Die Fabrik klimaneutral, die Konzernsprache gendergerecht, das bunte Prospekt als papierloses PDF, das Produkt selbst natürlich umweltfreundlich und nachhaltig. Durch die Anti-Auto-Strömungen aus Politik und Establishment wurden die Pkw-Hersteller in die Defensive gedrängt – um Anlauf zu nehmen für eine Offensive in Sachen politischer Korrektheit. Vom Scham zum Charme, sozusagen. Wie schlimm alles davor war, kann man sich bloß in düsterer Fantasie ausmalen.
Der Albtraum beginnt schon bei der Produktion. Rauch aus den Fabriksschloten verdunkelt den Himmel über der Großstadt, drinnen schuften Männer ohne Pausen und Rechte, Frauen bedienen bloß Näh- oder Kaffeemaschinen. Der Strom für die Bänder stammt aus dem ferngelegenen Kohlekraftwerk, die Abwässer bringen Farbe in den nahegelegenen Fluss. In der Vorstandsetage sitzen alte weiße Männer, schwergewichtig und Zigarre rauchend. Im Spind des Fließbandarbeiters hängt ein Erotikkalender vom Autotuner – wer das aufgrund seines Glaubens ablehnt, wird gemobbt.
Und das Produkt selbst? Potent, laut, ungehobelt. Das Holz am Armaturenbrett stammt von einem jetzt ausgerotteten Tropenbaum, das Leder für die Sitze von ausgesucht herzigen Kälbern aus nicht artgerechter Haltung, deren Fleisch in der Werkskantine zubereitet wird – natürlich am Holzkohlegrill und ohne Gemüsebeilage. In der TV-Werbung fahren keine Patchworkfamilien durch leere Städte aus Glas, stattdessen inszenieren Vater, Mutter, Kind ihren spießigen Alltag am Land. Auf einem Bild in der dicken Hochglanz-Broschüre erkennt man eine halbleere Flasche Wein ohne Warnhinweis, der Prospekt-Text ist frei von Kleingedrucktem.
Mit Flugzeug und Kreuzfahrtschiff werden Journalisten aus aller Welt zur nicht virtuellen Präsentation des neuen Modells gekarrt, hübsche Damen sorgen für gute Stimmung. Die Medienvertreter haben allesamt einen Führerschein – und die Eier zu schreiben, was sie vom Produkt halten. Bei der Pressekonferenz wirkt der charismatische Vorstandsvorsitzende irgendwie aufgeputscht, beantwortet Fragen offen und ohne Marketing-Floskeln. Etwa die, ob es wirklich nötig sei, dass Autos immer größer und schneller werden – und zwar mit einem kurzen „Ja.“
Auch ein „Ich weiß es nicht“ kommt dem Big Boss über die Lippen, was dem PR-Chef daneben keine Schweißperlen auf die Stirn treibt. Denn der Konzernlenker zeigt, wie man den Aktienkurs in die Höhe treibt: „Unser neues Modell hat den Sexappeal einer heißen Blondine – gedacht für den Mann, der weiß, was er will“. Und es scheint, als wären alle Mitarbeiter des Autoherstellers ausgewiesene car guys, um nicht zu schreiben: Benzinbrüder (-schwestern bewusst ausklammernd). Der Pressesprecher ist sich auch der Nachteile seines Produkts bewusst, der Fahrwerks-Ingenieur gilt als Motorsport-Fan, der Technik-Chef kennt die bewegte Historie seiner Marke auswendig, der Interieur-Designer schätzt zwar sein Smartphone, muss es aber nicht zwanghaft ins Cockpit spiegeln.
Zum Glück war das alles nur ein Albtraum. Jetzt aber raus aus dem geschlechtsneutralen Fairtrade-Pyjama und ab zum Frühstück, der laktosefreie Smoothie wartet schon. In der Garage saugt der smarte City-SUV-Crossover inzwischen die letzten der völlig ausreichenden 245 Kilometer Reichweite aus der Solaranlage und berechnet den schnellsten Weg zur Arbeit. „Alexa, spiel »Happy« von Pharrell Williams!“
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