Was macht ein Auto eigentlich schnell? Die reinen PS? Viel Drehmoment? Ein gutes Fahrwerk, oder vielleicht doch erst die regelnde Elektronik? Alles nette Details, aber wenn es wirklich darum geht, so flott wie möglich von A nach B zu kommen, ist nur eines entscheidend: das Leistungsgewicht.
„Leistung macht dich auf den Geraden schneller, geringes Gewicht hingegen überall“, pflegte Lotus-Gründer und Technik-Extremist Colin Chapman stets zu sagen, und daran hat sich bis heute nichts geändert. Die Physik ist schließlich gnadenlos, und dass es trotzdem heute kaum mehr Autos gibt, die diesen logischen Regeln hoher Fahrdynamik folgen, liegt zum einen an der immer aufwändigeren und schwereren Sicherheitstechnik. Aber auch an uns, die wir einfach auf so feudale Luxus-Features wie einen großen Kofferraum, ein Handschuhfach oder vielleicht sogar eine Rückbank nicht verzichten wollen. Leichtigkeit erfordert immer auch einen gewissen Kompromiss an Praxis-Nutzen, die Frage ist also: Sind derart radikale Fahrmaschinen ohne Sinn fürs normale Leben überhaupt noch zeitgemäß?
Ideallinientreu: Auf verwinkelten Landstraßen fühlen sich die Mittelmotor-Sportwagen Alfa Romeo 4C und Alpine A110 am wohlsten. Ein Duell zum Thema, wer besser die Kurve kratzt.
In Zeiten der immer größer und schwerer werdenden SUV sind Fahrzeuge wie der Alfa Romeo 4C eine wohltuende Ausnahme. Hier geht es nur um Fahrspaß: Ein kleiner Turbobenziner, direkt hinter den Vordersitzen angeordnet, sorgt für ordentlich Druck und ein ausgewogenes Gewichtsverhältnis. Ein Carbon-Monocoque für bescheidene 950 Kilogramm Leergewicht, und ein Fahrwerk, dessen Design sogar stark an Chapmans Lotus Elan erinnert, für hohe Agilität auf verwinkelten Landstraßen. Kann man das noch toppen?
Und ob, tönt es ausgerechnet von der anderen Seite der Seealpen hinüber nach Italien. Dort hat man auf diesem Gebiet nämlich viel Erfahrung. Im beschaulichen Dieppe in Westfrankreich feierte die Alpine A110 unlängst ihr lang erwartetes Comeback. Zwar tauschte man den Stahlrahmen und die Kunststoff-Hülle gegen eine selbsttragende Alukarosserie, und der Motor hängt auch nicht mehr hinter, sondern schön mittig vor der Hinterachse. Und dennoch wurde tunlichst darauf geachtet, möglichst wenig Gewicht auf die Rippen zu bekommen.
Mit 1100 Kilo ist die Neuauflage zwar rund 300 Kilo schwerer als ihr Urahn. Aber alles in allem liegt sie mit ihren Spezifikationen ziemlich genau auf dem Niveau des Rivalen aus
Mailand. Bleibt also die Frage: Ist die Neue genauso eine Lenkwaffe wie das Original? Und welche der zwei Flundern macht mehr Spaß?
Hier geht es also nicht um eine sachliche Bewertung, welcher der zwei der bessere Kauf ist – auch wenn wir uns am Ende eine Punktetabelle nicht verkneifen konnten (siehe unten). Denn nüchtern betrachtet, bieten beide auf der Grundfläche eines Polo gerade einmal ausreichend Platz für zwei, die auch nur sehr leichtes Gepäck mitnehmen dürfen. Und das zu Preisen, zu denen man anderorts schon ausgewachsene Limousinen mit mehr Leistung bekommt. Viel entscheidender ist hier aber die Frage: Wer liefert mehr Grinser pro Kilometer?
- Keine Servo, keine Kompromisse, kein Ballast: Der 4C ist eine kleine Bodenrakete, nervt im tagtäglichen Gebrauch aber mit harter Federung und schwergängiger Lenkung. Ein perfektes Spaßgerät fürs Wochenende.
- Spaß ohne Reue: Die Alpine federt komfortabel genug, um sie jeden Tag benutzen zu können. Auch ihre Lenkung arbeitet schweißhem- mend leicht, dazu kommt eine erstaunlich gute Übersicht.
Motor & Getriebe
Vier Zylinder, knapp 1,8 Liter Hubraum, um die 250 PS – viel Unterscheide geben sich die Kontrahenten bei der Motor-Wertung nicht. Aufgrund des enger abgestuften Siebengang-Doppelkupplungsgetriebes wirkt die Alpine aber etwas lebhafter als der nur mit sechs Fahrstufen bestückte Alfa.
