Abarth 124: Einst und jetzt vereint

12. Dezember 2017
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Motorsport ist gefährlich. Mit diesem Leitmotiv meint Fiat in den 60er-Jahren allerdings weniger die Fahrer, sondern vielmehr sich selbst. Fiat-Boss Vittorio ­Valetta kennt natürlich den Hang seiner Landsleute, prinzipiell mit allem, was Räder hat, beherzt um die Wette zu fahren. Für die Baureihe 124 gibt er daher eine, wie er meint, besonders gefinkelte Direktive heraus: Die Kubaturen ­müssen stets zwischen den damaligen Hubraum-Klassen für den ­Motorsport mit 1,1, 1,3 und 1,6 Litern liegen, damit sie immer für die eine Kategorie zu groß, für die nächste aber zu schwach sind. Valetta meint es gut – aber sein Motoren-Entwickler Lampredi macht es besser. Der von Ferrari zu Fiat gewechselte Konstrukteur jubelt seiner Chefetage ein kreuzbraves Motörchen unter, das ­jedoch alle Anlagen für höhere Leistungs-Weihen in sich trägt. Etwa zwei oben liegende Nockenwellen, eine fünffach gelagerte Kurbelwelle, dazu ­eine uner­schütterliche Ölversorgung und einen variabel anzubringenden Verteilerantrieb. Nicht zuletzt eine außerordent­liche Tauglichkeit für Änderungen von Hub und Bohrung, also jede nur erdenkliche Anhebung des Hubraums.

Generationentreffen: zwei Brüder im Trainings-Anzug, die 45 Jahre trennen und außer dem Namen ein herrlich ehrliches Fahrgefühl eint.  Wo Abarth 124 draufsteht, ist damals wie  heute jede Menge Sportsgeist drin.

Generationentreffen: zwei Brüder im Trainings-Anzug, die 45 Jahre trennen und außer dem Namen ein herrlich ehrliches Fahrgefühl eint. Wo Abarth 124 draufsteht, ist damals wie heute jede Menge Sportsgeist drin.

Lampredi wird Chef der 1971 von Fiat übernommenen ­Marke Abarth, womit der Bock endgültig auch noch den Gärtner geben darf. Sein inzwischen ohnhin schon hub­raum­vergrößert in anderen Fiat-Modellen verwendetes Aggregat erfährt damit so­gleich die nächste Evolutionsstufe. Auch Ford und Opel setzen schon Wett­be­werbs-Versionen solider Brot-und-Butter-Modelle im Motorsport ein – das tut dem Marketing gut und den Kunden erst recht: Opti­sches Tuning mit Rallye-Streifen wird erstmals beliebt. Fiat kann sich also erfolgreich einreden, dass der heiße Abarth 124 Rally für fast 50 Prozent Mehrpreis gegenüber einem zivilen 124 Cabrio nicht einfach nur zutiefst italienische Oktan-Instinke befriedigt, sondern eine verkaufsfördernde Maß­nahme ist. Dass 95 Prozent der Ca­brio-Produktion in die USA exportiert werden, wo europäischer Rallyesport keinerlei Wahrnehmung erfährt, fällt dabei unter den Tisch. Aber vielleicht haben sich ein paar Leute in der Alten Welt ja tatsächlich eine solide 124 Limousine gekauft, weil deren Ableger ein gar so fetziges Renngerät war.

 

Motorisch ist die Abarth-Evolution tatsächlich eher simpler Art: Der 1756 Kubikzenti­meter-Motor wird kurzerhand von der Limousine 132 entliehen, mit zwei Weber 44 IDF-Fallstromvergasern plus modifiziertem Saugrohr und Auspuffkrümmer versehen. Auch sonst greift Abarth im großen Fiat-Baukasten ungeniert zu – und am Ende hat der Abarth 124 Rally alles, was ein erstklassiges Wettbewerbs-Fahrzeug braucht: einen potenten Motor, sportliche Achsübersetzung, Einzelradaufhängung rundum, Sperrdifferenzial, breite Spur, solide Bremsen.

Im November 1972, fast zeitgleich mit dem Turiner Automobilsalon, lädt Fiat dann nach Rapallo zur Presse-Präsentation des ersten Abarth unter Fiat-Regie. Die ligurische Küste ist ein passendes Geläuf für das Auto, hier warten massenweise Bergstraßen mit endlosen, harmonischen Kurvenfolgen auf und ab. Das Urteil der damaligen Kollegen fällt durchwegs ­positiv aus – der Rest ist (Motorsport-) Ge­schichte. Die Abarths toben in zahlreichen Vari­anten viele Jahre über die Schotter­pisten und Waldwege ­Europas. Das interne Konzern-Duell zwischen Fiat und Lancia ist legendär. Mit einer Produktion von nur 1013 Stück ist der von Abarth angespitzte 124 eine besondere Rarität geblieben – die Opferzahlen an kaltverformten Rallye-Geräten haben dem Bestand zudem schon zu Lebzeiten zugesetzt.

 

Dass es den neuen Abarth 124 überhaubt gibt, ist eine kaum weniger wundersame Geschichte. Zunächst einmal musste dafür die schon zum Kapperl- und Regenschirm-Merchandiser herunter­gekomme Marke Abarth reanimiert werden. Ohne den unerwar­teten Erfolg des Fiat 500 wäre es wohl gar nichts geworden mit einem echten Marken-Revival – der ­Cinquecento war einfach wie geschaffen für einen hitzigen Ableger. Inzwischen hat Fiat sogar den alten Firmensitz wiederbelebt – inklusive einer liebe­vollen Restaurierung der Räumlichkeiten des Marken-Gründers. Auf dem Tisch steht jeden Tag eine Schale frischer Äpfel, so wie Karl Abarth es seinerzeit angeordnet hatte.

