Schwedens erster Geländewagen will eigentlich nur ein allradgetriebener Hochbau-Kombi sein und kein Kraxler. Aber damit passt der Volvo XC90 ohnehin genau dorthin, wo sich die meisten SUV tummeln: auf die Straße.
Lange hat’s nicht nur gedauert, bis sich Volvo zum Bau eines SUV – also dem derzeit boomenden Mix aus Offroader und Kombi – durchgerungen hat, sondern auch, bis er nach seiner Präsentation endlich auf unseren Straßen rollt.
Abstimmungs-Feinheiten an der Lenkung und Kapazitäts-Engpässe aufgrund des XC90-Hype in den USA haben zur Verschiebung des Europa-Starts geführt. Allerdings: Mit unserem Diesel-Testwagen hätten die Amis gar keine Freude, wohl aber prognostizierte 90 Prozent der heimischen Käufer.
Klar: Am liebsten wäre wohl jedem die Power der beiden Beziner (210 und 272 PS), doch vernüftig sind bei diesen Turbo-Triebwerken weder Preis noch Unterhaltskosten. Den 2,5-Liter-Fünfzylinder-Selbstzünder mit Commonrail-Direkteinspritzung kennen wir bereits sehr gut aus unseren Tests mit dem Volvo S60. Obwohl: So kraftlos haben wir ihn eigentlich nicht in Erinnerung – Allrad, Automatik und das hohe Wagen-Gewicht drücken eben spürbar aufs Temperament.
Schade, denn in Sachen Fahrdynamik wirkt der große Schwede sehr motiviert. An die Agilität eines BMW X5 kommt er zwar nicht ganz heran, doch Lenkung und Fahrwerk orientieren sich mehr an PKW-Üblichem, denn an herkömmlicher Offroad-Ware. Und in Sachen Federungs- bzw. Abrollkomfort setzt der XC90 Maßstäbe.
Maßstäbe dürfen auch neu überdacht werden, wenn man den 4,8-Meter-Volvo neben seine Haupt-Konkurrenten X5 und M-Klasse stellt: Der Schwede ist um genau die Schuhnummer größer, die BMW & Benz vor allem aus Sicht der Amerikaner zu klein geraten sind. Und er hat dank quer eingebautem Triebwerk auch noch einen weiteren Trumpf in der Hand, wenn’s um die Länge des Fahrgastraums geht.
Damit schafft der XC90 – auch im Vergleich zu anderen Mitbewerbern – nicht nur ein üppiges Raumangebot, sondern zudem Platz für eine optionale dritte Sitzreihe. Die ist zwar nur Kindern zumutbar, lässt sich dafür aber komplett im Wagenboden versenken. Und verfügt nicht nur über Kopfstützen sowie Dreipunkgurte samt Straffern, sondern wird auch im Falle eines Unfalles vom seitlichen Kopfairbag-Vorhang abgedeckt.
Die Hoffnungen des heimischen Importeurs, sich mit dieser Bank die Berechtigung zum Vorsteuerabzug zu ergattern, haben sich übrigens nicht erfüllt – das Ministerium sieht den XC90 als Geländewagen und nicht als Van. Dabei würde man nicht einmal den betreffenden Beamten einen Ritt über harte Offroad-Parcours wünschen, ohne Differenzialsperren, Reduktionsgetriebe und genügend Bodenfreiheit qualifiziert sich der Volvo eher nur für Feldweg & Co. Immerhin: Die in den USA erhältliche Frontantriebs-Version traut man sich in Europa gar nicht anzubieten.
Dafür traut man sich was bei den Preisen. Noble Mitbewerber werden trotz Raum- und Ausstattungs-Vorsprung locker unterboten. Unterbieten kann der XC90 auch den Sprit-Konsum seiner Konkurrenten: Mit so wenig Dieselöl hat sich bisher noch kein vergleichbarer SUV auf unserer Verbrauchsrunde zufrieden gegeben – bei zehneinhalb Litern für einen allradgetriebenen 2,1-Tonner kann man jedenfalls getrost sagen: Ein Hoch auf den Norden!
