Alte Werte und neue Tugenden: Der Maserati Ghibli bricht bewusst mit Traditionen der Marke. Mit seinen Talenten kann er sich das leisten
Sattes Blubbern aus vier Auspuffendrohren, das sich mit steigender Drehzahl zu einer sonoren Kantate erregt. Ausgelöst von einem strammen V6, der unter dieser Melodie satte 600 Newtonmeter an die Hinterachse wuchtet. Ausreichend Leistung aus
einem Dreiliter-Aggregat, jederzeit abrufbar auf die Straße gepresst. Alles, wie es die Liebhaber des Dreizacks schätzen. Die jetzt stark sein müssen: Es ist ein Diesel. Wie bitte? Der Gehörsturz, den diese Nachricht bei den Gralswächtern der Marke absehbarerweise auslöst, wird vom Markt unbeachtet bleiben. Wie bei anderen geifernd bewachten Institutionen sind die, die am lautesten Blasphemie” schreien, ohnehin keine Kunden, nicht einmal potenzielle.
Der Diesel an sich ist eine Randerscheinung, die ihre Existenzberechtigung ausschließlich auf dem Kontinent hat, der längst selbst eine automobile Fußnote ist: Europa. Immerhin war der dank Neid-Steuern und Pseudo-Sozial-Gehorsam verkümmerte Premium-Markt in der Alten Welt einem Hersteller noch die aufwändige Entwicklung eines eigenen Motors wert. Die europäische Unart Diesel bleibt im Rest der Welt ohne Nachahmung – und dort macht Maserati derweil mehr als 90 Prozent seines Geschäfts.
Dazu soll erwähnt sein, dass Autos mit grundsätzlich sportlichem Nimbus und die Diesel-Motorisierung gerade in Italien schon vor Jahrzehnten ihre ersten Liaisons hatten. Die bis heute von vielen heiß geliebte Giulia Limousine gab es bereits 1976 mit Selbstzünder-Murl, allerdings blieb die Sportlichkeit damals doch ein wenig auf der Strecke – bei etwas Rückenwind wurde selbst eine voll beschleunigende Diesel-Giulia von der selbst ausgestoßenen Rußwolke locker eingeholt. Die Vergangenheit möge ruhen, Maseratis nagelneuer V6-Diesel ist ein Kraftpaket und baut auf dem Dreiliter-Konzernmotor auf, der schon bei Lancia und Jeep für Vortrieb sorgt. Nach dem Durchlaufen der Modeneser Kraftkammer entsprechend erstarkt und mit dem technischen Beiwerk umgeben, das auch die anderen Ghibli-Varianten bewegt, dazu mit dieser herzzerreißenden Akustik ausgestattet – selbst Puristen dürften dem Gerät nicht den Segen verweigern.
Rasante Dynamik im Fahrwasser des guten Geschmacks – der Ghibli darf als sichere Anlage in Sachen Stil gelten und wird auch in 30 Jahren nicht fad wirken
Der Name wird das nächste Reizthema für so genannte Fans sein: Ghiblis gab es in der Firmengeschichte bisher zwei, beides Zweitürer – jetzt steht Nummer drei hier, als klassische Limousine. Die ideelle Zugkraft des Namens vom Wüstenwind, der bisweilen von der Sahara über das Mittelmeer Richtung Italien weht, bewertete Maserati höher als das schnöde Abzählen von Türen. Wer sich damit leichter tut:
Maserati hat jetzt zwei Quattroporte im Programm, einen großen und einen sehr großen, und der nicht so große heißt halt Ghibli. Wem aus diesem Umstand schon eine Krise herandämmert, muss sonst ein glücklicher Mensch sein.
In den Dimensionen reiht sich der Ghibli mit etwas weniger als fünf Metern Länge etwa in der Liga eines 5er-BMW ein. Von Natur aus mit einer coupé-artigen Linie begünstigt, nimmt Maseratis neuer Viertürer die modischen Untersegment-Mitbewerber CLS, A7 oder 6er Gran Coupé quasi im Vorbeigehen gleich mit – und spart sich dabei, mit dem Coupé-Schmäh extra hausieren gehen zu müssen. Schon aufgrund der Abmessungen ist er deutlich proportionierter als der Quattroporte, vor allem aber ist der Ghibli, was der große Bruder nicht zwingend sein muss: ein Fahrer-Auto. So fehlt im Innenraum auch völlig die angedeutete Wohnzimmer-Atmosphäre, stattdessen vereinnahmt ein sportliches Cockpit den Fahrer für sich und die Maschine.
