Nach einem kulinarisch wertvollen Italien-Urlaub eine Alpine A110 zur Racecar Trophy zu besteigen ist eine im wahrsten Sinne des Wortes schwere Themenverfehlung – schließlich war hier Leichtbau das Gebot der Geburtsstunde, inklusive einer im Ansatz sympathischen Cockpit-Enge. Doch was soll Gery Brandstetter sagen? Der Primar aus Stockerau ist einen halben Kopf größer und prügelt seine private 72er-Alpine über die 900 Kilometer der regulären Ennstal-Classic – am heißen Sitz übrigens ein politisches Schwergewicht: der nicht mit ihm verwandte Vizekanzler Wolfgang Brandstetter. Ob verwandt oder nicht, seinen Beifahrer in einer Alpine sollte man irgendwie gern haben. Wir tun mehr als das und bitten einmal mehr Herzdame Heike Falk auf den heißen Sitz zur Zeitansage.
Wie von außen befürchtet, entert man die 1,13 Meter flache A110 ziemlich mühsam als 1,83 Meter-Pilot, zumal wenn das Körpergewicht eher zu 1,93 passt. Einfacher wäre es ohne rechtes Bein, doch das braucht man ja zum Fahren. Der Gasfuß will mühsam unterm Lenkrad in den Pedalraum eingefädelt werden, erst dann kann der Oberkörper nachkommen. Zum Glück fassen wir das vom oberösterreichischen Renault-Riesen Sonnleitner zur Verfügung gestellte 77er-Modell bereits einen Tag vor dem Start der Ennstal-Classic aus, so bleibt noch Zeit zum Üben. Eine wertvolle Stunde Gymnastik raubt eine Reparatur aus der Elektroniksparte, doch die technische Abnahme ist beinhart: kein Bremslicht, kein Start. Zugegeben, es macht schon Sinn, wenn der Hintermann am A1-Ring sieht, dass wir in die Eisen steigen. Damit sind wir auch schon mittendrin bei der ersten Station zur Racecar Trophy. Zur Erklärung: Der Parallel-Bewerb der Ennstal-Classic findet heuer zum fünften Mal statt und ist auf etwa 40 Teilnehmer reduziert. Das Baujahrslimit liegt hier nicht bei 1972, sondern elf Jahre drüber, und an den Start gehen dürfen auch Autos ohne Straßenzulassung, schließlich wird nur auf abgesperrten Strecken gefahren.
Mit 95 PS ist unsere Alpine das zweitschwächste Auto der Nachkriegs-Klassen, doch leer wiegt unsere gallische Berlinette bloß 790 Kilo. Und vollbesetzt kaum mehr, so fühlt es sich zumindest an hinterm Steuer – wohl auch weil die Pferde im Sonnleitner-Boliden dank Sportauspuff besonders gut im Futter stehen. Rundstrecke war nie so recht das Metier der A110, dazu passt die 2017er-Performance der Startnummer 28 am A1-Ring: nur Rang 17 von 20 in der Klasse „GT & Sportcars“. Fahren darf man hier im Grunde so schnell man will, doch müssen die Rundenzeiten möglichst gleich bleiben – und der Speed auf der Start/Ziel im Bereich der Lichtschranke darf nicht unter 50 km/h fallen, was ziemlich tricky ist. Die Wahl einer gemütlichen Rundenzeit erweist sich am Ende als tückisch, weil damit zu viel Spielraum zum Tüfteln blieb im Cockpit. Und so richtig warm gelaufen ist die Besatzung Falk/Falchetto auch noch nicht.
