Abenteuer Alltag: Ein Tag im Maserati MC12 Corsa

27. Juli 2017
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Dicht über den Boden geduckt, breit wie ein Lkw, dabei gerade mal hüfthoch und mit Splittern und Spoilern übersät: Der Maserati MC12 Corsa macht schon im Stand keinen Hehl daraus, dass er weiß Gott kein alltägliches Auto ist. Auch für seinen Hersteller war er ­etwas Besonderes: ein Geschenk an sich selbst. 2005 fuhr das dreizackige Rennteam in der FIA GT-Weltmeisterschaft das gesamte restliche Feld in Grund und Boden: Lamborghini, Ferrari & Co. hatten kein Leiberl gegen den übermächtigen MC12 GT1. Unter anderem mit Karl Wendlinger am Steuer be­endete die Scuderia Maserati die Saison mit doppelt so vielen Punkten wie der Zweitplatzierte aus Maranello. Das galt es zu feiern. ­Warum also nicht eine Sonderversion des erfolgreichen Boliden auf den Markt werfen – eine um die lästigen Hürden des FIA-Reglements erleichterte Adaption des Rennwagens zum Beispiel?

Das war die Geburtsstunde des MC12 Corsa. Motorisch eng verwandt mit dem Ferrari FXX, der ein Jahr zuvor auf den Markt gekommen war. Während dieser aber immer noch auf einem Straßenwagen basiert, ist der MC12 Corsa durch und durch ein Racer. Doch er ­ist nicht bloß martialischer, sondern auch exklusiver: Während in ­Maranello insgesamt 29 FXX vom Band liefen, schraubte Maserati gerade einmal zwölf MC12 Corsa zusammen. Jeder davon in der Farbe „Victory Blue“ und ohne jede Intention in Sachen Straßenzulassung. So zumindest die Theorie…

Schon auf den ersten Blick macht der MC12 Corsa keinen Hehl aus seiner Abstammung: Mit einem Straßenwagen hat dieser Maserati so gut wie nichts zu tun.

Schon auf den ersten Blick macht der MC12 Corsa keinen Hehl aus seiner Abstammung: Mit einem Straßenwagen hat dieser Maserati so gut wie nichts zu tun.

 

Gleich der erste Käufer – der deutsche Rennfahrer und Unternehmer Hubert Haupt – bewies das Gegenteil. Nicht nur, dass er den Wagen vom Werk aus in Schwarz lackieren ließ, er schaffte es zudem mit gemunkelt 200.000 Euro teuren Umbauten, eine Straßenzulassung für seinen Corsa zu bekommen. Nun, rund zehn Jahre später, steht genau dieser Bolide mit der Seriennummer #0001 in Österreich. Der aktuelle Besitzer verrät, dass es mit der deutschen Zulassung gar nicht mal so schwer war, diesen Maserati auch hierzulande legal auf unsere Straßen zu bekommen. Einzig ein paar weitere Schutzgummis auf so manchem Karbon-Teil wollte die österreichische Behörde montiert haben – mehr Wichtigmacherei als ernsthafter Einwand. Wie auch immer: Jetzt steht der Corsa bereit für das Experiment „Ein Tag Alltag im Rennwagen“.

Schon der Start gestaltet sich extraordinär, das Prozedere über­lassen wir dem Besitzer. Einfach reinsetzen, Startknopf drücken und losfahren spielt’s hier nicht. Diverse Schalter gehören nach und nach umgelegt, hörbar erwacht das Monster Klick um Klick aus seinem Dämmerschlaf. Lüfter laufen, Generatoren surren … warten. Dann kommt der Motor. Nach kurzem Schluckauf atmet der Sechsliter-Murl aus allen zwölf Töpfen einmal kräftig aus, bevor er in den noch etwas unrunden Leerlauf fällt. Anwesende reißt es vor Schreck, gleich danach huscht ein spitzbübisches Grinsen über die Gesichter – was für ein Sound! Überraschend ist das freilich nicht: Selbst nach der Installation eines Kats hält die Abgase nur sehr wenig davon ab, sich schnellstmöglich durch die Endrohre im Schornstein-Format zu verdünnisieren. Und wir ­notieren für den Alltags-Check: Mal eben schnell oder gar unbemerkt irgendwo hinfahren – unmöglich!

Gewisse Probleme im Alltag mit dem einzigen straßenzugelassenen Maserati MC12 Corsa waren absehbar. Der Spaß aber auch.

Gewisse Probleme im Alltag mit dem einzigen straßenzugelassenen Maserati MC12 Corsa waren absehbar. Der Spaß aber auch.

 

Unbemerkt zu bleiben ist mit dem Maserati ohnehin mehr als schwierig. Das wird schon beim ersten, mehr oder minder lockeren Cruisen durch die Stadt offensichtlich: Passierte Baustellen überfällt ein sofortiger ­Arbeitsstopp und selbst mit übergroßen Kopfhörern ausstaffierte Smart­phone-Teenies geben dem Anglotzen des schwarzen Maserati den Vorrang gegenüber dem nächsten Snapchat-Beitrag. Das will was heißen. Am Steuer selbst ist das alles aber gar nicht so leicht zu bemerken. Beim Blick aus den Kunststoff-Seitenfenstern wirkt jeder Golf wie ein Lkw. Zudem beginnt der tote Winkel ungefähr auf Höhe der Fahrer-Ohren, die wiederum mit purem V12-Sound zugeballert werden.