Es gibt Alternativen zur eventuell nicht jeden Geschmack treffende Bicolor-Variante: Bei 19 verschiedenen Farb-Optionen sollte für jeden etwas dabei sein
Lässt schon der Diesel praktisch keine Wünsche offen, geigt der 410 PS starke V6-Benziner erst richtig auf. Für alle, die sich die äußerste Spitze der Fahrdynamik nicht versagen wollen, gibt es ihn gegen knapp 4000 Euro extra mit Allradantrieb Q4, womit auch der gern gesehene Österreich-Bezug wieder einmal hergestellt wäre: Das schlaue System hat Magna in Graz entwickelt.
Die Klangkulisse des scharfen Benziners ist nichts anderes als eine akustische Dauererektion – gegen dieses kehlige Tremolo verblasst auch die durchaus gehörs-orientierte deutsche Hochleistungs-Konkurrenz. Anders gesagt: Dort singt bestenfalls Nena, hier Gianna Nannini. Aus dem Stand fliegt der Ghibli Q4 in 4,8 Sekunden durch die Hunderter-Schallmauer und wird bei Bedarf bis 284 km/h nicht aufhören nachzulegen. Die besondere Zuwendung der Software-Techniker hat der Achtgang-Automatik von ZF noch einmal rund 40 Prozent kürzere Schaltzeiten abgerungen, die auch dem manuellen Gangwechsel über die Lenkrad-Wippen zugute kommen. Das Abreißen und Wiedereinsetzen des räudigen Gesangs aus den Auspuffrohren bei jedem Schaltvorgang ist eindeutig suchtgefährdend und der perfekte Soundtrack zum Gesamterlebnis der Fahrmaschine Ghibli: eine Komposition aus direkter Lenkung, unbestechlicher Traktion dank Zusammenspiel von Sperrdifferenzial und Allradsystem, als Draufgabe eine perfekte Fahrzeug-Balance.
Dynamische Seitenlinie, Kotflügel wie gespannte Muskeln, dazu ein Heck, das wortlos mitteilt: Probier es erst gar nicht! Schuhwerk ist von Größe 18 bis 21 lieferbar, dahinter packt feine Ware von Brembo zu – aus 100 km/h soll der Ghibli in 36 Metern stehen
Die Kraftverteilung zwischen den Achsen wird bei Bedarf auf einer Grafik im Cockpit angezeigt, bis zu 40 Prozent an der Vorderachse waren möglich, variabel mit bis zu 100 an der Hinterachse. Allerdings: Wer Zeit hat, sich solche Gimmicks anzuschauen, bewegt den Ghibli garantiert nicht so, wie es der Dreizack verdient hat.
Maserati hat sich offenkundig die deutsche Premium-Armada als Steilvorlage genommen, und das Argument, eben kein Massenhersteller zu sein, der seine Mittelklasse-Modelle mit viel Leistung und Leder pimpt, mag speziell für den Ghibli vielerorts gut ankommen. Hierzulande werden sich die voraussehbaren Diskussionen zwischen maserati-willigen Managern und den Fuhrparkleitern ihrer Firma immerhin kaum am Einstandspreis entzünden: Mit 73.354 Euro für den Diesel brennt Maserati der Konkurrenz
eine echte Kampfansage auf. Eher dürfte es die Frage nach der allgemeinen Verträglichkeit des dreizackigen Luxus auf dem Firmenparkplatz sein, von der die reine Preisfrage sauber ausgebremst wird. Schon Coco Chanel hat sich seinerzeit mit der Problematik auseinandergesetzt und allen Kritikern eine Antwort formuliert: Luxus sei in Wahrheit nicht das Gegenteil von Armut, sondern nur das Gegenteil des Vulgären.
[ i]TECHNIK:[ /i]
V6, 24V, Turbo, 2937 ccm, 275 PS (202 kW) bei 4000/min, max. Drehmoment 570 Nm bei 2000-2600/min, Achtgang-Automatik, Hinterradantrieb, Scheibenbremsen v/h (bel.), L/B/H 4971/1945/1461 mm, 5 Sitze, Reifendimension 235/50 R 18 (v), 275/45 R 18 (h), Tankinhalt 80 l, Kofferraumvolumen 500 l, Leergewicht 1835 kg, 0-100 km/h 6,3 sec, Spitze 250 km/h, Normverbrauch (Stadt/außerorts/Mix) 7,6/5,0/5,9 l Diesel, CO2 158 g/km
Basis-Preis: EUR 73.354,-
Fotos: Robert May “