Bettmann forever: Triumph TR6

17. Juli 2018
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Feature

Siegfried Bettmann hätte den TR6 gemocht. Der aus dem Bayerischen Wald nach England ausgewanderte Firmengründer von Triumph hatte sich 1933 von der Unternehmensleitung zurückgezogen – seinem Wunsch nach leichten, sportlichen Fahrzeugen wollte die Mehrheit der Direktoren nicht entsprechen. Die empfanden ausgerechnet ihre bereits erlebten Enttäuschungen mit edlen Luxusfahrzeugen als Bestärkung, weiterhin genau solche zu bauen. Mit anhaltendem Misserfolg: 1939 ging die Firma in Konkurs. Nach dem ökonomischen Aus besorgte der Krieg noch das physische Ende – im November 1940 äscherten deutsche Bomber mit Coventry auch die inzwischen Rüstungsgüter produzierenden Triumph-Werke ein. Von der Firma blieben damit nur noch die Namensrechte (die heute übrigens bei BMW liegen), mit denen ausgestattet, ließ Standard Motors die Marke 1946 wiederauferstehen.

Raus aus dem Alltag, rein in den offenen TR6. Der Triumph Roadster ist ein Erholungsgerät aus der Zeit, als Wellness noch Kur hieß und tatsächlich geholfen hat.

Raus aus dem Alltag, rein in den offenen TR6. Der Triumph Roadster ist ein Erholungsgerät aus der Zeit, als Wellness noch Kur hieß und tatsächlich geholfen hat.

 

Einige Jahre später ist den neuen Eigentümern immerhin die Erkenntnis gekommen, dass Bettmann wohl doch Recht gehabt hatte: Auch die noblen Saloon-, Coupé- und Cabrio-Modelle der Nachkriegszeit kommen auf dem Markt nicht an. Also bewegt man sich doch Richtung Wiedererweckung der alten Tugenden. Als zufälliges Nebenprodukt kommt dabei das TR-Kürzel auf: Die Entwicklungsingenieure verwenden es ganz pragmatisch für den ersten Prototypen als Abgrenzung zu den nicht allzu erfolgreichen Nobelkarossen: Triumph Roadster Experimental, kurz TRX. Posthum wird ein 1952 erstmals gezeigtes, wegen grober praktischer Mängel aber nie verkauftes Showcar zum TR1 – weil die Namensentscheidung im Jahr darauf für das markttaugliche Serienmodell auf TR2 fällt. Ein hübscher, leichter Roadster, mit Vierzylinder-Motor und zwei Litern Hubraum, dessen Erfolg mit dem wachsenden Freiheitsgefühl der Nachkriegsära langsam Fahrt aufnimmt. Mit dem zwei Jahre später folgenden TR3 erzielt Triumph erstmals eine fünfstellige Produktionszahl – in der bisherigen Firmen-geschichte eine völlig utopische Ziffer. Durch den Erfolg ihrer Tochter wird auch Standard Motors zu einer interessanten Braut – 1960 verleibt sich der LKW-Hersteller Leyland die Firma ein.

Schaut beengter aus, als es ist: In der offenen Loge des TR6 ist Platz genug für zwei, außerdem alles in Griffweite und gut sortiert.

Schaut beengter aus, als es ist: In der offenen Loge des TR6 ist Platz genug für zwei, außerdem alles in Griffweite und gut sortiert.

 

Bis 1967 und dem von Michelotti entworfenen TR4 evolutionieren die Motoren der Roadster auf 2138 Kubikzentimeter und gut 100 PS Leistung. Ende der vierzylin­drigen Fahnenstange. Der TR5 PI macht aus der Not kurzfristig eine Tugend: An sich ist der Wagen ein TR4, aber unter der Haube wohnen jetzt zwei Zylinder mehr, bedient von einer mechanischen Einspritzanlage der Marke Lucas. Das bei der Erwähnung dieses Namens fast immer mitschwingende „Oje“ ist unbegründet – die epochale Ausfallsrate der elektrischen Anlagen aus diesem Hause überträgt sich höflicher­weise nicht auf die Einspritzungen. Das Leistungs-Update auf anfangs 143 PS und entsprechendes Drehmoment-Schmalz kommen gut an – allerdings ist das Design des TR4 inzwischen gut sieben Jahre alt und bedarf ebenfalls einer dringenden Erneuerung, um die neue Kraftmeierei auch optisch glaubwürdig darzustellen. Und günstig soll das Ganze auch noch ausfallen. Die Massenhochzeit der Marken Leyland, Morris, MG, Austin, Healey, Jaguar, Daimler, Rover, Coventry Climax, Riley, Vanden Plas und Wolseley im Jahr 1968 mündet in einem eisernen Spardiktat der so entstan­denen British Leyland Motor Corporation. Das überall greift – außer dort, wo es wichtig gewesen wäre.