Gutes Stichwort: Es gibt natürlich kein Radio. Aber dennoch viel zu hören – auch abseits des rasselnden, fauchenden und schießenden Motors im Heck. Die Bremsen zum Beispiel. Verzögern erinnert im MC12 Corsa rein akustisch an einen einfahrenden Güterzug. Die Bremsen brauchen eben ein bisserl Temperatur, um perfekt zu arbeiten. Im Alltagsverkehr von Wien und Umgebung eher schwierig. Sei’s drum, quietscht es halt. Dafür bleibt im Stop & Go-Getümmel Zeit, sich mit dem Interieur zu beschäftigen. Das wurde für die Straßenzulassung in einigen Details modifiziert – und dadurch nur noch exotischer: Die Handbremse montierte man mangels Platz beim Mitteltunnel links neben dem Fahrersitz. Ebenfalls links wurde das Schloss für den Startschlüssel angebracht – ein solches braucht ein Rennwagen ja nicht. Blinkerhebel? Fehlanzeige. Hier wird fast alles über Kippschalter an der Mittelkonsole geregelt, Richtungswechsel-Anzeigen ebenso wie Scheibenwischer oder Lichter ein- und ausschalten. Intuitiv geht dabei gar nichts – das trägt aber nur noch mehr zum Rennfahrer-Gefühl bei.

Rennwagen brauchen keinen Kofferraum. Zur Not könnte man ein bisserl was auf den beifahrerseitigen Schalensitz stellen und mit den Sechspunkt-Gurten verzurren. Diese als Passagier zu besteigen ist übrigens gar nicht so schwer – im Vergleich zum GT1-Rennwagen wurde ja der Käfig entfernt.

Rennwagen brauchen keinen Kofferraum. Zur Not könnte man ein bisserl was auf den beifahrerseitigen Schalensitz stellen und mit den Sechspunkt-Gurten verzurren. Diese als Passagier zu besteigen ist übrigens gar nicht so schwer – im Vergleich zum GT1-Rennwagen wurde ja der Käfig entfernt.

 

Zu diesem passt auch, dass man vor jeder größeren Fahrbahnerhöhung eine Heidenangst bekommt. Das nachgerüstete Lift-System an der Vorderachse hilft zwar, ist aber kein Allheilmittel. Der Alltag wird jedenfalls komplizierter als gedacht: Jeder Supermarkt mit einer klassischen Einfahrt, bei der man also über ­eine Rampe einen Gehsteig erklimmen muss, fällt für unseren ­geplanten Einkauf flach. Dennoch werden wir fündig … nur um dann mit dem vollen Probe-Einkaufswagerl reichlich ratlos vor dem MC12 zu stehen. Kofferraum? Dieses Problem hätte man vorhersehen können. Höchstens der Beifahrersitz bietet sich an.

Die Sucht nach dem Klang, vor allem aber dem Antritt des Corsa ist groß. Immerhin ist der straßenzugelassene MC12 sogar stärker als sein GT1-Pendant. Dort beschnitten Restriktoren die Leistung. Die gibt es hier nicht. Der V12-Sauger darf also aus ­vollen Lungen satte 755 PS und bis zu 740 Nm in die Hinterachse drücken. Dabei ist es nicht einmal die schiere Power, die fasziniert – mit 6,4 Sekunden auf 200 rangiert man etwa auf Augenhöhe mit dem Bugatti Chiron –, sondern vielmehr die rohe Brutalität, mit der der MC12 Corsa losstürmt: keinerlei Dämmung, abartig viel Leistung, Hinterradantrieb, kein ESP, hypersensible Lenkung. Das Gaspedal mit dem Bodenblech bekannt zu machen, verändert nachhaltig das bekannt geglaubte Bild vom Ritt auf der Kanonenkugel.

Diese nicht gestellte Szene fand sofort Verbreitung im Internet: 15 Minuten Tankzeit brachten viele Fotos von Schaulustigen. Immerhin muss man dieses Geduldsspiel im Alltag nicht allzu oft durchstehen: 115 Liter Tankinhalt sei Dank.

Das Geduldsspiel “Tanken” muss man im Alltag dank 115 Liter Tankinhalt glücklicherweise nicht allzu oft durchstehen.

