Klimaschutz: Nachhaltigkeit in der Automobil-Produktion

7. Januar 2024
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Aktuelles

Im öffentlichen Polit- und Marketing-Getöse rund um die Elektromobilität wird gerne übersehen, dass in einer Umstellung der Produktion mindestens ebenso viel ökologisches Potenzial steckt. An dessen Ausschöpfung bis zurück in die Lieferkette arbeiten die meisten Hersteller bereits intensiv und investieren dabei große Summen in die Einsparung von CO2 und den Ersatz problematischer Werkstoffe.

Grundsätzlich wird dafür in vier Hauptbereichen gearbeitet: der Umstellung auf erneuerbare Energiequellen, der ­Reduzierung von Komponenten, der Verwendung biobasierender Materia­lien und der Intensivierung von Re-Use und Recycling. Um bis zu 80 Prozent weniger Kohlendioxid soll die Produktion eines Pkw bis 2030 gegenüber dem Wert von 2019 verursachen – in Zahlen wäre das ein Durchschnittswert von nur noch 1,5 Tonnen CO2 im Vergleich zu vormals sechs. Den größten Anteil daran liefert die Umstellung der Hochofen-Befeuerung für die Stahlverhüttung von Kohle- oder Gasbetrieb auf mit Ökostrom hergestellten Wasserstoff, natürlich auch die Versorgung der Fabriken selbst mit Strom aus erneuerbaren Quellen.

Doch auch in der Produktionslogistik steckt Potenzial – etwa mit der sortenreinen Sammlung von Schnittmaterial in den Presswerken. Bis vor kurzem wurden die unterschiedlichen Stahl- und Alu-Qualitäten, die dort zum Einsatz kommen, unsortiert gesammelt. Inzwischen gehen die einzelnen Mate­rialarten getrennt zurück in die Neuverarbeitung, womit der Aufwand dort entsprechend sinkt. Mit der intensiven Nutzung von Recycling- und Se-kundär-Ma­terial sowie der Umstellung der Energiequellen lässt sich allein die Karosseriefertigung mit bis zu 83 Prozent CO2-Reduzierung betreiben, rechnet etwa BMW vor.

So wie Recycling heute verstanden wird, beginnt es nicht erst mit der Wiederverwertung, sondern bereits mit der Konzeption der Komponenten, die es später irgendwann zu recyceln gilt. Mono-Material heißt hier das Schlagwort und kommt inzwischen verstärkt bei der Innenausstattung von Pkw, aber auch bei äußeren Anbauteilen zum Einsatz. So werden etwa Stoßfänger nicht mehr mit in den Kunststoff eingegossenen Metall-Teilen befestigt, sondern mit Clips, die aus demselben Plastik gefertigt sind wie der Korpus selbst. Beim Recycling entfällt somit der aufwändige Arbeitsgang der Materialtrennung.

Ähnlich ist die Handhabung bei Teppichen und Fußmatten: Obermaterial, das Vlies darunter, Bordüre und die Naht haben zwar weiterhin ­unterschiedliches Aussehen und Haptik, werden aber aus einem Basismaterial gefertigt und daher im Recycling als Ganzes weiterverarbeitet.
Sehr beliebt, weil es sich PR-wirksam gut verwerten lässt, ist dabei auch die Verwendung von Nylon aus alten Fischernetzen. Kia/Hyundai etwa arbeitet mit Umweltschutzorgansiationen zusammen, die diese Fauna und Flora beeinträchtigenden Netze aus dem Meer bergen. BMW geht noch einen Schritt weiter und kauft Altbestände auf, bevor sie überhaupt im Meer entsorgt werden können. In jedem Fall werden daraus Teppiche oder Sitzstoffe, denen das Vorleben ihres Basismaterials nicht anzumerken ist.

Eine Schattenseite des Mono-Materials kann allerdings eine simplere Optik sein, etwa bei Schaltern im Cockpit, die künftig wohl weitgehend auf den subjektiv für ein hochwertigeres Erscheinungsbild sorgenden Chrom-Schmuck verzichten müssen – der verlangt nach gesonderter Trennung, die letztendlich auch ein Kostenfaktor ist. Ebenfalls öffentlichkeitswirksam ist aktuell der Einsatz von biobasierenden Materialien, ­etwa mit veganem Lederersatz auf Basis von Naturkautschuk, Mais oder Kaktus. Den Vorreiter macht hier vielfach die Mode-Industrie – was bei Schuhen den Belastungs- und Haltbarkeitstest im Alltag besteht, kommt auch für Autointerieurs in Frage.

Ohne petrochemische Bestandteile, wie sie etwa in herkömmlichem Kunstleder enthalten sind, lässt sich biobasierendes PVC mit rund 45 Prozent weniger CO2-Emissionen herstellen. Der Energieaufwand bleibt nach aktuellem Stand dennoch derselbe wie in der Lederproduktion. Kia hat für diese Anforderung sogar eine Art rot-weiß-roten Weg gefunden: Das Traditionsunternehmen Lenzing aus Oberösterreich liefert den Rohstoff für das haptisch ansprechende und atmungsaktive Sitzmaterial im Niro. Die Basis dafür: Zellstoff, hergestellt mit Holz aus nachhaltiger heimischer Forstwirtschaft.

Bio-Fasern stehen auch bereits in den Startlöchern, um in der Kunststoff-Fertigung eine maßgebliche Rolle zu spielen. Ihre Eigenschaften sind dort sowohl für Festigkeit als auch Stabilität von großem Nutzen – etwa Flachs- und Hanffasern, die auch den Vorteil haben, in Euro­pa kultiviert zu sein und damit Lieferabhängigkeit und Transportwege reduzieren. Bio-Fasern lassen sich zu weichen Obermaterialien verweben und je nach Faser­länge unter Temperatur zu Hartschalen pressen oder im Spritzguss-Verfahren verarbeiten. Sogar Carbon-Look lässt sich so preisgüns­tig imitieren, dazu kommt eine Gewichtsersparnis von rund 20 Prozent gegenüber konventionellem Kunststoff.

Die eingangs erwähnte Bedeutung dieses Öko-Trends liegt auch darin, dass die Neuorientierung der Produktion sämtliche Fahrzeuge gleich betrifft – egal, welchen Antrieb sie haben. Von der Investitionsstärke der ­Autobranche profitieren dazu andere Industriezweige, die das Kapital für derartige Um-stel­lungen allein nicht aufbringen könnten, aber die neuen Produktionsmethoden künftig übernehmen werden. Eventuell rechtfertigt sich damit der zuletzt oft in Frage gestellte Begriff der „Leitindustrie Automobilwirtschaft“ doch wieder.

Foto: Werk

Dieser Artikel erschien zuerst in der Printausgabe ALLES AUTO 12/2023