Traumauto Test McLaren Artura

31. Oktober 2023
Keine Kommentare
1.659 Views
Aktuelles

Diesmal zäumen wir das Pferd von hinten auf und wählen einen Zugang, der in der Welt des Luxus überhaupt nicht gern gesehen wird. Bevor wir uns nämlich hinter das Steuer des Protagonisten dieser Story begeben und uns in den Supercar-Bann aus Emotionen und High-Performance ziehen lassen, wollen wir übers Geld reden. Möchte man ein über 600 PS starkes Auto mit einem Top-Speed von 330 km/h fahren, rangiert man bei Porsche im Bereich 911 Turbo S. Einstiegspreis: 328.701 Euro. Der – zumindest, was das technische Grundkonzept mit V6 Plug-In-Hybrid angeht – ­direkte Konkurrent aus Maranello, der Ferrari 296 GTB, beginnt bei 319.932 Euro. Zugegeben, der hat deutlich mehr Dampf (nämlich 830 PS). Aber auch der „nur“ 630 PS starke Maserati MC20 (ebenfalls mit V6, jedoch ohne E-Boost) kostet mit 290.856 Euro deutlich mehr als der McLaren Artura mit seinen 235.148 Euro. 

Hybrid-Antrieb für NoVA-Entfall

Wie kommt’s? Die britische Flunder ist dank Plug-In-Hybrid-Antrieb und ­einer E-Reichweite von 31 Kilometern von der NoVA befreit, weil er im WLTP-Mix nur 5,5 Liter verbraucht. Klingt krank, ist aber so. Und bevor jetzt jemand sagt, dass die schwere Hybrid-Technik ­vollkommen fehl am Platz ist in einem Supersportwagen, sei vorab vermerkt: Keiner der oben angeführten Konkurrenten wiegt weniger als der Artura. Ganz im Gegenteil, er ist unter den oben erwähnten der Leichteste – die hauseigene „Carbon Fibre Lightweight Architecture“ macht es möglich, das Mehrgewicht des Plug-In-Antriebstrangs wird so einfach wettgemacht.

 

Die Idee des Ansteck-Hybrid im Bereich der Supersportwagen ist an sich nicht neu: McLaren selbst hat mit dem Hypercar P1 bereits gezeigt, was möglich ist. Ferrari (zunächst auf etwas ­andere Art mit dem LaFerrari, dann mit SF90 und eben 296 GTB) sowie ­Porsche (Aushängeschild 918 Spyder, aber auch zivile Geräte wie Cayenne oder Panamera) haben ebenfalls etwas für diese ­Symbiose übrig. Die realisierbaren Leistungsdaten sind sensationell, der unmittelbar ansprechende E-Motor kann dem Verbrenner unter die Arme greifen, wenn Drehmoment und Leistung noch nicht vollends anliegen. Die Abstimmung der einzelnen Systeme, die Eindämmung des Mehrgewichts und der Verlust an roher Sportwagen-Emotion schreckten bislang dennoch einige Hersteller ab. Lässt man sich jedoch auf die Herausforderung ein und dreht an den richtigen Schrauben, kann Großartiges entstehen. Ist dies der Tradi­tions-Firma aus dem britischen Woking gelungen?

Geduckter Supersportler

Das Erlebnis McLaren beginnt noch vor der Auseinandersetzung mit dem Thema Antrieb. Natürlich ist ein geduckter Supersportler in auffäligem Farbkleid ein Ereignis an sich. Doch wohl kein anderes Design-Element schreit mehr nach Supercar, mit kaum einer anderen Eigenschaft kann man besser angeben als mit exzen­trischen Scherentüren. Deren Öffner sind unter der Kante positio­niert, die in den großen seitlichen Lufteinlässen mündet. Die ­Taste selbst ist gerade so auffällig gestaltet, dass einem Novizen die Schmach erspart bleibt, vor den neugierigen Augen der Passanten (die im Umkreis eines McLaren allgegenwärtig zu sein scheinen) an diesem Geschoß herumzufummeln, um endlich entern zu können. Knopferl finden, drücken, dann die Tür leicht anheben – ist ein „kritischer Punkt“ erreicht, passiert das Öffnen praktisch von allein, bis die Türen beinahe senkrecht in die Höhe ragen. Nächster Schritt: einsteigen. Ein Vorgang, der den Fahrer zwangsläufig mit einer der prägenden Eigenschaften dieses Supersportwagens konfrontiert. Der McLaren baut wie erwähnt auf einem Kohlefaser-Monocoque auf, und dessen Schweller ist ziemlich  massiv ausgeführt – um ins Cockpit zu schlüpfen, muss erst diese Barriere überwunden werden. Was im Alltag bald umständlich wird, trägt maßgeblich zum Rennsport-Feeling bei. 

