Wirklich neu ist tatsächlich kaum eines der Assistenzsysteme, die demnächst vorgeschrieben sind. Einige davon gehören schon seit längerem bis hinunter in die Kleinwagenklasse zum Serienumfang, andere waren Teil von optionalen Sicherheits-Paketen.
Die neue Verpflichtung gilt für Pkw, die ab dem 6. Juli 2022 typengenehmigt werden, also alle neuen Modelle, die ab diesem Zeitpunkt auf den Markt kommen. Für das aktuelle Fahrzeugangebot ändert sich vorerst nichts – allerdings nur für zwei Jahre, denn ab 7. Juli 2024 müssen sämtliche erstzugelassenen Pkw mit den nun vorgeschriebenen Systemen ausgestattet sein. Gebrauchtwagen sind weder zur ersten noch zur zweiten Deadline davon betroffen, es besteht auch keine Verpflichtung zu einer Nachrüstung.
Grundsätzlich ist bei den Vorschriften zwischen passiven und aktiven Standards zu unterscheiden, betont Dr. Max Lang, einer der Direktoren bei Euro NCAP. Früher galt die Aufmerksamkeit vor allem den passiven Crash-Normen, heute konzentrieren sich Gesetzgeber und Hersteller verstärkt auf die aktiven Assistenzsysteme. Lang: „Die hohen Standards bei der passiven, also der Crash-Sicherheit, gilt es auch bei der aktiven Sicherheit und damit den Assistenzsystemen zu erreichen. Mit den neuen Vorschriften rücken viele Funktionen von der Optionenliste in die Serienausstattung und machen dadurch vor allem Kleinwagen deutlich sicherer.“
Als freiwillige Bewährungsmaßnahme gab es die Promille-Wegfahrsperre für Alko-Lenker schon bisher, nun muss eine Anschluss-Buchse für ein Gerät zum Messen des Alkoholgehalts im Atem vorinstalliert sein. Die Technik leistet hier Vorschub für künftige gesetzliche Maßnahmen, die eine derartige Vorrichtung damit früher oder später auch verpflichtend einführen kann.
Inwiefern die Blackbox, die künftig nach Vorbild von Flugzeugen laufend fahrrelevante Daten aufzeichnen wird, in Pkw der jüngsten Generation nicht ohnehin schon verbaut ist, wird von den Herstellern lautstark beschwiegen. Diverse Datensammlungs- und Nutzungsrechte-Zustimmungen, die vom Neuwagen-Kunden verlangt werden, lassen aber darauf schließen, dass ähnliche Technik schon im Einsatz ist.
Gesammelt werden etwa Daten über den Betriebszustand des Autos, den Einsatz von ESP bzw. ABS sowie weitere „ereignisbezogene“ Informationen. Derzeit dürfen diese nicht personalisiert oder mit einer Wegstrecken-Aufzeichnung verknüpft sein. Diese Daten sollen den Entwicklern zur Verbesserung der Fahrzeugsicherheit und -qualität dienen. Ob sie etwa auf richterliche Anordnung in einem polizeilichen Ermittlungsverfahren aus einem bestimmten Auto ausgelesen werden dürfen oder der Pkw-Lenker selbst ihre Verwendung zur Klärung eines Unfallhergangs verlangen kann, ist derzeit noch unklar.
Beim nunmehr verpflichtend eingesetzten Rückfahr-Assistenten können Radar-, Kamera- oder Ultraschall-Sensoren zum Einsatz kommen, teurere Systeme arbeiten mit einer Kombination daraus. Akustische oder optische Warnungen sind möglich. Ein aktiver Eingriff beim Rückwärtsfahren – etwa durch das automatische Anhalten des Wagens bei Gefahrenlage – ist dagegen noch nicht vorgeschrieben.
Der Müdigkeits-Warner gehört ab Jahresmitte ebenfalls zum Pflicht-Serienumfang. Ergänzt durch einen Konzentrations-Warner, der etwa bei Ablenkung des Fahrzeuglenkers Gefahr vermeldet – der zuständige Sensor reagiert auf mangelnden Augenkontakt. Damit soll auch dem Textnachrichten-Tippen am Steuer entgegengewirkt werden.
Ein zusätzliches Lichtsignal mit der Warnblinkanlage bei einer Notbremsung geben viele Pkw bereits seit Jahren ab, jetzt kommt diese Einrichtung für alle. Gleiches gilt für den Notbrems-Assistenten: Vorerst besteht die Mindestanforderung im Erkennen und Reagieren auf unbewegte Hindernisse und fahrende Objekte in Auto-Größe. Sinnvollerweise sind viele Systeme aber bereits heute auch auf Fußgänger, Radfahrer und Wildtiere kalibriert. Später soll diese Erweiterung ebenfalls verpflichtend werden, ein Zeitpunkt dafür wurde noch nicht festgelegt.
Das Ruckeln am Lenkrad, wenn eine Bodenmarkierung zu nahe kommt, kennen ebenfalls die meisten Lenker bereits von Fahrzeugen jüngerer Bauart. Ab Sommer heißt das nun zum Pflicht-System erhobene Helferlein offziell nicht mehr Spurhalte-Assistent, sondern Notfall-Spurhalteassistent – wohl um seine Wichtigkeit hervorzuheben. Der Spielraum für den Reaktionsgrad wurde ebenfalls reduziert: Die Elektronik muss jetzt so eingreifen, dass der Wagen tatsächlich in seiner Fahrspur bleibt.
Eine Variante des sogenannten intelligenten Geschwindigkeits-Assistenten kennt bisher nur, wer die meist in einem Optionspaket enthaltene automatische Anpassung an Tempolimits benutzt hat. Künftig ist das System aber Pflicht und immer an, dazu mit der damit ebenfalls fix installierten Verkehrszeichen- Erkennung sowie dem Navigationssystem – so vorhanden – verknüpft. Es warnt bei jedem Überschreiten der jeweils erlaubten Höchstgeschwindigkeit – entweder mit einem optischen oder akustischen Signal, alternativ auch mit einem Rütteln am Gaspedal. Erlaubt sind alle drei Möglichkeiten.
Sämtliche aktiv in das Fahr- und Lenkverhalten eingreifende Assistenzsysteme können auch künftig manuell deaktivert werden. Sie müssen aber nach jedem Neustart des Wagens wieder an sein – was etwa beim Spurhalte-Assistenten auch bisher schon in den meisten Pkw der Fall war, obwohl dazu noch gar keine Verpflichtung bestanden hat. Die Einschätzung, dass vielen Fahrern das Ausschalten auf Dauer noch lästiger wird als die laufenden Eingriffe, ist in der neuen Vorschrift wohl miteinkalkuliert.
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