Aston Martin Vanquish

28. Januar 2013
Keine Kommentare
2.586 Views
Tests

FAHRZEUGDATEN

Marke:Aston Martin
Klasse:Coupé
Antrieb:Hinterrad
Treibstoff:Benzin
Leistung:573 PS
Testverbrauch:14,4 l/100km
Modelljahr:2012
Grundpreis:326.000 Euro

Das neue Aston Martin-Flaggschiff scheint technisch auf sympathische Weise veraltet. Unterschätzen sollte man den britischen Überdrüber-GT deswegen freilich nicht

Doppelkupplungsgetriebe, Direkteinspritzung, Allradantrieb, Start/Stopp-Automatik, moderne Assistenzsysteme – alles gut und schön. Schön und gut kann ein Luxusartikel aber auch sein, wenn er all das nicht zu bieten hat. Zu diesem Beweis tritt der neue Vanquish an. Als Kern-Konkurrent Ferrari vor ein paar Wochen den F12 präsentierte (siehe Ausgabe 9/2012), ging es für die Medienvertreter mit der neuen Berlinetta natürlich auf die hauseigene Teststrecke Fiorano. Sein frisches Flaggschiff führt Aston Martin ersten Experten dagegen auf Routen rund um das ehemalige Stammwerk in Newport Pagnell vor. Englische Landstraßen gelten zu Recht als die schlechtesten in Westeuropa – seht her, möchte mal wohl sagen, unser Auto vermag auch zu glänzen, wenn die Straßen bumpy sind und narrow.
Tatsächlich beeindruckt, wie souverän das heckgetriebene Coupé hier agiert. Traktion ist dank Transaxle-Bauweise stets ausreichend vorhanden, die Dämpfer auf Normal-Modus geswitcht, schon bügelt man mit einem Irrsinnstempo durch die Landschaft. Kein Vergleich zum ersten und letzten Vanquish (2002-2007), der zickig war wie Pop-Diva Madonna.
Ein V12 gehört natürlich auch heute zum Pflichtprogramm. Der Sechsliter-Sauger teilt sich allein den Hubraum mit dem ungleichnamigen Vorgänger DBS, Block und Kopf sind ebenso neu wie Ventilsteuerung und Ansaugtrakt. Und wie sieht´s mit Direkteinspritzung aus? Die hat bei Tests keine nennenswerten Vorteile gebracht”, winkt Boss Bez ab. Der schwäbische Doktor sitzt seit zwölf Jahren im Chefsessel bei Aston Martin und ist ein Verfechter des unverfälschten Fahrgenusses.

Der Vanquish zeigt innen den typischen Aston-Look der Neuzeit. An der Mittelkonsole feiern Soft Touch-Schalter eine Renaissance. Massenhaft Leder, als wäre es irgendwo im Angebot gewesen. 1000 Watt Druck aus edlen B&O-Boxen

“Warum soll ich uns eine Doppelkupplungs-Automatik antun?” entgegnet er auf die folgende Frage nach moderner Getriebe-Technik. “Nur des Images wegen?” Auch sechs Fahrstufen reichen aus, meint er und scheint damit unser nächstes Anliegen schon vorauszuahnen. Tatsächlich geht einem wenig ab in Sachen Performance. Auch, weil es überraschend stimmig ist, diesen GT selbst per Lenkrad-Wipptasten zu schalten. Die Paddels drehen sich hier übrigens nicht mit dem Volant mit, auch dass will Ulrich Bez so haben.
Apropos Lenkrad: Das optionale Gouvernal im Stil des ausverkauften Superstars One-77 ist dagegen nicht nach dem Geschmack der motorsport-begeisterten Chefs. Optisch mag es vielleicht ein bisserl gewöhnungsbedürftig sein mit seinen seitlichen Abflachungen, doch bei artgerechter Lenkrad-Haltung reduziert es sich so im Durchmesser – was das große GT-Coupé vom Gefühl her agiler macht.
“Irgendwann in naher Zukunft werden wir über Motor Aufladen nicht herumkommen”, verrät uns der Doktor, als wir wieder das Thema Triebwerks-Technik aufs Tapet bringen. Schön, dass es noch nicht so weit ist, wir hatten schon fast vergessen, wie geil sich so ein großvolumiger Sauger anfühlt. Im Sport-Modus – den wählt man übrigens ganz Ferrari-like per Lenkrad-Knopf an (ebenso wie die Dämpfer-Härte) – beißt der Zwölfzylinder noch giftiger, Auspuffklappen heben dazu den Abklang auf Gänsehaut-Niveau. Wenn es dann richtig rotzig rausröchelt aus den zwei dicken Endrohren, agiert der Vanquish so gentleman-like wie Prinz Harry in Las Vegas.
So unstandesgemäß ein derart soundstarker Auftritt auch sein mag, er passt zur sportlichen Performance ganz ausgezeichnet. In Sachen Agilität und Einlenkverhalten (Gewichtsverteilung fast ausgeglichen) fühlt sich der Vanquish an wie der kleine Bruder V8 Vantage. Dabei wurde er innen im Vergleich zum gleich langen DBS spürbar geräumiger, auch das Gepäckabteil legte zu, und zwar um satte 60 Prozent. Damit nur keiner vergisst, dass wir es hier mit einem klassischen Gran Turismo zu tun haben.