Nur noch im SUV-Erklimmen geübte Körper werden das Platznehmen im TR6 als freien Fall empfinden. Es gelingt aber auch ohne Training völlig unpeinlich. Das Aussteigen ebenso.

Nur noch im SUV-Erklimmen geübte Körper werden das Platznehmen im TR6 als freien Fall empfinden. Es gelingt aber auch ohne Training völlig unpeinlich. Das Aussteigen ebenso.

 

Der Tarif bei Karmann dürfte entsprechend günstig ausgefallen sein. Das Osnabrücker Unternehmen verpasst dem Michelotti-Entwurf eine selbstbewusstere Front und ein modern geradeaus laufendes Heck mit einem massiven, senkrechten Abgang. Der Erfolg lässt nicht auf sich warten – der TR6 schrammt mit insgesamt 94.619 Stück nur ganz knapp am sechsstelligen Traumziel vorbei. Auch die britische Außenhandelsbilanz freut sich: 86.249 Stück davon gehen in den Export, die meisten in die USA.

Heute adelt den TR6, dass er niemals unmodern geworden ist, sondern über die Jahre nur sorgsam Patina angelegt hat und kontinuierlich zum Klassiker gereift ist. Offenkundig ohne die Zwischenstufen Gebrauchter, Ramschhaufen und – das Unwort muss hier sein – Youngtimer besucht zu haben. Michelottis Baseline und Karmanns Update haben ihn zeitlos gemacht, die robusten Technik-Komponenten haltbar. Der TR6 zählt zu jenen Autos, die nicht nur einfach gefahren werden wollen – er verlangt nach Hingabe. Der Umgang mit dem Briten ist wie mit dem besten Freund: Selbst wenn du Mist baust, bleibt er bei dir. Und falls du es aus eigener Schuld übertreibst, geht er eben mit dir unter. Jedes Detail passt: Sitzposition, Lenkradstellung, Schaltung. Gasannahme, Kupplung, Bremsen auch. Sound und Spüren sowieso. Die Instrumente: kein verspieltes Klimbim, sondern Botschafter des Kumpels unter der langen Haube. Das Holzpanel dahinter klassisch, wie es sich gehört. Die Türen schließen passgenau, das Verdeck-Fetzerl in etwa auch. Leichteren Regen hält es womöglich wirklich ab, wer weiß.

Straight Six: Motor und zugleich Denkmal einer Ära. Dieser hier versorgt sich ausnahmsweise über Doppelver-gaser von Weber mit Brennstoff – normalerweise erledigt das eine mechanische Einspritzanlage.

Straight Six: Motor und zugleich Denkmal einer Ära. Dieser hier versorgt sich ausnahmsweise über Doppelver-gaser von Weber mit Brennstoff – normalerweise erledigt das eine mechanische Einspritzanlage.

 

Der knorrige Brite geht mit seinem satten Drehmoment kraftvoll von der Kupplung, dreht sauber hoch, macht aber akustisch trotzdem rasch klar, dass er kein Drehzahl-Junkie ist. Die Lenkung ist herrlich direkt, der Zweisitzer reagiert auf jeden Zucker am Volant, giert in die Kurven, zieht lässig wieder raus auf die Gerade. Übermut am Gaspedal kommentiert er gleichmütig und kalkulierbar mit der Hinterachse, ohne deswegen gleich den Moralwächter rauszukehren. Wer sich auf den TR6 einlässt, lernt einiges über Fahrphysik – jedenfalls, sofern er noch Nervenenden in der Sohle, den Handflächen und im Sitzfleisch hat. Die Draufgabe ist das offene Verdeck. Der Wind ist allgegenwärtig, atmet in und um den Roadster mit. Es gibt im Vergleich wenig Traurigeres als die Auch-Cabrio-Fahrer in modernen Autos ohne Dach, wenn sie, tief unter flachen Frontscheiben sitzend, verbeihuschen, Seitenscheiben und Windschott oben. Das Ganze, ohne dass sich auf ihrem Skalp eines der ohnehin schon raren Härchen bewegt. Ihnen allen sei gesagt: Hinter der steilen Glasfront eines alten Roadsters spielt die Musi – wer immer das damals Windschutzscheibe nennen wollte, hatte Sinn für Humor.

