Lotus-Cosworth Mk 47 Mugello Erich Glavitza

Glavitzas Gschichtln – Die Heilige von Mugello

23. März 2020
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Der Sommer vor fünfzig Jahren hatte sich besonders ins Zeug gelegt. In Mugello nördlich von Florenz zeigte das Thermometer schon am Vormittag knappe vierzig Krügerln. Damals hatte man noch nicht wegen Klima­schwan­kungen und ähnlichem gemault, sondern es schweigend hingenommen. Ich war mit dem Tiroler Urgestein Klaus Reisch (Alfa GTA) auf der rund 65 Kilometer langen Wald- und Wiesenrunde zwecks Streckenerkundung für das 500 Kilometer-Rennen unterwegs. Wir konnten nicht einmal die Außenhaut der Autos be­rühren, so heiß war es. Da deutete Klaus auf zwei Alfas, die eben an uns vorbei­brausten. Es waren die Werksfahrer Giunti und Galli mit Pudelhaube und Rollkragenpullover. Klaus: „De zwoa moch’n grod a Hitzetraining!“

Ich schaffte mit meinem privaten Zweinullnullzwei aus Bayern gerade einmal zwei Besichtigungs-Runden, bevor ich mich still und leise im Schatten eines Olivenbaumes erholte. Zeitgleich etwa landeten die ersten Homo Sapiens auf der Mondoberfläche bei ungefähr 130 Grad plus und hatten andere Sorgen. Beim Qualifikationstraining hatte mein zweiter Fahrer Peter Huber Pech, wegen Benzinpumpen-Defekts konnte er die Mindestzeit nicht erreichen – mit anderen Worten, die Röstung im geschlossenen Lotus-Ford Cosworth Mk 47 sollte mir als Solo-Akt vorbehalten bleiben.

Klaus gab mir den Tipp: „Iss a Soiz, Erich… z’weingan Schwaiss!“ Jahrzehnte später stellte sich in der Sportwissenschaft heraus, dass die Salzlutscherei grundfalsch sei. Aber das wussten wir damals nicht, und deshalb ließ ich beim Frühstück im Esso-Motel zu Florenz den Salzstreuer vom Frühstückstisch dezent mitgehen – und fütterte mich alle zehn Minuten mit einer Prise. Ich kam mir dabei sehr schlau vor.

Nach dem Start folgte ich dem Alfa GTZ des Italieners Aldo Bersano, den ich von Trieste-Opicina kannte – und den ich dort um ein paar Sekunden hinter mir gelassen hatte. Also sollte es hier keine Probleme geben. Noch vor dem berühmten Paso di Futa hatte ich ihn dann recht optimistisch überholt – meine Boxencrew war darob „amused“. Der enge Kurs hatte viele Kurven, gespickt mit veränderlichen Radien, auf und ab, dazwischen gab’s eine richtige Sprungschanze, ausgerechnet neben einer kleinen Kirche, an deren Stufen beim Eingang ein Pfarrer, der aussah wie Don Camillo, zwei Männer und ein Hund kaum einen halben Meter neben der Piste hockten. Immerhin hatte ich 200 Meter vorher den fünften Gang ins Hewland-Getriebe gerastet – ab da war das Fahrband recht schmal geworden.

Am Ende der Runde ging es an einem Bauernhof vorbei, an dessen Jauchengrube und Misthaufen ich mich noch heute erinnere, als wäre es gestern gewesen – genau diese Stinkwolke mahnte, dass der Bremspunkt nicht mehr weit war. In der zweiten Runde meldete sich mein Magen (das Salz!), bei den Hupfern am Paso di Futa kam das Frühstück hoch und vorne über mich – grausam! Den Geruch halbverdauter Ham and Eggs, Semmeln und Kaffee will ich hier nicht näher reflektieren. Während ich mit der Linken das Volant einigermaßen korrekt bediente, versuchte ich mit der rechten Hand mein Gesicht zu säubern. Schrecklich! In der nächsten Runde waren die Schanzen des Paso di Futa wieder da, und sofort meldeten sich die noch verbleibenden Frühstücksreste. Und dazu die Temperatur im Inneren des Rennwagens.

Der Herr im Himmel hatte dann ein Einsehen mit dem leidenden Erdensohn und stellte die Benzinpumpe ab. Einfach so. Bopp – und der Lotus rollte aus. Ich kletterte aus dem Auto, winkte dem vorbeifahrenden Bersano und taumelte mit grüngelbem Gesicht in den Straßengraben. Ich hatte schon eine Weile drinnen wie ein Obdachloser gelungert, als ein Geschwisterpaar wie Engel vom Himmel vor mir auftauchte und mich aus Mitleid zu einem nahen Bauernhof leitete. Dort wartete eine Mamma wie aus einem Fellini-Film – von der Fülle eines Panzers, tiefschwarze Haare, Oberlippenflaum –, warf meinen Rennoverall in die Waschmaschine und mich, ohne lang zu fragen, in die Badewanne.

Während mein Körper langsam wieder auf die Erde zurückkehrte, kam sie, ohne vorher anzuklopfen, ins Bad und brachte mir eine Schüssel voll Weintrauben, Marillen und anderer frisch ge­pflückter Köstlichkeiten. So muss es den Kindern in Lourdes ergangen sein, als ihnen die Heilige in der Höhle erschienen war – seit meinem Abenteuer glaube ich den Kindern, denn mir ist die Heilige von Mugello vor einer Badewanne erschienen.