Lieferengpass bei Mikrochips

21. Oktober 2021
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Aktuelles

Mit ihnen funktioniert heute alles, ohne sie geht nichts: Halbleiter-Elemente sind die Basis für sämtliche Mikrochips, egal ob für Speicher oder integrierte Schaltkreise. Es handelt sich dabei vereinfacht gesagt um nanometer-dünne Silizium-Scheiben – und genau die sind derzeit Mangelware. Die Gründe dafür: Trump, Corona und – sofern man diese beiden nicht schon als solche bezeichnen will – unerwartete Naturereignisse.

Anlauf nahm die aktuelle Situation in dem vom Ex-Präsidenten der USA initiierten Handelsstreit mit China. Die Volksrepublik ist der größte Hersteller von Silizium, einem hochwertigen Schmelzprodukt aus Quarz. Das prompt auf der schwarzen Liste des weißen Hauses landete, weswegen viele Unternehmen auf andere, kleinere und weniger zuverlässige Rohstoffquellen ausweichen mussten.

Dann kam die Pandemie und mit ihr weltweit ein Produktionsstopp in den Automobilwerken, von dem anfangs niemand wusste, wie lange er dauern würde. Die Einkäufer taten, was jeder gelernte Betriebswirt in dieser Situation machen würde: die laufenden Kosten niedrig halten und keine hohen Lagerbestände riskieren. Also wurden die innerhalb der Rahmen-Lieferverträge bestehenden Kontingente nicht mehr abgerufen.

Zunächst waren die Halb­leiter- und Chip-Hersteller zwar ebenfalls von Werksschlie­ßungen betroffen, fanden aber auch rasch Abnehmer für die von der Automobilindustrie nicht mehr benötigten Chargen: Die Kommunikations- und Unterhaltungs-Branche hatte einen Corona-bedingten Boom dank Home-Office, Home-Schooling oder auch einfach nur Lockdown-Langeweile. Und der hält an – das Digital-Verhalten in Geschäft und Freizeit ist auch nach Abschwächung der Pandemie unverändert intensiv.

Die Automobilwirtschaft hat nun das Nachsehen – trotz des erhöhten Bedarfs durch die rasant voranschreitende Digitalisierung in den Fahrzeugen war sie auch per Stand 2019 mit etwa 12 Prozent ein verhältnismäßig kleiner Abnehmer der Halbleiter-Industrie. Dann legte noch ein Brand ein größeres japanisches Halbleiter-Werk lahm, ein Wintersturm ein anderes in Texas, in weiteren Ländern, die einspringen könnten, bricht die Fertigung wegen anhaltender Virus-Wellen immer wieder zusammen – und schon ist sie da, die bis dato größte Lieferkrise der Automobilbranche. Sie hat unvergleichlich größere Auswirkungen als die bei Steuergeräten nach dem Reaktorunfall in Fukushima 2011. Diese konnte damals relativ rasch ausgeglichen werden – es mangelte ja nicht am Basismaterial, man musste nur auf andere Produktionsstätten ausweichen.

Im ersten Quartal dieses Jahres jonglierten die Automobil-Hersteller mit den verfüg­baren Halbleiter-Kontingenten noch halbwegs erfolgreich zwischen den Produktionsstätten und Modellen. Es kam zu keinen oder nur geringen Lieferverzögerungen. Seit April werden die Fristen aber laufend länger. Wer aktuell einen Neuwagen bestellt, muss teilweise mit bis zu einem Jahr Lieferzeit rechnen.

Um die Wartezeiten nicht eskalieren zu lassen, reduzieren einige Hersteller den Digitalisierungs-Umfang, verbauen etwa wieder analoge Instrumente. Andere entrümpeln noch weiter die Elektronik – eventuell sogar zur Freude der Kunden, die damit der mehr lästigen als hilfreichen Assistenzsystem-Flut entkommen können.

VW als größter Automobilhersteller der Welt erwartet erst nach dem Jahresende 2021 zumindest eine leichte Entspannung der Liefersituation. Um die Auftragsrückstände aufzuholen, wurde heuer in Wolfsburg auch während der Werksferien weiterproduziert. Dazu arbeitet eine 40-köpfige Taskforce an der Beschaffung der begehrten Bauteile. „Wenn wir nur ein Prozent der Halbleiter-Kapazität aus der Konsumgüter-Industrie bekommen würden, wäre unser Problem gelöst“, lautet die wehmütige Stellungnahme eines Konzernsprechers.

Die Abhängigkeit der Industrie von Zulieferern auf anderen Kontinenten hat auch die EU-Kommission aufgeweckt, die nun eine eigene europäische Halbleiter-Produktion fördern will. Ein Plan, der erst ­langfristig greifen und die aktuelle Situation nicht ents­chär­fen kann – die Produktion der Silizum-Elemente ist heikel und muss in speziellen, hochreinen Bereichen geschehen. Deren Einrichtung ist aufwändig und teuer, schon gar in der für eine Massenherstellung notwendigen Skalierung.

Ein Beitrag dazu kommt demnächst aus Österreich: Das deutsche Unternehmen Infineon investiert 1,6 Milliarden Euro in eine neue Halbleiter-Fabrik in Villach, die noch heuer die Produktion aufnehmen wird.

Grundsätzlich besteht in Österreich kein Rücktrittsrecht von abgeschlossenen Verträ­gen, sofern diese keine entsprechenden Klauseln enthalten. Wenn der Kaufvertrag für einen Pkw der (allerdings nicht verpflichtend zu verwendenden) Vorlage des Justizmi­nisteriums entspricht und die angegebene Lieferzeit um zwei Monate überschritten wird, kann der Kunde nach – möglichst schriftlich zu übermittelnder – Setzung einer Nachfrist von mindestens zwei Wochen vom Kauf zurücktreten, so die Auslieferung auch in diesem Zeitraum nicht erfolgt.

Derzeit scheinen freilich viele Kunden wegen der drohenden Neuwagen-Lieferzeiten auf Lagerfahrzeuge oder junge Gebrauchte auszuweichen – der Handel vermeldet hier eine hohe Nachfrage und bereits mehr oder weniger ausverkaufte Bestände.

Foto: Audi