Bei den Fahrleistungen liegen die zwei praktisch gleichauf, sie beschleunigen so gut wie mindestens doppelt so teure Supersportler. Unterschiede gibt es hingegen beim Sound: Im 4C glaubt man, der Turbomotor saugt einem das Hirn aus den Ohren, so sehr macht er sich akustisch bemerkbar. Das kann auf langen Strecken schnell nerven. Der optionale Sportauspuff ist zudem auch noch kein Kind von Traurigkeit. Im Vergleich wirkt die A110 zivilisiert. Hier läuft alles deutlich leiser und langstreckentauglicher, aber auch biederer ab.
- Alfa-Momente: ab- strakte Scheinwerfer, opti- onal auch mit Xenon.
- Turbo und Kühler werden über die seitlichen Lufteinlässe mit ausreichend Frischluft versorgt …
- … das Monocoque aus Kohlefaser sorgt für hohe Steifigkeit, aber auch eingeschränkte Platzverhältnisse.
Fahrwerk & Traktion
Das gesamte Gewicht gebündelt in der Fahrzeugmitte – die essenzielle Zutat für knackiges Einlenken und neutrales Fahrverhalten erfüllen beide. Die Unterschiede liegen eher im Detail: Der Alfa ist spürbar aggressiver abgestimmt. Die Lenkung ohne Servounterstützung vermittelt viel Gefühl, erfordert aber eine strenge Hand, vor allem mit den optionalen 18-Zöllern. Die Federung verzeiht nichts und niemandem. Jeder Befehl wird sofort und gnadenlos umgesetzt. Restkomfort? Fehlanzeige.
Ganz anders die Alpine: Ihr Setup verzeiht wesentlich mehr, bleibt auf schlechten Straßen deutlich ruhiger und glänzt auch hier mit einer alltagstauglichen Auslegung.
Die französische Lenkung arbeitet angenehm leicht, was manchen Hardlinern aber schon zu viel des Guten sein könnte. Außerdem fiel der Wendekreis deutlich größer aus. Es bedarf schon sehr schlechten Asphalts, damit einer der beiden einmal unter Traktionsproblemen leidet.
Stichwort Bremsen: Hier lassen beide nichts anbrennen, der 4C ankert aber noch einen Tick brutaler – ob es deswegen demnächst Brembo-Stopper für die Französin als Option gibt?
Beide bieten Fahrerlebnisschalter für schärferes Motoransprechverhalten, und wer selber schalten möchte, kann dies mittels Lenkrad-Wippen tun – bei der Alpine sind sie fix montiert, beim Alfa drehen sie sich mit dem Volant mit.
- Alpine en detail: Die Zusatzscheinwerfer der Ur-A110 von 1962 sind bei der Neuauflage in die Karosserie integriert.
- Pla- kette der auf 1955 Stück limitierten Première Edition auf der Mittelkonsole.
- Wohlklingender, aber vergleichsweise leiser Auspuff.
Cockpit & Bedienung
4C-Fahren bedeutet sich in Verzicht üben. Kein Touchscreen. Kein aufwändiges Infotainmentsystem. Keine Lenkrad-Fernbedienung. Alles wirkt schlicht und schon ein wenig in die Jahre gekommen. Das DIN-Radio ist übrigens keine Nachrüstlösung, sondern ab Werk verbaut. Manche Schalter wirken zudem nach dem Zufallsprinzip platziert, einfach weil im Cockpit nicht mehr Platz ist.
Anders die A110: Zwar sind großteils Teile aus dem alten Clio verbaut, doch alles sitzt aufgeräumt und leicht erreichbar, und die Steuerung von Navi & Co. gelingt dank Bedien-Satellit rechts hinterm Volant und dem hoch positionierten Touchscreen problemlos. Die Übersicht ist für ein Mittelmotorauto zudem überraschend gut, genauso wie die Sitzposition. Beides lässt im Alfa zu wünschen übrig – vor allem für groß Gewachsene.
- Die Freisprecheinrichtung des lauten Alfa ist auf der Autobahn relativ wirkungslos …
- … der Kofferraum zeigt sich über- raschend geräumig, aber gut beheizt …
- … das knapp geschnittene Digital-Cockpit würde in einem Rennwagen genauso gut passen.
Innen- & Kofferraum
Aufgrund des Mittelmotor-Layouts sind beide alles andere als Raumwunder, die selbsttragende Karosserie der Alpine bietet aber wesentlich mehr Platz als die Monocoque-Konstruktion des Alfa. Beim A110 kann man dank großer Türen bequem einsteigen, die Schalensitze bieten viel Komfort und Seitenhalt, lassen sich aufgrund starrer Lehnen aber nicht in der Neigung verstellen (bequemere Sitze gibt es in der Version Légende). Ablagen? Na ja, man kann in dem Fach für den Fahrzeugschlüssel zumindest das Smartphone deponieren.
