann aber auch. Wer sich die Suche danach ersparen will, nicht in Scheunen und Garagen stöbern oder verschwommenen Spuren nachgehen möchte, kann die schönsten Seiten davon einfach in diesem Heft genießen. Wir geben gerne zu: Es waren auch für das ALLES AUTO-Team die Highlights eines Jahres, das damit sonst eher geizig umging. Umso mehr freuen wir uns, sie auch diesmal wieder mit Ihnen zu teilen.
Stefan Pabeschitz,
Autor ALLES AUTO
Folge uns
4.290 Likes
1.040 Subscribers
6.000+ Follower