Das Design der Rücklichter erinnert an Astons ausverkauften Superstar One-77, der Heckdeckel mit integriertem Spoiler ist inklusive Innenteil aus einem Carbon-Stück gebacken. Wer diesen GT-Popsch als Effekt haschend empfindet, hat womöglich noch keinen Ferrari F12 in natura gesehen

Und man kann sich wirklich auf eine große Reise wagen mit diesem Reisewagen. Das beginnt schon bei der luxuriösen Ausstattung inklusive 1000 Watt-Anlage von B&O. Die Mitgift umfasst jetzt übrigens auch so vergleichsweise Banales wie Licht- und Regensensor. Moment einmal, waren das nicht ebenfalls No-Gos für Dr. Bez? “Die Kunden wollten es eben”, konstatiert der Aston-Lenker schulterzuckend. “Doch ich bin nach wie vor der Meinung: Wer selbst den Wischer einschaltet und reguliert bzw. das Licht aktiviert, der stellt sich als Fahrer viel bewusster auf die Einflüsse von außen ein.”
Natürlich ist auch dieser Aston Martin schön. Wobei es immer schwieriger wird, die markentypische Karosserieform zu evolutionieren. Apropos Karosserie, apropos Form: Jeder Teil der Außenhaut ist beim Vanquish aus Carbon gebacken, was laut Chef-Zeichner Marek Reichman auch mehr Möglichkeiten bei der Gestaltung einzelner Flächen bringt. Aber gleichzeitig eine He-rausforderung in Sachen Lackierung. Gutes Stichwort: Frontsplitter, Seitenschweller und den unteren Teil der Heckschürze möchte man bei Aston Martin gerne als Sichtcarbonteile herzeigen. “Wenn ein Kunde aber partout alles in Wagenfarbe lackiert haben möchte, soll es uns auch recht sein” (Bez).
Zum Schluss sei er doch noch strapaziert, der unvermeidliche James Bond-Konnex. Im topaktuellen Kino-Abenteuer “Skyfall” darf ihrer Majestät Geheimagent den neuen Vanquish nämlich nicht fahren. Der neue Regisseur wollte angesichts des 50-Jahr-Jubiläums von 007 lieber einen DB5 auffahren lassen. Auch gut, Aston Martin kann es recht sein, als einzige Autofirma zahlt man schließlich nichts fürs Bond´sche Product Placement. Obendrein werden bei der 99-jährigen Automarke Tradition und Geschichte groß geschrieben. Wer den Vanquish deshalb als altmodisch unterschätzt, begeht mit Sicherheit einen ähnlich fatalen Fehler wie sämtliche Leinwand-Bösewichte, die James Bond vor dem Abmurksen noch unbedingt in ihre teuflischen Pläne einweihen müssen.

Das Dach statt in Wagenfarbe in Sichtcarbon ausgeführt kostet 2949 Euro extra. Wer glaubt, das sei unverschämt, sei auf den gleichlautenden Aufpreis für Schaltwippen in Carbon verwiesen

Technik:
V12, 48V, 5935 ccm, 573 PS (420 kW) bei 6750/min, max. Drehmoment 620 Nm bei 5500/min, Sechsgang-Automatik, Hinterradantrieb, Carbon-Keramik-Scheibenbremsen v/h (bel.), L/B/H 4728/ 2067/1294 mm, Radstand 2740 mm, 2 (a.W. 4) Sitze, Reifendimension 255/35 R 20 (v), 305/30 R 20 (h), Tankinhalt 78 l, Kofferraumvolumen 368 l, Leergewicht 1739 kg, 0-100 km/h 4,1 sec, Spitze 295 km/h, Normverbrauch (Stadt/außerorts/Mix) 21,4/10,2/14,4 l ROZ 98, CO2 335 g/km

Preis: EUR 326.000,-

Foto: Dominic Fraser