Bentley Continental GT Speed

8. März 2013
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Tests

FAHRZEUGDATEN

Marke:Bentley
Klasse:Coupé
Antrieb:Allrad
Treibstoff:Benzin
Leistung:625 PS
Testverbrauch:14,5 l/100km
Modelljahr:2013
Grundpreis:257.880 Euro

Im Bentley GT Speed stecken zwei Autos – nicht nur preislich. Und noch viel mehr, das unbezahlbar ist

Rein äußerlich ist der Continental GT seit über zehn Jahren praktisch unverändert. Von Anfang an war er so eine Art Denkmal des Gran Turismo-Geistes – nur ohne die depressive Corona, die Denkmäler sonst umgibt. Im Gegenteil: Der GT kommt als in 2,3 Tonnen Stahl geschnitzte Inkarnation des Wortes Vorwärts” an. Details wie Heckleuchten und Grill-Design werden womöglich nur verändert um die Modellgenerationen leidlich unterscheidbar zu halten. Wenn also vor dem Landsitz der neue, verschärfte GT Speed parkt, dann soll das doch bitte auch jemand mitkriegen, sonst glauben noch alle, du fährst den alten von vor vier Jahren, wie der Nachbar.
Bentley ist fest in deutscher, genauer gesagt Volkswagen-Hand – ja OK, Nase rümpfen – aber sorry, für die Marke war das die Erlösung aus dem jahrzehntelangen Wachkoma. Heute verdichtet sich in den Autos aus Crewe das gesamte Konzern-Know-how,
und wer da reinschnuppert, darf schon angemessen beeindruckt sein von der Leistungsschau an Perfektion und Ingenieurskönnen. Als einziges Manko hat man sich dabei zugezogen, dass der Drang zur Perfektion der Handwerkskunst das Handwerkliche genommen hat. Denn im Bentley steckt viel Handarbeit, sie präsentiert sich nur in einer fast lexus-artigen Leidenschaftslosigkeit. Wer einen Blick in ein Aston-Martin Cockpit werfen kann, wird den Unterschied sofort verstehen.
Der GT Speed ringt dem W12-Motor jetzt 625 PS und 800 Newtonmeter ab, was die Bentley-Boys in tiefem Ernst als Untergrenze bezeichnen, die man unter Bedachtnahme auf Haltbarkeit und Zuverlässigkeit derzeit nicht überschreiten wolle. Wer je eine Definition von Understatement gesucht hat – das wäre eine. Das Wort Ikone bemüht das Bentley-Marketing gerne für möglichst alles am und im Continental, aber dafür ist es ein wenig früh: Für Ikonen gibt´s keinen Intensivkurs, nicht einmal mit Bentley-Stammbaum – in ein paar Jahren, so Mitte des Jahrhunderts, reden wir weiter. Wenn der W12 weiter so sorgsam gepflegt wird, ist er aber zweifellos auf dem Weg zur Ikone, Klassiker darf er sich jetzt schon nennen.
Das Betreten und Verlassen des Continental gelingt dank meniskus- und bandscheiben-freundlicher Architektur jeder Altersgruppe völlig unpeinlich – sogar der, die ihn sich bevorzugt leisten wird. Das makellose Bentley-Universum empfängt mit der selbstverständlichen Noblesse einer Fünf-Sterne-Plus-Suite, Kunststoff ist wohltuend rar, stattdessen findet das Leben in Holz, Leder und Chrom statt. Ein elektronischer Butler reicht diskret den Gurt, der Sitz fährt geräuschlos in Position, wenn eure Lordschaft jetzt zu starten gedenken, es wäre alles bereit.

Fehlt da was? Ja, Kunststoff – geht aber niemand ab. Das hochwertige Interieur leidet tendenziell an emotionaler Unterkühlung, die Bedien-Logik bietet dafür Großserien-Perfektion