Hinter dem Steuer hat man nur einen Auftrag: fahren.

Im serienmäßigen Schalensitz (elektrisch verstellbares Gestühl gibt es optional) angelangt, ist Fokussierung angesagt. Hinterm Steuer hat man nur einen Auftrag: fahren. Mit Augen­merk auf das Wesentliche. Lenkrad ohne Knöpfe, ideal positionierte Schaltwippen, wenig verspielte Digital-Instrumente mit klarem und unmissverständlichem Informations-Transfer. Die Verstellung für Dämpfer, ESP und Fahr-Modi (E-Mode, Comfort, Sport, Track) sind ebenfalls in bester Griffweite, und dank ergonomischer Formgebung auch ohne Hinsehen zu identifizieren. Noch einmal: ­Fokus auf das Wesentliche. Beide Hände aufs Volant, Blick auf die Straße. Die Gangwechsel werden vom Doppelkupplungs-Getriebe präzise und mit Nachdruck umgesetzt. Die Sport-Pedalerie ist ideal angeordnet, der Bremswiderstand hoch. Vorne sind Sechskolben-Sättel und Carbon/Keramik-Scheiben mit 390 Millimetern Durchmesser verbaut, hinten sind es vier Kolben und immer noch 380 Milli­meter – stets von der britischen Firma AP Racing zugekauft. Wer brachial verzögern will, muss sich trauen und gewaltig draufsteigen – wie im Rennwagen. Wir erkennen ein Muster. 

Alleinstellungsmerkmal Lenkung

Die Lenkung ist vergleichsweise wenig servo­unterstützt, sie vermittelt verhältnismäßig ungefiltert das Feedback der Vorderräder. McLaren vertraut praktisch als einziger Hersteller immer noch auf eine elektrohydraulische Lenkung, alle anderen setzen auf rein elektrische Systeme. Kurvenfahren macht so viel Freude, dass man sogar anfängt, auf Geraden Schlangenlinien zu ziehen. Die fahraktive Abstimmung trägt ihr Übriges dazu bei: McLaren meint es ernst mit dem Sportwagenbau – auch wenn die Fahrzeuge durchaus im Alltag zu bewegen sind, liegt das standesgemäße Räubern am allermeisten im Fokus des Artura. Wer gar den Besuch auf der Rennstrecke ins Auge fasst, kann schärfere ­Pirelli Semislicks und eine Strebe hinter den Sitzen für die ­Montage von Sechspunktgurten ordern. Für den Einsatz auf der Straße empfehlen sich freilich die regulären Pneus und Gurte.

 

Kontroverser V6-Hybrid

Dass wir uns erst im letzten Abschnitt dieses Berichts dem Thema Antrieb widmen, hat im Prinzip einen Grund. Diesen McLaren kauft man wohl nicht wegen seines Motors. Oder doch genau deswegen? Zwar handelt es sich bei dem in Eigenregie entwickelten Doppelturbo-V6 um ein technisch faszinierendes Aggregat (maximale Drehzahl 8500 Touren, Zylinder im 120 Grad-Winkel, nur 160 Kilo Gesamtgewicht), in der Praxis verrichtet es seine Arbeit jedoch relativ humorlos. Effektiv, aber wenig emotional geht die Allianz der Kraft aus Verbrenner und E-Motor ans Werk. Ferraris V6 hat zweifelsohne direktere Auswirkungen auf die Neigung der Nackenhaare. Kein Vorteil ohne Nachteil: Weil der Antrieb im Mc­Laren niemandem die Show stiehlt, kann man sich auf alle anderen Feinheiten umso besser konzentrieren. Der eine oder andere wird es zudem auch cool finden im Ortsgebiet, entlang von Almen oder beim Verlassen der Garage rein elektrisch unterwegs zu sein. Wer das nicht so supersportwagenmäßig findet, kann sich immerhin am dadurch erreichten Entfall der NoVA erfreuen.

Daten & Fakten

Basispreis in € 235.148,–
Zyl./Ventile pro Zyl. 6/4
Hubraum in ccm 2993
PS bei U/min 585 bei 7500
Nm bei U/min 585 bei 2250–7000
Systemleistung 680 PS bzw. 720 Nm
L/B/H, Radst. in mm 4539/1913/1193, 2640
Kofferraum/Tank in l 160 / 66
Leergewicht in kg 1498
0–100 km/h in sec 3,0
Spitze in km/h 330
WLTP-Normverbrauch in l (kombiniert) 5,5
CO2-Ausstoß in g/km 129