Bevor wir uns gleich in hochmodernen Technik-Details und futuristischem Datenmaterial verlieren, das wichtigste vorne weg – auch, wenn es die Liga der außerordentlichen Weltverbesserer und Elektro-Jünger nicht freuen wird: Etwa seit dem Anfang der 90er-Jahre gebauten S2 mit Fünfzylinder-Turbo und Permanent-Allrad hat kaum ein Audi so viel Spaß gemacht, wie es nun ausgerechnet der batterieelektrische e-tron schafft. Momentan stellt er genau die Abnabelung und Distanz vom Wolfsburger Einheits-Konzernbrei dar, den die Ingolstädter seit Jahren bitter vermissen haben lassen.
Dass die Power dafür nun aus einer Batterie kommt, ist angesichts dessen zweitrangig – wie sie auf die Straße gebracht wird, hingegen nicht. Im Gegensatz zum ewig faden Vorderradantrieb mit bei Bedarf traktionsunterstützend eingreifender Hinterachse, der uns fälschlicherweise als Allrad untergejubelt wird, spielt der e-tron mit seiner hecklastigen Dauer-Kraftverteilung auf alle viere eindeutig in der Neigungsgruppe Spaß und gute Laune auf jedem Untergrund.
Audi hat seine technische Revolution absichtlich diskret verpackt: Die Kunden haben am Strom-Umstieg schon genug zu knabbern – also bekommen sie das Neue wenigstens in altbekanntem Look des Ingolstädter Biedermeier serviert.
Mit stufenweise gelüpften Sicherheitsankern dank Audi Drive Select plus extra wählbarer ESP-Karenzierung wird er zum Quertrieber erster Güte – und zwar immer mit dem bisschen mehr Kraft an der Hinterachse, die es dafür braucht. Als Draufgabe bietet der e-tron dank direkt an den E-Motoren eingreifender Regelelektronik eine Reaktionsschnelle, die ein Blick ins Datenblatt erst einmal Lügen strafen will: Ein Vehikel mit knapp 2,5 Tonnen und an die fünf Meter Länge mit derartig metronomischer Präzision leichtfüßig durch einen Handlingparcour zu dirigieren, scheint beinahe undenkbar.
Audi hat die Latte für den Einstieg ins ernsthafte E-Segment hoch und sich selbst ordentlich ins Zeug gelegt: Das Hirn des ganzen Fahrerlebnisses ist das zentrale Antriebs-Steuergerät ASG, von dem aus Drehmomentverteilung, Dämpferregelung und Luftfederung zugleich im Hunderstel-Sekunden-Takt dirigiert werden.
Modern, aber weitgehend identisch mit der letzten Generation Premium-Optionen von Audi: Das ergonomisch einwandfreie Cockpit mit dualer Digital-Konsole plus virtuellem Instrumenten-Cluster.
Das Herz hingegen ist der im Fahrzeugmittelpunkt platzierte Allrad-Regler, der Giermoment und Längstendenzen des Chassis steuert – in fahrdynamisch relevanten Situationen, wie Über- oder Untersteuern, überschreibt er die Momenten-Regelung des ASG pro Rad neu, erhöht den Kraftfluss oder bremst ihn ein. Je nach gewähltem Fahrmodus und ESP-Vorwahl ergibt das entweder souveräne, spurtreue Traktion oder pubertäres Heck-Raushängen ohne Reue.
Beim Design hingegen spielt’s wenig Revolutionäres, die neuen Details sind eher ein Fall für Suchbild-Freunde: Finde die Elektro-Unterschiede! Auch im Innenraum gibt es kaum auffallende Neuerungen: Wer mit Audis aktuellem Premium-Infotainment-System vertraut ist, kommt auch im e-tron ohne Nachschulung zurecht.
Die eigentliche Premiere ist, dass digitales Cockpit und MMI samt Navi erstmals serienmäßig an Bord sind – anstatt, wie sonst üblich, nur gegen utopische Aufpreise. Sogar die Effizienzunterstützung bei Steigungen, Kreisverkehren oder Kreuzungen ist im Standard-Umfang enthalten, ebenso die Verknüpfung von adaptivem Tempomat und Verkehrzeichen- Erkennung.
Für die Reichweite gibt Audi derzeit kryptisch über 400 Kilometer an. Wer die verführerischen 5,7 Sekunden für den Spurt auf den ersten Hunderter öfter auskostet, wird sie allerdings kaum schaffen. Eher schon eifrige Rekuperierer: Bis zu einem Kilometer Reichweite je bergab gefahrenem Kilometer sind möglich. Brems-Muffel können die Energie-Rückgewinnung so stramm wählen, dass ein Fahren im Ein-Pedal-Modus möglich ist, der das linke Pedal weitgehend unnötig macht.
Wer tatsächlich eine Ausrede braucht, warum er die Kamera-„Spiegel“ um rund 1600 Euro Aufpreis ordert: Auch die bringen gute sieben Kilometer Distanz-Plus, der besseren Aerodynamik wegen. Die Grafikqualität auf den 7 Zoll großen Oled-Displays ist bestechend, die Einstell- und Variier-Möglichkeiten beeindruckend. Brillenträger an der Schwelle zum Gleitsicht-Bedarf werden allerdings Probleme mit der Fokussierung links/rechts haben. Trotzdem wird es wohl das am häufigsten bestellte Extra werden.
Der variabel öffnende und schließende Kühlergrill ist Teil des aufwändigen Thermo-Managements von Akkus und E-Motoren – Letztere sogar mit von innen flüssigkeitsgekühlten Rotoren. Also laufende Reproduzierbarkeit der Fahrleistungen statt Not-Abschaltung wegen Überhitzung.
Außer dem Kamera-Spiegel gibt Audi derzeit noch keine Optionen bekannt. Der Einstiegspreis von glattweg 82.000 Euro liegt ein wenig über dem des Jaguar I-Pace, der exakt mit der gleichen PS-Zahl wie der Ingolstädter SUV-Stromer aufwartende Mercedes EQC wird wohl im ähnlichen Tarif-Bereich anschlagen.
Vorreservierungen für den e-tron nimmt Audi bereits seit Mai 2017 entgegen – 307 davon gibt es in Österreich. Der eigentliche Vorverkaufsstart erfolgt im Jänner 2019. Da werden dann auch die detaillierten Preise bekannt gegeben. Die Markteinführung ist für März 2019 geplant.
Daten & Fakten
2 Asynchronmotoren, Gesamtleistung 408 PS (300 kW), max. Drehmoment 664 Nm, Allradantrieb, Scheibenbremsen v/h (bel.), L/B/H 4901/1935/1616 mm, Radstand 2928 mm, 5 Sitze, Reifendimension 255/55 R 19, Batteriekapazität 95 kWh, Kofferraumvolumen v/h 60/600–1665 l, Leergewicht 2490 kg, 0–100 km/h 5,7 sec, Spitze 200 km/h, Reichweite (WLTP) über 400 km
Preis: € 82.000,–