Der Zwölfender hat erwartungsgemäß ausgezeichnete Manieren, stimmt gerade einmal ein verhaltenes Summen an, der Innenraum bleibt vibrationsfrei und still wie ein Konzertsaal, wenn der Dirigentenstab die Ouverture anklopft.
Im D-Modus gibt sich der GT Speed in jeder Lebenslage souverän und überlegen, beinahe anspruchslos gegenüber dem Fahrer, die Kilometer rinnen fast belanglos über das Zählwerk. Langstrecken- und alltagstauglich zu sein, ist keine Schande – selbst wer fast 260 Tausender für sein Auto hinblättert, muss vielleicht noch dann und wann zur Arbeit. Termine auf unbekanntem Terrain könnten dennoch eine gewisse Herausforderung werden, denn das serienmäßige Navigationssystem Google Maps verliert sich gern selbst. Wer erklärt, dass er lieber einen Umweg gefahren ist, um dem Fahrgenuss länger zu frönen, wird freilich Verständnis für sein Zuspätkommen ernten.
Wenn der Wählhebel hingegen auf S rutscht, stellt sich nur noch die Frage: Steht das nun für Speed, Sport oder einfach nur Sau rauslassen? Im selben Moment geht ein Rucken durch das ganze Auto, die Automatik hantelt sich gleich mehrere Gänge runter, die Auspuffdrosseln ziehen ab, sechs Liter Murl räuspern sich gehörig, und die Dämpfer haken im Kampf-Modus ein. Es fühlt sich an, als würde das Ding seine Muskeln anspannen, wie ein Dobermann auf den Befehl “Aufpassen!” – und warten, auf “Fass!”.
Nicht, dass der GT Speed im Normal-Modus fad im Geschmack wäre – auf S gibt´s aber sozusagen doppelt Zwiebel und viel scharf – wer darauf Magendrücken bekommt, sollte es lieber lassen. Wer sich traut, wird mit Performance vom Feinsten belohnt – der Bentley bleibt garantiert keinen der vielen Cents schuldig. Leistung, Handling und Bremsen sind eine hyperaktive, aber perfekte Choreographie am Limit, die nie kippt. Das Gerät hängt in Echtzeit am Gas, reagiert präzise, aber nicht nervös, gibt sich keine Blöße. Die elektronischen Hilfstruppen arbeiten undercover, kein plötzlicher Schubabfall oder ruppiges Abbremsen in brenzligen Situationen – die Steuerelektronik muss hellseherische Fähigkeiten haben um so vorausschauend und unauffällig eingreifen zu können. Der Schritt vom letzten Continental Speed zu diesem ist gewaltig – dabei sind es fast ausschließlich Feinabstimmungen und Detailverbesserungen bei Fahrwerk, Abtrieb und Elektronik, die dieses Upgrade ausmachen. Wie viel Potenzial am oberen Ende der Skala immer noch gefunden wird, ist enorm.
Am Ende jeder Fahrt ist Chillen angesagt, am besten die letzten Kilometer wieder in den D-Modus zurückgleiten, Adrenalin aus den Zellen schwemmen, wieder im Zeitlupen-Universum ankommen. Braucht die Welt so ein Auto? Unbedingt! Die verlogene Zurschaustellung von Möchtegern-Political-Correctness mit großvolumigen Dieselmotoren in pazifistisch auf Mittelklasse geschminkten 100.000-Euro Limousinen ödet an. Bentley ist ein Statement und der Continental GT Speed seine schönste Formulierung.

Ob das abgesteppte, perforierte Leder die beste Wahl für den dank Isofix leicht festzumachenden Nachwuchs und seine Essgewohnheiten ist, wird die Praxis zeigen

[ i]TECHNIK:[ /i]
W12, Biturbo, 48V, 3993 ccm, 625 PS (460 kW) bei 5000/min, max. Drehmoment 800 Nm bei 2000/min, Achtgang-Automatik, Allradantrieb, Scheibenbremsen v/h (bel.), L/B/H 4806/1944/1394 mm, Radstand 2746 mm, 4 Sitze, Reifendimension 275/35 R 21, Tankinhalt 90 l, Kofferraumvolumen 358 l, Leergewicht 2320 kg, 0-100 km/h 4,2 sec, Spitze 330 km/h, Normverbrauch (Stadt/außerorts/ Mix) 22,2/10,1/14,5 l ROZ 98, CO2 338 g/km

Preis: EUR 257.880,-

Der schnellste Bentley aller Zeiten und dennoch keine Windkanal-Flunder. Die Linie des Continental ist zeitlos, Retuschen werden entsprechend diskret vorgenommen

Fotos: Nick Dimbleby “