Ist er zu hart, bist du zu schwach

29. Oktober 2015
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Er ist der schnellste, stärkste, leichteste, radikalste, härteste und lauteste Abarth (mit Straßenzulassung), den man sich aktuell für Geld kaufen kann. Das, in Kombination mit dem aggressiven Look samt mattem Lack, breit ausgestellter Radkästen, kantiger Karbon-Spoiler und komplett geleertem Innenraum, macht ihn quasi zum Aushängeschild der Kategorie „geile Karren“. Als Mitglied dieser exklusiven Gruppe ist es freilich quasi selbstverständlich, dass allein der Gedanke ans Fahren des Abarth 695 biposto mir schon ein fettes Grinsen ins Gesicht zeichnet. Dennoch … immer auf den letzten Metern zum Auto, wenn ich den Giftzwerg mit dem Schlüssel in der Hand zur Bereitschaft rief – überkam mich dieses mulmige Gefühl. Diese Erinnerung an die letzte Fahrt, die mich begreifen lies „wenn du jetzt gleich einsteigst und losfährst, wirst du Spaß haben … klar. Aber mein Freund: du wirst auch leiden. Oh und wie du  leiden wirst Alter“. In diesem Augenblick stand ich dann in der Regel schon direkt neben dem Auto, hatte die Türschnalle umfasst und zog daran – kein zurück mehr. Aber warum denn auch? In diesem Moment fiel mein Blick nämlich auf die wunderschöne Innenverkleidung der Tür – komplett aus Karbon, nur durch ein kleines, rotes Stoffschlauferl „verziert“. Dann auf den Schalensitz, ebenfalls komplett aus Karbon mit Aussparungen für die dahinter liegenden, knallroten H-Gurte. Sehr cool! Also rein mit mir; der Blick schweift weiter. Noch mehr Karbon am Armaturenbrett, aus dem statt dem Radio ein Rennmonitor ragt, der nur bei jedem dritten Mal anstarten wirklich funktioniert (italienisches Auto halt 😉 ). Geil! Die linke Hand greift das dicke Leder-Volant, die rechte erweckt den Wagen zum Leben. Der brüllt los, als wäre er vom Rennteufel höchstpersönlich besessen; dumpfes Akrapovic-Brabbeln hinten, überraschend lautes Turbo-Gesäusel vorne und wohlige Vibrationen von einfach überall stellen mir augenblicklich alle Haare auf – MEGA-GEIL! Ich grinse wie ein Hutschpferd.

 

Doch dann kommt sie wieder; aus dem Nichts und trifft mich wie ein nasser Fetzen ins Gesicht: die „Realitäts-Watschen“. So schmerzhaft wie ein ganzes Tablett voller heißer Kürbiscremesuppe, die eine Kellnerin aus Versehen auf meinen Rücken fallen lässt. Ich lebe nämlich nicht in einer perfekten Welt. In einer solchen stünde ich nun nämlich in der Boxengasse von Spielberg oder Monza. Tue ich aber nicht. Ich stehe in einer Seitengasse in Wien – mit Kanaldeckeln, Schlaglöchern, Verkehrsberuhigungs-Mugeln und Kopfsteinpflaster-Straßerln. Und ich bin auch nicht auf Bestzeit-Jagd, wie ich es „dort“ bestimmt wäre. Ich bin am Weg zum Supermarkt – Milch und Eier kaufen, weil ich die wieder mal vergessen hab. Und so rolle ich los und kämpfe mit den Tücken des Alltags: Dank manueller Klimaanlage (immerhin!) ist mir abwechselnd heiß und kalt, jeder auftauchende Kanaldeckel wird mit panischen Ausweichmanövern umkurvt und das Einparken gerät zur überraschenden Herausforderung, denn der Wendekreis ist riesig.

Aber dann, direkt nach dieser zweiten Ampel beim dem Supermarkt, wenn die Tempobeschränkung auf 70 gehoben wird und die glatte Straße eine langgezogene Rechtskurve in das Wiener Umland schneidet, ist das alles wieder vergessen. Dann nämlich wird grinsend die Erste in den Begrenzer getreten. Die Reifen geben durch Qualmbildung ihren Kampf mit der Physik zu verstehen, der Turbo zwischtert sein hochverdichtendes Lied und während es aus der Akrapovic-Anlage knallt wie in einem Rambo-Film, ist es wieder da; das Gefühl, der Grinser, das „GEIL“, die Erkenntnis: Klar ist der Wagen eigentlich nix für den Alltag. Klar ist der Renncomputer komplett sinnlos. Klar ist der biposto unglaublich laut und gestört hart. Aber hey: Ist er zu hart, bist du zu schwach. Denn er ist einfach geil. Und so einfach ist das.