Mikrochip in der Automobil-Elektronik

Mikrochip-Mangel: aktuelle Lieferengpässe beim Autokauf

24. November 2021
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Aktuelles

Inzwischen dürfte es sich bis zu autofernen Kreisen durchgesprochen haben: „Chip-Mangel“ im Automobil-Bereich bedeutet nicht, dass wieder einmal keine Kartoffelscheiben im Handschuhfach zu finden sind. Es geht um Mikrochips – integrierte Schaltkreise, bestehend aus Halbleiter-Elementen. Diese dienen der elektronischen Steuerung fast aller Funktionen im modernen Auto.

Der Ursprung des aktuellen Mangels an Halbleitern liegt in der Corona-Krise. Vor gut eineinhalb Jahren wurden in der Industrie aufgrund allgemeiner Kaufzurückhaltung, diverser Lockdowns etc. Produktions-Prozesse massiv zurückgefahren. Autos waren davon als kostenintensive und temporär aufschiebbare Anschaffung besonders stark betroffen.

Die Halb­­­leiter-Hersteller hatten insofern Glück, dass aufgrund zwangsläufig in Mode gekommener Schlagworte wie „Home-Office“ oder „Home-Schooling“ Käufe von Laptops, Tablets und Smartphones nach kurzer Schrecksekunde sogar einen Aufschwung erlebten. Und so wurden die Einbrüche z.B. im Autogeschäft dort durch neue Aufträge im Bereich der Computer- und Kommunikations-Hardware locker aufgefangen.

Im heurigen Frühjahr begann sich die Wirtschaft schnell zu erholen. Ein solcher Boom – zumal in dieser Heftigkeit nicht erwartet – bringt unerwünschte Nebeneffekte: Strom-, Gas-, Benzin- und Rohstoffpreise steigen seither stark an, weil die Nachfrage gewaltig ist. Auch jene nach Mikrochips. Aber: Verträge sind nun einmal einzuhalten, und die Autohersteller, die aufgrund von Covid ihre Produktion besonders stark zurückgefahren hatten, müssen sich jetzt hinten anstellen – die Folge sind lange Lieferzeiten.

Ausmaß der Lieferengpässe

Praktisch alle Autobauer sind betroffen, es scheinen aber deutsche Hersteller besonders stark unter Lieferverzögerungen zu leiden. Auf individuell konfigurierte Neufahrzeuge wartet man aktuell zwischen sechs Monate und einem Jahr. Zum einen sind in High Tech-Fahrzeugen aus Deutschland besonders viele Chips verbaut, zum andern befinden sich die allermeisten Halbleiter-Hersteller in Asien oder den USA.

Gar nicht von der Krise berührt scheint der Elektroauto-Hersteller Tesla. Liegt es daran, dass Mastermind Elon Musk ­Mikrochips im eigenen Haus entwickeln lässt? Ist es der US-Standortvorteil? So oder so, aktu­ell bewegen sich die Lieferzeiten aller Tesla-Modelle, auch des Topsellers Model 3 (siehe Tabelle unten), im Normalbereich zwischen einem und drei Monaten.

Bei nichtdeutschen europäischen und asiatischen Autos ist die Wartedauer am weitesten gespreizt, hier können die Lieferzeiten zwischen zwei Monaten und einem Jahr liegen. Viel hängt dabei vom gewählten Modell ab. Andreas Blecha, Sprecher von Fiat Österreich, erklärt: „Niedrigemissions-Fahrzeuge werden bei der Belieferung mit Halbleitern bevorzugt“. Dem widerspricht man bei Hyundai indirekt, weil dort gerade elek-trifizierte (Hybrid-)Antriebe mit längeren Lieferzeiten konfrontiert sind.

Tipp: Beim Verkäufer die Lieferzeit des Wunschmodells in geplanter Motorisierung erfragen und sich gegebenenfalls über schneller erhältliche Alternativen beraten lassen.

Leasingfahrzeuge sind von der Lieferzeit-Problematik natürlich genauso betroffen. Spannend ist vor allem die Frage, ob sich der gewohnt nahtlose Anschluss zum neuen Auto noch ausgeht.

Tipp: Wessen Leasingvertrag früher als in einem Jahr ausläuft, der sollte jetzt Erkundigungen bezüglich eines Neuwagens einholen. Falls man nicht bereits einen diesbezüglichen Anruf vom Kundenberater seines Vertrauens erhalten hat. Geht sich ein direkter Anschluss nicht mehr aus, empfehlen die meisten Händler unbürokratische Leasing-Verlängerungen um die nötige Anzahl an Monaten. Ein Ankauf des Autos zu Vertragsende samt Weiterverkauf erst bei Erhalt des Neuwagens ist natürlich ebenfalls möglich – und sinnvoll, weil man aktuell einen besonders guten Preis beim Verkauf des Gebrauchten erzielen kann.

Denn die fehlende Neuwagen-Verfügbarkeit hat längst auf den Second-Hand-Markt durchgeschlagen. Das diesbezügliche Angebot ging aufgrund der großen Nachfrage inzwischen um 20 Prozent zurück, in der Folge zogen die Gebrauchtwagen-Preise kräftig an.

Ausstattung als Hemmschuh

Tatsächlich gibt es ausstattungsbedingte Wartezeit-Unterschiede: Als richtig zäh erweist sich derzeit die Produktion von kabellosen Ladeschalen für Smartphones. Zahlreiche Hersteller führen sie deshalb zurzeit gar nicht im Programm.