2011 führt der bisweilen sehr pragmatische Ansatz von Fiat-Chef Sergie Marchionne zu einer Kooperation von Alfa Romeo und Mazda. Die Japaner haben zu diesem Zeitpunkt etwas, was den Itali­enern bitter fehlt: eine Heckantriebs-Plattform und über ­Jahr­­zehnte gepflegte Kompetenz im Bau von kompakten Roadstern erster Güte. Der nächste Alfa Romeo Spider soll also in Kooperation mit Mazda entstehen und eng mit dem MX-5 verwandt sein. Die Vorfreude der Massen ist überschaubar, und auch bei ­Fiat/Alfa selbst gerät der Haussegen deswegen ein wenig in Schieflage. Es folgt einer der berüchtigten Marchionne-Schwenker, mit denen der Chef in seiner Meinung grußlos abbiegt und akute ­Neuigkeiten verkündet: Eine Mazda-Plattform passe nicht zum Premium-Anspruch von Alfa Romeo, erklärt er 2013 – aber man dürfe sich auf ein Fiat-Cabio aus dieser Kooperation freuen. Auf der Los ­Ange­les Motor Show im November 2015 feiert der neue Fiat 124 dann schließlich Premiere. Ungeniert mit den Attributen der Ahnen spielend, ohne deswegen nur retro zu sein. Dazu die Verheißung einer kräftiger gewürzten Variante – und dass sie unter dem Skorpion fahren wird.

 

Der 1,4 Liter-Turbo-Benziner aus dem Fiat-Regal in der 170 PS-Ausbaustufe be­feuert den Abarth 124 recht gut – mit den nur 1060 Kilo Leergewicht hat der Motor leichtes Spiel. Straffere ­Zügel haben auch Fahrwerk und Lenkung bekommen, das manuelle Getriebe stammt aus der Generation drei des MX-5, traditionell mit knappen präzisen Schaltwegen glänzend. Die opti­onale Automatik sei hier unlöblich erwähnt – wer sie wählt, verleidet sich ein gehöriges Maß an Fahrfreude.

Auch der Ahnherr von 1973 ist in Sachen knackiger Schaltung vorbildlich. Die Über­setzungen von Gang eins bis drei sind recht kurz, ab der Vierten geht es mit line­arem Schub dahin. Der ­Motor klingt rau, aber nicht räudig, ab 2500 Umdrehungen beginnt er sich merkbar wohler zu fühlen, legt aber nach oben hin unbeeindruckt zu. 7000 Touren tun ihm nicht weh, im Gegenteil – genau dort sitzt fühlbar der Skorpion-Stachel. Die Kupplung greift hart und gierig, die Lenkung ist bei höherem Tempo um die Mittellage herum ein wenig nervös. Spurtreue und Kompaktheit des ganzen Dings an sich sind aber bemerkenswert. Die Bewunderung für und die Zuversicht in die Leistung des damaligen Abarth-Teams steigen von Kurve zu Kurve, in die sich das Hardtop-Cabrio willig reinhängt – inklusive gut befriedigtem Spieltrieb mit Leistung und Fliehkräften an der Hinterachse. Das Ganze eingehüllt in eine herrlich detail­ver­liebte Sport-Atmosphäre mit Alu-Armaturenbrett und minimalistischem Innenspiegel, dafür aber ohne Handschuhfachdeckel, Sonnenblenden, Mittelkonsole und Rückbank – der Gewichtsreduzierung auch hinter dem Komma geschuldet, die aber größtenteils von Überrollbügel und Hardtop wieder aufgewogen werden.

 

In Sachen Klang steht ihm sein Enkel um nichts nach: Der ­Abarth 124 von heute sprotzt und röchelt in allen Tonlagen, dass es eine Freude ist. Auch hier liegt die Lust in der Reduzierung. Erst den Sport-Modus rein, dann das ESP vollständig abschalten – man braucht dafür keine zehn Sekunden auf den Knopf drücken, wie es die deutsche Vollkasko-Mentalität so gern einrichtet. Einmal antip­pen – und schon lässt sich der Abarth zielsicher mit dem Gaspedal durch die Kurven lenken. Dank fast 100 Newton­metern mehr Drehmoment bei deutlich niedrigerer Drehzahl sogar leichtfüßiger als sein Ahne, aber mit demselben Gefühl, Herr über die Maschine zu sein und nicht umgekehrt. Dass es 2017 überhaupt noch ein Auto gibt, das in so vielen Faktoren ganz nahe bei einem 45 Jahre alten Urmeter an Fahrspaß liegt, ist an sich schon ein halbes Wunder. Auch hier geht einerseits ein neidloser Dank nach Fernost für die schönste Kulturleistung Japans der Neuzeit: die ­Rekultivierung des Roadsters. Und ein weiterer nach Italien für die sorgsame Denkmalpflege und das liebevolle Übertra­gen von archaisch-schönen Eindrücken aus der Vergangenheit ins Jetzt.

Vittorio Valetta, der verhinderte Verhinderer von Motorsport-Ambitionen, hat den Einsatz des Ur-Abarth 124 nicht mehr erlebt – er stirbt schon 1967, lange bevor sich jemand an seinen vermeintlich tuning-sicheren Motoren und braven Autos zu ver­greifen beginnt. Der Abarth 124 von heute schickt sich an, in die Fußstapfen seines Ahnen zu treten: Eine 300 PS starke Rallye-Variante ist längst FIA-homologiert und wird von Privatteams eingesetzt. Geschichte wiederholt sich immer, heißt es. So ein Glück!