Ein Blick auf die Kraftstofffüllanzeige am Carbon-Lenkrad verrät: Zeit für die nächste Station – eine Tankstelle. Ohne ­steile Auffahrt, versteht sich. Und schon kommt das nächste Problem: Haben Sie in einer Boxengasse schon je eine klassische Zapfsäule gesehen? Nein, denn dort wird druckbetankt. Nächste Frage: Kennen Sie eine Tank­stelle mit Druckbetankung? Wir auch nicht. Also heißt es, den Zapfhahn vorsichtig in den Einfüllstutzen zu stecken und ganz langsam höchstoktaniges Superbenzin einzufüllen. Faszinierend dabei: Wenn man mit einem normalen Auto eine viertel Stunde für eine Befüllung braucht, ist einem die Wut der anderen Tank­stellenbesucher sicher. Bei einem MC12 Corsa nicht. Hier wird man einfach nur fotografiert. Auch gut.

Es wird langsam Abend, vermeldet der Magen. Warum nicht einfach zur nächsten Fastfood-Kette mit Drive-Through-Schalter fahren? Keine gute Idee: Obwohl der Lenkeinschlag für den Straßen­einsatz erhöht wurde, hat der MC12 ­Corsa immer noch den Wendekreis eines Sattelschlepper. Und die Übersicht ist, wie schon ange­sprochen, miserabel. Das größte Problem kommt aber noch: Schon einmal versucht, ein volles Fastfood-Menü-Sackerl oder ­einen 0,5 Liter-Softdrinkbecher durch die Schiebeluke eines Rennwagen-Fensters zu bekommen? Wir schon: Es klappt nicht. Auch dem Vorschlag, das Essen einfach aufs Dach zu stellen, wollte die nette Dame am Schalter nicht nachkommen – nachträglich wohl eine schlaue Entscheidung. Also Tür auf, Hand nach oben strecken, Sackerl greifen, dem Beifahrer rüberreichen, Geldscheine nach oben recken, aufs Restgeld pfeifen – und ab die Post.

Auf der Rennstre- cke mag es anders ausgehen, doch bei Fast Food wäre jeder Corsa aus Rüsselsheim deut- lich schneller als der von Maserati.

Auf der Rennstrecke mag es anders ausgehen, doch bei Fast Food wäre jeder Corsa aus Rüsselsheim deutlich schneller als der von Maserati.

 

Zum Glück sind wir schon am Stadtrand, unweit vom gemüt­lichen Plätzchen fürs schnelle Dinner. Auf der Landstraße dorthin vermittelt der MC12 dann erstmals ansatzweise, was er eigentlich könnte. Er ist ein Vorschlaghammer, der mit der Präzision eines Skalpells bewegt werden kann – eben Rennsport pur. Mehr noch: Der hier montierte Heckspoiler, der beim abschließenden Abendessen zum Stehtisch degradiert wird, produziert bei 250 km/h ganze 1400 Kilo Anpressdruck. Also 250 mehr, als der Wagen wiegt. Das war der FIA seinerzeit zu viel, im Rennsport-Einsatz durfte nur ein kleinerer Flügel verwendet werden.

Burger-kauend an besagtem ­Super-Spoiler lehnend, wird es Zeit für ein Resümee: Natürlich ist es unendlich unterhaltsam, mit einem Auto wie dem MC12 auf ­öffentlichen Straßen reihenweise für verdrehte Köpfe zu sorgen. Doch weder Fahrer noch Auto haben wirklich Freude daran. Ers­terer schlittert von einem Schweißausbruch zum nächsten, Zweiterer vermittelt einem ständig das Gefühl vom Wildtier im Käfig. Im Alltag fährt man also besser ein Alltags-Auto. Jenseits davon gibt es aber kaum etwas Jenseitigeres als den Maserati MC12 Corsa.

Eigentlich war der Tag Alltag ja nahe am Albtraum. Wie man am Grinsen aber unschwer erkennt, hat es sich dennoch ausgezahlt.

Eigentlich war der Tag Alltag ja nahe am Albtraum. Wie man am Grinsen aber unschwer erkennt, hat es sich dennoch ausgezahlt. Und das hat absolut nichts mit dem Burger zu tun …

Daten & Fakten

V12, 48V, 5998 ccm, 755 PS bei 8000/min, max. Drehmoment 740 Nm bei 5500/min, sequenzielles Sechsgang-Getriebe, Hinterrad­antrieb, Carbon-Scheibenbremsen v/h (bel.), L/B/H 5143/2096/1205 mm, Radstand 2800 mm, Reifendimension 265/35 R 19 (v), 335/35 R 19 (h), Tankinhalt 115 l, 2 Sitze, Leergewicht 1150 kg, 0–100 km/h ca. 3,4 sec, 0–200 km/h 6,4 sec, Spitze 330 km/h

Neupreis (2006): ca. € 1.200.000,-

Kühlungsventilator, neue Abgasanlage mit Katalysator und Dämpfer, Umrüstung Tank-System, Radkästen-Adaptierung für 19 Zoll-Räder, Splitter-Kanten abgerundet, beidseitig Blinker, Nummerntafel-Beleuchtung, Fahrwerks-Modifikation (mehr Bodenfreiheit), Lift-System Vorderachse, Straßen-konforme Schalensitze, Stoff-Auskleidungen, Batterie versetzt, diverse Innenraum-Modifikationen (Beleuchtung, Hand­bremse, Belüftung), Montage Straßen-konformer Felgen und Reifen.