Der Alfa hat nicht einmal das. Hier muss man sich hineinhebeln. Für die Langen unter uns ist der Verstellbereich zudem zu gering – leicht stößt man mit dem Knie oder dem Ellenbogen irgendwo an. Die Türen geben bloß eine kleine Öffnung frei, die Seitenschweller sind hoch, die Platzverhältnisse spürbar enger. Zudem sind die 4C-Sitze unbequemer und viel zu schwach konturiert.
Reise-Check Kofferraum. Davon bietet die Alpine A110 einen vorne und einen hinten, der Alfa Romeo 4C nur einen im Heck. Bei beiden Probanden gilt freilich: nichts Verderbliches transportieren, die Abwärme von Motoren und Kühlern heizt das Gepäck hinten ziemlich auf.
- Das Cockpit der A110 ist hübsch angerichtet und tadellos verarbeitet. Die Bedienung ist ob Touchscreen so gut wie in jedem anderen Renault. Knallrot und groß: der Startknopf in der Mittelkonsole.
- Die Alfa-Fahrerkanzel zeigt sich schlicht und funktionell, die Bedienung fällt aufgrund enger Platzverhältnisse aber nicht so optimal aus. Interessanter Retro-Beitrag: kein Touchscreen, sondern ein normales Autoradio im DIN-Schacht – ausgerechnet von der Marke Alpine!
Dran & Drin
Der Alfa ist ab Werk mit allem Wichtigen bestückt, seien es elektrische Fensterheber, eine (auf der Autobahn wirkungslose) Freisprecheinrichtung oder eine manuelle Klimaanlage. Optionen gibt’s von Xenon-Licht bis zum Racing-Paket und größeren Räder überraschend viel. Jede Art von Luxus sucht man indes vergeblich.
Die Alpine der getesteten Première Edition ist ab Werk mit allem bestückt, was für die A110 angeboten wird, unter anderem mit Klimaautomatik, Einparkhilfe oder Keyless-Go. Sie ist nur in dieser Konfiguration zu haben. Für 10.400 Euro extra gibt es den Alfa dafür als offenen Spyder – da kann die Französin (noch) nicht kontern.
Schutz & Sicherheit
Beide Coupés verfügen über alle notwendigen Sicherheitssysteme, haben also ESP, die übliche Airbag-Bestückung und Reifendruckkontrolle – viel mehr aber auch nicht. In Sachen Assistenz folgt der Alfa der puristischen Linie: nichts vorhanden!
Die Alpine bietet ebenfalls weder Spurwechsel- noch Toterwinkel-Warner, auch wer Features wie Isofix-Halterungen oder Knieairbags sucht, ist in der völlig falschen Gasse – hier geht es schließlich um jedes Gramm Gewicht. Das steife Monocoque des Alfa bietet sicher leichte Vorteile bei einem Seitencrash.
Sauber & Grün
Flach, leicht, kleiner Motor – beide bieten optimale Voraussetzungen für geringe Verbräuche. Wer die Alpine sanft bewegt, kommt auf der Autobahn sogar mit unter sieben Litern Sprit aus, wer ihr wirklich ordentlich einschenkt, kommt aber auch nicht über elf Liter.
Der Alfa zeigt sich generell etwas durstiger (auch weil er kein Start/Stopp-System hat), ist für die gebotenen Fahrleistungen aber immer noch erstaunlich sparsam.
- Die Sabelt-Sitze der Alpine Première Edition sind ergonomisch top, die Lehnen sind aber starr und deren Neigung nicht jedermanns Geschmack.
- Die Standard-Sitze des Alfa sind zwar groß geschnitten, aber zu schwach konturiert.
Preis & Kosten
Beide Mittelmotor-Sportler liegen im Preisbereich eines gut ausgestatteten 5er BMW. Der Alfa kostet allerdings mindestens 7000 Euro mehr als die auf 1955 Stück (und bereits ausverkaufte) Première Edition der A110. Die „normalen“ Varianten Pure und Légende starten bei 58.700 bzw. 62.600 Euro, sind aber auch nur über das Internet bestellbar – mit einer Anzahlung von 2000 Euro. Den 4C kann man hingegen wie einen Fiat 500 ganz normal im Netz konfigurieren.
Garantie-Check: FCA gewährt stolze vier Jahre, Renault hingegen nur zwei auf ihre Flunder. Wiederverkaufs-Chancen? Die Alpine profitiert von ihrer Historie und der künstlich hochgehaltenen Neuwagen-Knappheit. Und gebrauchte 4C halten sich preislich besser als jeder andere Italiener.
Testurteil
Nach Punkten gerechnet, fährt die Alpine A110 dank hoher Alltagstauglichkeit und guter Ergonomie einen klaren Sieg gegen den Alfa 4C ein. Die Hardcore-Auslegung des Italieners bietet dafür ein unvergleichliches Rennwagen-Feeling – das muss einem freilich diverse Kompromisse wert sein.