TECHNIK
5-Zylinder-Reihe, 4-Ventil-Technik, Turbo, 2401 ccm, 120 kW (163 PS) bei 4000/min, max. Drehmoment 340 Nm bei 1750/min, Fünfgang-Automatik mit Tipp-Schaltung, perm. Allradantrieb, vorne: Querlenker, Stabilisator, Federbeine, hinten: Mehrlenkerachse, Stabilisator, Schraubenfedern, Teledämpfer, Scheibenbremsen v/h (v bel.), ABS, L/B/H 4798/1898/1784 mm, Radstand 2857 mm, 5-7 Sitze, Wendekreis 12,5 m, Servo, Reifendimension 235/65 R 17, Tankinhalt 70 l, Reichweite (bis Tankreserve) 600 km, Kofferraumvolumen 249/483-1837 l, Leergewicht 2112 kg, zul. Gesamtgewicht 2590 kg, 0-100 km/h 12,3 sec, Spitze 185 km/h, Steuer (jährl.) EUR 633,60, Normverbrauch (Stadt/außerorts/Mix) 11,9/ 7,5/9,1 l, Testverbrauch 10,5 l Diesel
Preis: EUR 49.900,-
FAHREN & FÜHLEN
Der Commonrail-Diesel springt nach mittelmäßig kurzer Vorglühzeit an, sein Fünfzylinder-Brummen legt er nie ganz ab, für manche Ohren klingt’s aber sympathisch. Allrad, Automatik und das hohe Gewicht drücken spürbar aufs Temperament. Wenig Wind- und Abroll-Geräusche auf der Autobahn. Lenkung: ausreichend direkt, recht präzise und leichtgängig. Die Bremsen lassen sich fein dosieren, verzögern den schweren Wagen sicher, selbst nach mehreren Vollbremsungen. Die adaptive Automatik schaltet weich, aber nicht übertrieben schnell, manuelle Gangwahl möglich, der Tipp-Modus funktionierte beim Testwagen aber nicht ganz fehlerfrei. Sehr komfortables Fahrwerk, dennoch neigt sich der Allradler in schnellen Kurven nicht dramatisch, untersteuert brav, die zarten Lastwechselreaktionen hat das Stabilitätsprogramm locker im Griff. Top-Grip dank permanentem Allrad und Traktionskontrolle mittels Brems-Eingriff. Fein: Die automatische Niveauregulierung hält den XC90 unabhängig von der Beladung stets in der Waagrechten. Die Vordersitze: groß, vielfach verstellbar, bequem, Lendenwirbelstütze Serie, manuelle Verstellung etwas mühsam, Seitenhalt passabel.
PLATZ & NUTZ
Bis auf die Kniefreiheit in Reihe zwei (hier stört auch die geringe Schenkelauflage) alle Innen-Maße überm Klassenschnitt, in der optionalen dritten Sitzreihe (die lässt sich komplett im Wagenboden versenken) haben nur Kinder genug Platz. Der Gepäckraum: nicht sehr hoch, aber groß und gut nutzbar, mit Verzurrösen, Trenn-Netz und Kleinzeugfach, beim Fünfsitzer auch mit praktischen Tragtaschen-Halterungen. Eben bleibt der Kofferraum auch, wenn man die 2:1:2 geteilt umlegbare Lehne vorklappt. Fein: Vorklappen lässt sich auch die Beifahrersitzlehne. Minus: geringe Zuladung, hohe Ladekante, One-Touch-Fensterheber nur vorne. Gute Karosserie-Übersicht, aber großer Wendekreis. Arbeitsplatz-Check: sehr gute Ergonomie, genug Ablagen, Vodersitze in Höhe, Lenkrad auch in Reichweite justierbar. Die Heizung kämpft wacker mit der Erwärmung des großen Innenraums, Optimierung schafft die günstige Aufpreis-Standheizung.
DRAN & DRIN
Attraktive Serien-Mitgift (siehe auch Kasten Seite 49), u. a. aufpreisfrei: Klimaautomatik, Tempomat, CD-Radio mit Lenkrad-FB, Sitzheizung, Aluräder, Bordcomputer. Genug Extra-Auswahl bis hin zu Navigation, Bi-Xenon und Regensensor, dazu gibt’s interessantes Optik- und Lade-Zubehör. Ab November auch mit Sechsgang-Schaltgetriebe erhältlich (um 2700 Euro günstiger). Sauber und sehr solide verarbeitet, recht hochwertiger Material-Eindruck. Styling: zurückhaltend-nobel, mit typischen Volvo-Designelementen.
SICHER & GRÜN
Vorbildlich: adaptive Front- und Seitenairbags, bis in die dritte Reihe durchgehender Kopfairbag-Vorhang, auf allen Sitzen Kopfstützen (reichen bis 1,80 m, in Reihe drei nur bis 1,65 m) sowie Dreipunktgurte mit Straffern. Außerdem: ABS mit Bremsassistent, elektronisches Stabilitätsprogramm (inkl. Neigungssensor), Isofix-Halterungen, integrierter Kindersitz, Schleudertrauma-Schutzsystem in den Vordersitzen. Gegen Aufpreis: elektrische Kindersicherung für die Fondtüren, Verbundglas-Seitenscheiben. Umwelt-Prüfung brav absolviert, sparsamer Verbrauch.
PREIS & WERT
Zum Teil deutlich billiger als BMW X5 3,0d A, Range Rover Td6 und Mercedes M 270 CDI, etwa gleich teuer wie VW Touareg und Jeep Grand Cherokee, in Sachen Serien-Ausstattung durchwegs etwas spendabler. Zwei Jahre Neuwagen-Garantie, drei Jahre Mobilitäts-Schutz, acht Jahre gegen Durchrostung. Zuverlässigkeit & Werthaltung sicher keine Minuspunkte, da schon eher das unterdurchschnittlich dichte Werkstatt-Netz. Service und Ölwechsel fix alle 20.000 Kilometer fällig.
ALLES-AUTO-TESTURTEIL :
Solider, komfortabler, sparsamer und sicherer SUV ohne Sprint-Ambitionen.
Diesen Test finden Sie in ALLES AUTO 3/2003