Glavitzas Gschichtln – Der Karl mit dem Herrn Karl

12. Juni 2020
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Feature

„Ich hab’ zwar ka Ahnung, wo i hinfahr’, aber dafür bin ich g’schwinder dort.“  Ich hatte schon immer eine Schwäche für gute Lyrik – aus diesem Grund wurde Helmut Qualtingers Credo aus „Der Wilde mit seiner Maschin’“ schon früh auch zu meinem Motto. Den großen Wiener Mimen hatte ich vor allem wegen seiner Schauspielkunst stets verehrt. Im Frühjahr 1970, also vor fünfzig Jahren, hatte ich sogar die große Ehre und das Vergnügen, unter der Regie Otto-Anton Eders mich als Qualtin­ger-Double in „Passion eines Politikers“ auf eisiger Straße austoben zu dürfen.

Der Drehort war irgendwo in der Einschicht nahe der Dopplerhütte mitten im Wiener­wald. Im Buch von Carl Merz ging es meiner Erinnerung nach um einen Wiener Politiker, der in einen Unfall verwickelt war und, wie damals durchaus üblich, etwas angedudelt. Meine Rolle beschränkte sich auf den Unfall. Die Aufgabe war nicht von komplexer Natur. Mein ewiger Partner Peter Huber musste mit einem Peugeot von links kommen – der „Herr Minister“ naturgemäß in einem Heckflossen-Mercedes von rechts, und dann Bummsti! Der Glaubwürdigkeit wegen wurde das Szenario mit Nebelgranaten wie bei einer Seeschlacht eingehüllt. Für Peter und mich eher business as usual.

Spaßig wurde es eher an der Nebenfront. Ich musste Qualtinger (im Bild oben rechts) doubeln, und das war nicht so einfach. Er brachte damals in Worten einhundertdreißig Kilo auf die Waage, während der Zeiger sich unter meiner Last mühsam bei neunundfünfzig einpendelte. Die fehlende Fülle wurde bei mir mit einer schwimmwesten­artigen Konstruktion aus Stoff und Watte hergestellt, mein Hals und die Partie unterm Kinn mit Schaumstoff beklebt.

Action please! Für den Nebel war das Wiener Filmoriginal Gräf (ich hoffe, mein Namensgedächtnis ist noch nicht getrübt) zuständig. Er hatte auf der Wiese zwischen der Straßengabelung eine ordentliche Nebelbombe aufgestellt – Nebel sollte gemäß Drehbuch die Ursache der Karambolage sein. Der junge Regieassistent Jakob gab das Zeichen zum Losfahren – und ich freute mich schon darauf, meinem Langzeit-Partner einen ordentlich „Bodycheck“ verabreichen zu dürfen. Ich näherte mich im Vierten volle Kanne der Kreuzung, sah Peters Peugeot im linken Augenwinkel – und mitten auf der Kreuzung Jakob wild mit den Armen gestikulieren: Stopp, Halt, Stehenbleiben!

Es herrschte glasklare Sicht – und damit der induktive Schluss: Die Bombe hatte nicht gezündet, also kein Nebel. Und ich sehe es noch, als wär es heute Nachmittag: Gräf in knielanger Natojacke mit Kapuze stapfte kopfschüttelnd wie ein großer Feldherr über das Schlachtfeld – blieb vor der Nebelbombe stehen, winkte und rief, dass ich es bis in den geschlossenen Mercedes hörte: „So a Schas!“ – beugte sich vor, und in diesem Moment, als hätte die Bombe auf ihn gewartet, ging die Ladung los. Das ganze Szenario war mit einem Schlag völlig eingenebelt – ich konnte nicht einmal mehr Peters Peugeot erkennen, obwohl unsere Wagen vollbremsend nur wenige Meter voneinander zum Stehen gekommen waren.

Vom „Oberbombenwerfer“ (Zitat Karl Kraus „Die letzten Tage der Menschheit“) Gräf war nichts zu sehen. Assistent Jakob und mehrere Unterassistenten irrten im Nebel umher und riefen laut seinen Namen. Sie hätten ihn auch nicht gleich erkannt – denn selbst die Kameraleute am unteren Ende des Szenarios hatten ihre Schwierigkeiten, als vor ihnen plötzlich eine Gestalt aus dem Nebel erschien – und dachten im ersten Moment, dass sich der Mohr der Heiligen Drei Könige von Bethlehem auf die Dopplerhütte verirrt hatte, um sich nach dem Weg zum Gnadenort Mariazell zu erkundigen …

Foto: Archiv Glavitza