Tipp: Bei manchen Marken ist die kabellose Lademöglichkeit nach wie vor erhältlich, könnte die Lieferung aber hinauszögern. Meint man, ohne dieses Goodie auskommen zu können, sollte man es sicherheitshalber nicht bestellen.

Laut Klaus Edelsbrunner, Bundesgremial-Obmann des ­österreichischen Fahrzeughandels in der Wirtschaftskammer, verlängert sich die Wartezeit sprunghaft, je mehr Extras man wünscht. Bei seiner Händlermarke Peugeot muss man derzeit besonders bei elektrisch klappbaren Außenspiegeln und Panorama-Schiebedächern Geduld aufbringen.

BMW-Verkäufer sprechen von Rückfahrkamera-Liefersorgen, manche Marken liefern Fahrzeuge vorerst mit nur einem Schlüssel aus, und auch zusätzliche Assistenzsysteme können sich als notorische Lieferfrist-Verlängerer erweisen.

Bei allen Produkten des VW-Konzerns sollte man sich derzeit die Bestellung einer Standheizung oder einer Anhängevorrichtung wohl überlegen. Beide erhöhen die Wartezeit aufs neue Auto deutlich. Die Stahl-Kupplung scheint ein simpler Bauteil zu sein, doch zum einen kämpft die Autoindustrie inzwischen auch mit Rohstoffknappheit, zum anderen kommen selbst Bauteile für den Anhängerbetrieb nicht mehr ohne Elektronik aus, weil dafür akustische Einparkhilfe oder automatischer Park-Assistent mit adaptierten Chips versehen werden müssen.

Auch Soundanlagen können von Lieferverzögerungen betroffen sein. Gerüchten zufolge bieten Suzuki-Händler ihren Kunden sogar an, den City-SUV ­Ignis vorerst ohne Multimediasystem zu kaufen. Bei Verfügbarkeit wird es dann nachträglich eingebaut.

Tipp: Wer flexibel ist, kann seinen Neuwagen früher in Empfang nehmen. Indem man sich bei gewünschten Extras nach deren zeitlicher Verfügbarkeit erkundigt und gegebenenfalls auf das eine oder andere verzichtet. Oder indem man sich (falls möglich) bestimmte Extras erst nachträglich einbauen lässt.

Thema Lagerfahrzeuge und Tageszulassungen

In den Vorjahren gab es im Automobilbereich eine deftige Überproduktion. Neue Modelle wurden in gesättigte Märkte wie den europäischen beinahe mit Gewalt eingebracht. Hersteller machten dabei Druck auf Importeure, den diese an die Händler weitergaben. Die Folge: Lagerfahrzeuge standen zahlreich herum, Tageszulassungen wurden zum beliebten Marketing-In­strument – für beides gab es ­satte Rabatte. Davon zehrt man noch immer, aber auch der größte ­Bestand neigt sich einmal dem Ende zu, wenn kaum Neues nachkommt.

Inzwischen gibt es fast keine Tageszulassungen mehr, die Anzahl der Lagerfahrzeuge ist mindestens um die Hälfte zurückgegangen. Zwar sind die Händler europaweit vernetzt und können auch Autos aus anderen EU-Ländern bestellen. Das erhöht den Spielraum eventuell im Einzelfall, aber nicht generell, da ganz Europa von der Lieferzeit-Problematik betroffen ist.

So ist es von Marke zu Marke unterschiedlich, ob noch gefragte Lagerfahrzeuge verfügbar sind oder vorwiegend Ladenhüter. Bei Ersteren wird man über den angebotenen Nachlass enttäuscht sein. Laut Klaus Edelsbrunner „gehen beliebte Modelle an den Meistbietenden“. Maximilian Lemberger von Mazda Rainer sieht hier nicht ganz so schwarz: „Fallweise gibt es Aktionspreise bei Lagerfahrzeugen, dann muss man allerdings schnell zuschlagen.“

Tipp: Wer sich ein Lagerfahrzeug zulegen will, muss bezüglich Motorisierung oder Ausstattung flexibler sein denn je. Lagerware ist naturgemäß sofort zu kriegen, die tollen Rabatte vergangener Jahre sind aber vorerst Geschichte. Ausstellungs- und Vorführwagen wären schnell erhältlich, sind bei manchen Händlern aber „gesperrt“ – man will schließlich etwas zum Herzeigen haben. Nachfragen lohnt sich aber auf jeden Fall.

Wann endet die Krise?

Covid flammt vor allem in Asien wiederholt neu auf, weshalb auch Halbleiter-Werke immer wieder temporär geschlossen werden müssen. Entsprechend unsicher und angespannt ist die Situation nach wie vor.

Demnach geben sich die Importeure bezüglich einer Prognose zum Ende der Krise vage: Die meisten lassen sich lediglich die Formulierung „über das Jahr 2021 hinaus“ entlocken. Bei Renault wird man konkreter: „bis Mitte 2022“. Doch Fahrzeughandel-Gremialvorsteher Edelsbrun­ner will nicht so recht an ein absehbares Ende des prekären Zustandes glauben. Er befürchtet, dass die Halbleiter-Knappheit und die dadurch verlängerten Lieferzeiten Herstellern, Händlern und Kunden bis ins vierte Quartal 2022 hinein Kopfzerbrechen bereiten werden.

Dieser Artikel erschien zuerst in der Printausgabe 11/2021 von ALLESAUTO