Traumauto Test Porsche 718 Boxster Spyder

13. August 2023
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Aktuelles

Man stelle sich vor, die gute Auto-Fee taucht unverhofft auf und stellt einen Wunsch frei. Wir würden uns jenen herbstliche Traumtag zurückwünschen, an dem wir den Porsche 718 Spyder in der bunt verfärbten Wachau zum Foto-Termin baten. Gern erinnern wir uns zurück, denn es blieb nicht nur beim Shooting: Der Tag endete in einer traumhaften Ausfahrt Richtung Alpen, ohne vordefiniertes Ziel – denn erst, wenn es nur mehr ums reine Fahren an sich und nicht mehr um das Absolvieren einer Wegstrecke geht, findet sich ein Spyder in seinem natürlichen Habitat wieder. 

Endlich hat er es geschafft, sich von der Bürde des Baby-Porsche zu befreien: Seit der Einführung des kleinen Zweisitzers vor einem Vierteljahrhundert wurde der Boxster von selbst ernannten Stammtisch-Experten viel zu oft als verweichlichtes Einstiegsmodell belächelt. Dabei handelte es sich um ein hausgemachtes Problem: Die Zuffenhausener wussten stets zu verhindern, dass der Boxster dem allmächtigen 911 zu nahe kommt, sei es über die Leistung oder über sonstige Attribute – wie etwa den Preis.

Über die Jahre hinweg hat Porsche seiner kleinen Baureihe freilich immer mehr Freiraum zur Entfaltung gegeben, deren Höhepunkt vorerst mit dem Spyder erreicht ist. Bei diesem 718 handelt es sich um ein Auto für Kenner – nur die wenigsten wissen, was diesen Roadster ausmacht. Welcher Motor ist verbaut? Wie sieht es mit dem Fahrwerk aus? Und wie mit Karosserie oder Dach? Die Antworten schaffen ein einzigartiges Highlight im Stuttgarter Portfolio.

Die Geschichte hinter dem Kürzel 718

Als ersten Schritt zur Emanzipation hat der Boxster seit 2016 ein sagenumwobenes Zahlen-Kürzel angenommen: 718. Der Na­mens­geber war an Vielfalt kaum zu übertreffen: Der 1957 entwickelte Rennwagen war in unterschiedlichsten Konfigurationen in diversen Wettbewerben am Start – ob als Langstrecken Renner RSK in Le Mans, als RS bei Straßenrennen wie der Targa Florio oder in abgewandelter Form als Formel 1-Bolide. Der klassische Typ 718 war jedenfalls ein bunter Zeitgenosse, der auf mehreren Hochzeiten gleichzeitig tanzen konnte.

Dass Porsche der aktuellen Boxster-Baureihe den Beinahmen 718 verpasst hat und somit in gewisser Weise dem Schema des 911 folgt, ist faktisch mit einer Adelung gleichzusetzen – Panamera, Taycan oder Cayenne tragen schließlich nach außen hin keinen Zahlencode. 

Warum der Name Spyder? Um diese Frage zu klären, gilt es, die Fantasie zu bemühen. Stellt man sich nur die beiden Achsen sowie die Fahrgastzelle vor, hängt letztere wie der Körper einer ­Spinne zwischen den Beinen. Das bringt uns prompt zum Setup unseres Protagonisten. Basierend auf dem regulären Boxster-Modell wurde der Zweisitzer einer Motorsport-Behandlung der hauseigenen GT-Abteilung unterzogen. Das Fahrwerk teilt sich der Spyder mit dem geschlossen Bruder Cayman GT4, ebenso essenzielle Komponenten wie Bremsen und Hochleistungs-Reifen.

 

Unterschiede gibt es bei der Aerodynamik, denn der Roadster verzichtet auf den Abtrieb des großen Flügels und begnügt sich mit einem zwischen den weit auseinander liegenden Endrohren befindlichen Diffusor und dem ab 120 km/h ausfahrenden Heckspoiler. Wie bei Porsche üblich sind dazu über das gesamte Auto technische Schmankerl verteilt: An der Front können „Vorhänge“ entstehen, die die Luft zielgerecht vor den Vorderrädern austreten lassen, dazu gibt es sogenannte „Gurneyflaps“ zur aerodynamischen Ableitung, am Unterboden finden sich NACA-Öffnungen.

Sechszylinder-Boxermotor

Dass Porsche gern Boxermotoren mit sechs Zylindern baut, ist für Auto-Fans nichts Neues. Die Ahnenforschung ist sich einig: Wenige Aggregate vereinen Motorsport-Feeling, Emotion und Effizienz so wie diese Porsche-Bauart. Dass man sich im Jahr 2019 dazu entschloss, mitten in der Ära Downsizing & Hybrid einen Vierliter-Saugmotor in die „kleine“ Baureihe zu pflanzen, verdient definitiv Applaus. Interessant dabei: dass es im Hause seit diesem Zeitpunkt zwei Motoren gibt, die sich dem ersten Anschein nach sehr ähnlich sind. Im 911 GT3 und GT3 RS arbeitet jeweils ein Vierliter-Sechszylinder, der direkt in Verbindung mit den Rennmotoren von Porsche steht.