 

Wenn das nun alles so toll ist und auch der Markterfolg gepasst hat – was ging dann schief? Alles. Der feine Motor samt seiner modernen Einspritzanlage täuschte erfolgreich drüber hinweg, dass unter dem immer wieder aktualisierten Blech im Großen und Ganzen Leiterrahmen und Fahrwerkstechnik von 1952 saßen. Die Welt hatte sich inzwischen weitergedreht. Genau das, was den TR6 heute so begehrenswert macht, war damals sein verstecktes Manko: die archaische Bauart. Der Nachfolger TR7 wollte alles besser machen. Und verschlimmerte es nur. Zwar hatte er erstmals eine selbsttragende Karosserie – aber was für eine! Über den Grad des Keildesign-Missgriffs lässt sich bis heute vortrefflich streiten. Tatsächlich erreichte der TR7 sogar eine höhere Stückzahl als sein Vorgänger – aber womöglich nur, weil er sich schneller verkaufte, als sich seine bemitleidenswerte Verarbeitungsqualität herumsprechen konnte. Und dann war da auch noch Maggie Thatcher. Unter ihrer eisernen Herrschaft war ab 1979 im inzwischen notdürftig zwangsverstaatlichten Leyland-Konzern endgültig Schluss mit lustig. Der Feldzug der Premierministerin gegen die Allmacht der Gewerkschaft ist legendär – auf dem Schlachtfeld verblutete allerdings ein Großteil der britischen Industrie, inklusive der international nicht mehr konkurrenzfähigen Autosparte.

Und der TR6? Ist ein Überlebender einer Zeit, in der er selbst schon als Kuriosität galt. Was ihn unendlich wertvoll macht: seine Rolle als Botschafter des Autofahrens an sich, wie es eigentlich sein sollte. Die raubeinige Antithese zum pilotierten Herumkutschiert-Werden. Das wird er für ewig sein – wie auch immer es Siegfried Bettmann angestellt hat, das schon Jahrzehnte vorher zu wissen.

Englische Cabrio-Hauberl haben immer etwas von einem im Ausverkauf erstandenen Camping-Equipment. Inklu- sive der schisteligen Handhabung – ein Platzregen ist womöglich vorüber, bevor der tapfere TR6-Pilot seinen Roadster zugemacht hat

Englische Cabrio-Hauberl haben immer etwas von einem im Ausverkauf erstandenen Camping-Equipment. Inklusive der schisteligen Handhabung – ein Platzregen ist womöglich vorüber, bevor der tapfere TR6-Pilot seinen Roadster zugemacht hat.

Daten & Fakten

R6, 12V, mechanische Einspritzanlage Lucas, 2498 ccm, 123 PS bei 5000/min, 198 Nm bei 3500/min, Viergang-Ge­triebe mit optionalem Overdrive, Hinterradantrieb, vor­ne Einzelradaufhän-gung mit Trapez-Sreieckslenker, Stabilisator, Schrauben­federn und Teleskopstoßdämpfer, hinten Einzelradaufhängung mit Dreieckslenkern, Schrau­benfedern und Kolbendämpfer, Scheiben-bremsen v, Trommeln h, Zahnstan­genlen­kung, L/B/H 3950/ 1550/1270 mm, Radstand 2235 mm, Spur­weite v/h 1276/ 1264 mm, Wendekreis 10,4 m, Reifen­dimension 165 HR 15, 2 Sit­ze, Leergewicht 1030 kg, Kofferraumvolumen 170 l, Tank-inhalt 49 l, 0–100 km/h 9,5 sec, Spitze 187 km/h, Ver­brauch ca. 10,5 l/100 km

Bauzeit: 1969–1975

Lebenslauf: 1969: zu Jahresbeginn Präsentation des TR6 PI (Petrol Injection) auf dem Automobilsalon in Brüssel, Design der Front und Heckpartie von Karmann, 6-Zylinder-Motor mit 143 PS identisch mit dem TR5 PI, US-Version mit Stromberg-Doppelvergaser und maximal 106 PS; 1973: Leistungsreduktion der Einspritz-Variante auf 123 PS; 1975: Ankündigung des Nachfolgers TR7 und Einstellung der Produktion von Europa-Modellen; 1976: Ende der Fertigung der US-Version

Stückzahlen: 94.619 (Europa- und US-Version

Neupreis (1975): ca. € 9.390,–

Alternativen: Alfa Spider Veloce, Austin Healey 3000, Datsun Fairlady 2000, Fiat 124 Spider 1800, MG C, Sunbeam Alpine