Ganz so edler Herkunft ist das gleich große ­Aggregat im Spyder nicht – es basiert auf dem Dreiliter-Turbo der 911 Car­re­ras, für den Einsatz im 718 wurde es von den Ladern befreit und auf vier Liter erweitert. Die Unterschiede beim Fahrgefühl zwischen den beiden Vierliter-Triebwerken sind dann auch genauso, wie es – basierend auf ihrer Entstehungsgeschichte – zu vermuten ist: Die Version im Rennsport-11er ist schärfer und aggressiver, das Drehmoment liegt später an, die Maximal-Drehzahl mit 9000 ­höher. Der Motor des kleinen Bruders hingegen bietet bei niedrigen bis mittleren Touren zumindest gleich viel, wenn nicht mehr Druck, doch auch nach oben raus marschiert der Boxer, wenngleich bei 8000 Umdrehungen Schluss ist – immer noch weiter als jedes
andere Auto dieser Preisklasse. 

Auch beim Klang spiegelt sich die Summe der Eigenschaften ­wider: Der Vierliter im Boxster klingt etwas dumpfer und bassiger, er schreit nicht ganz so aggressiv wie das Aggregat in GT3 oder GT3 RS. Zugegeben, das mögen alles nur Kleinigkeiten sein, doch lässt man sich auf jene Feinheiten im Porsche-Universum ein, wird man von einer faszinierenden Detail-Welt empfangen. Gutes Stichwort: Bei wenig Last schalten sich die Zylinderbänke abwechselnd ab, was beim Spritsparen hilft und in der Praxis kaum merkbar ist. ­Alle 20 Sekunden wird übrigens die Seite gewechselt, damit die Kats stets auf Temperatur bleiben.

Doch jetzt geht es ums Fahren, ums flotte Fahren. Der Spyder ist im Vergleich zum 911 das flachere Auto und hat sogar ­einen minimal längeren Radstand. Man sitzt tief, und nachdem hinter ­einem im Gegensatz zum großen Bruder kein Sitzplatz mehr ist, fühlt man sich dem Herz des Autos noch näher – was auch faktisch der Fall ist, Stichwort Mittelmotor. Beim Fahrverhalten werden die Eigenschaften ebenso klar übermittelt: Agieren die schärferen Varianten des Porsche 911 wie großgewachsene Stürmer mit Zug zum Tor, ist der 718 Spyder eher der wendige Dribbler im Mittelfeld – agil, mit Umsicht und Freude am Spiel. Die Gewichtsverteilung darf ruhig als ideal angesehen werden, das Einlenkverhalten ist zackig, ohne künstlich aggressiv zu wirken. Dieser 718 lässt sich intui­tiv durch die Kurven bewegen, man ist gleich nach den ersten Metern per du mit ihm. 

Qual der Getriebe-Wahl

Serienmäßig wird der Spyder mit einem knackigen Sechsgang-Getriebe samt (abschaltbarer) Zwischengas-Funktion ausgeliefert, unser Testwagen war mit dem optionalen Doppelkupplungsgetriebe bestückt – und da gibt’s sogar einen Gang mehr. Weil die hier verbaute PDK-Variante zielgerichtet für den Einsatz in einem ernstzunehmenden Sportgerät angeschärft wurde, gibt es keinen Kriech-Modus, was das Rangieren ruppig und mühsam macht.

Dafür schaltet es unter Zug, wie man es kennt – klar definiert, hart und präzise. Immer wieder ein Highlight bei der Kombination PDK und Hochdrehzahl-Motor: der Rennstart. Sind die diversen Parameter auf Sport gestellt, wird mit dem linken Fuß die Bremse betätigt, der rechte drückt das Gaspedal bis zur Bodenplatte. „Launch Control aktiviert“ warnt das kleine digitale Display, die Drehzahlnadel verharrt bei 5000 Umdrehungen, der Spyder scharrt in den ­Startlöchern, bleibt dort allerdings fest vertäut. Erst wenn die Bremse gelöst wird, katapultiert der Vierliter den 718 mit Top-Traktion nach vorne – zumal, wenn die Sportreifen auf Betriebstemperatur sind.

Am Ende des Tages reift eine Überzeugung: Schnitzel und Bier, Neujahrskonzert und Radetzkymarsch, Porsche Spyder und kurvige Landstraßen – manche Dinge gehören einfach zusammen. Und mit einem Preis-Bonus von rund 30.000 Euro gegenüber dem schwächeren Basis-911 Cabrio gesellt sich am Ende zur puren Faszination sogar noch ein Hauch Rationalität.

Fotos: Robert May

Daten & Fakten

Basispreis in € 131.639,–
Zyl./Ventile pro Zyl. 6/4
Hubraum in ccm 3995
PS bei U/min 420 bei 7600
Nm bei U/min 430 bei 5000–6800
Getriebe 6-Gang-Handschaltung
L/B/H, Radst. in mm 4430/1801/1258, 2484
Kofferraum v bzw. h/Tank in l 150 bzw. 129/64
Leergewicht in kg 1495
0–100 km/h in sec 4,4
Spitze in km/h 301
WLTP-Normverbrauch in l (kombiniert) 11,1
CO2-Ausstoß in g/km 251