Am zweiten Tag geht es in die Berge – also dorthin, wo sich die A110 am wohlsten fühlt. „Ich habe den Namen Alpine gewählt, weil er für mich das Vergnügen ausdrückt auf Bergstraßen zu fahren.“ Jean Rédélé hat von seinem Vater nicht nur den klingenden Familiennamen mit drei accent aigu übernommen, sondern 1944 auch dessen Renault-Betrieb im mondänen Badeort Dieppe, Nordfrankreich. Der Junior hat vor allem eines im Sinn: Rennen fahren. Mit getunten Renault 4CV (fünf Vorwärtsgänge!) nimmt er erfolgreich an Motorsport-Veranstaltungen teil. 1951 gibt’s einen vierten Platz in der Klasse bei der Monte Carlo Rallye. Rédélés erste Eigenkreation, das Coupé Alpine A106, basiert auch auf dem Großserienmodell 4CV – 1956 gelingt mit diesem Heckmotorwagen ein Klassensieg bei der Mille Miglia. Der optisch ähnlich geartete A108 baut 1958 bereits auf dem Nachfolger Dauphine. Mit 40, kurz vor der Geburt seines Sohnes Jean Charles, präsentiert Rédélé auf dem Pariser Autosalon dann das, was nicht nur frankohpile Fahrzeug-Fans als die Alpine bezeichnen: die A110. Design by Michelotti, sieben Zentimeter flacher als die Vorgänger-Berlinette, Kunststoff-Kleid wie gewohnt, Scheibenbremsen rundum. Wir schreiben Oktober 1962. Als Basis fungiert jetzt Renaults R8, der Vierzylinder im Heck hat also eine fünffach gelagerte Kurbelwelle, die Nockenwelle wird über eine Kette angetrieben statt über Stirnräder. 42 bis 65 PS aus 1,0 bzw. 1,1 Litern Hubraum taugen anfangs kaum zum Bäume Ausreißen, trotz lediglich 545 Kilo Leergewicht. Doch rasch wird – je nach den Fortschritten bei der Basis von Renault – in Sachen Hubraum und Leistung nachgelegt, wir reden von 1300, 1500 und 1600, ja sogar 1800 Kubik. Nach Eingriffen durch die Hexenmeister Gordini & Mignotet wird auch die dreistellige PS-Marke durchbrochen, dank Lucas-Einspritzung sind am Ende bis zu 170 standfeste PS herausgekitzelt.
Viel Wichtiger: Ab 1965 erfolgt der Alpine-Vertrieb durch ausgesuchte Renault-Händler, damit wird es für die junge Marke auch außerhalb Frankreichs leichter. Wenn auch lange nicht leicht: Anfang der Siebziger etwa ist die A110 rund zehn Prozent teurer als der billigste 911 bei Porsche. In Sachen Qualität erreichen die Gallier nie das Niveau der Deutschen, beim Fahrspaß aber locker, Stichwort Leistungsgewicht. „Unsere gängigen Sportwagen wirken angesichts der Alpine-Fahrleistungen wie Attrappen“, stellt die auslandskritische „auto motor und sport“ bereits beim Test der 1300er-Version fest. Die Alpine war noch vor dem Lancia Stratos das erste Straßenauto, das primär zum Renn-, um nicht zu sagen Rallye-Fahren konstruiert worden ist. Als Rückgrat liegt längs ein Zentralrohr (erst rund, später eckig) mit Aufnahmen für Vorder- und Hinterachse, der hintere Hilfsrahmen nimmt Motor, Getriebe und Differenzial auf.
Monaco! Die Monte Carlo-Rallye, der traditionelle Saison-Start, gilt wohl auf ewig als die Heimstätte der Alpine, mit Ausrufezeichen 1971 und 1973 – da gab es jeweils einen Dreifach-Triumph der blauen Reiter und am Ende des Jahres den Gesamtsieg in der Markenmeisterschaft bzw. WM. Apropos 1973: Bei der A110 Berlinette wird die hintere Pendelachse in Pension geschickt und durch die Einzelradaufhängung der größeren und komfortableren A310 ersetzt, die da schon beinahe zwei Jahre parallel vom Band läuft in Dieppe. Für Franzosen-Fans fast ebenso wichtig: Im Sommer gibt’s ein neues Blau.
Race on Sunday, sell on Monday. Das beste Verkaufsjahr der Alpine A110 ist 1971, 1029 Stück werden da vorwiegend an den Mann gebracht. Das zweitbeste mit 907 Exemplaren ist 1976, ein Jahr später ist auch schon Schluss – nach immerhin 7489 Stück. Es ist das Jahr, in dem die A310 einen V6-Motor bekommt und damit preislich fast doppelt so teuer wird wie die Berlinette. 2007 stirbt Jean Rédélé, die Marke Alpine gehört da längst vollständig dem Renault-Konzern, das letzte Modell, der zwangsbeatmete A610, wurde schon zwölf Jahre zuvor zu Grabe getragen. Im Grab rotiert Rédélé heute – mit hoher Drehzahl vor lauter Vorfreude auf die neue Alpine, die im Frühjahr 2018 unter der Regie von Renault in den Handel kommt. Mit stimmigem Retro-Design, im Vergleich zum Uhrahn jeder Menge Platz & Komfort – und dennoch sportlichem Antritt: 0 auf 100 in viereinhalb Sekunden! Die restlichen technischen Daten finden Sie im Katalog hier im Heft auf Seite 85, einen Fahrbericht wahrscheinlich in der Dezember-Ausgabe. 62.600 Euro wird die Reinkarnation der französischen Flunder kosten, um diesen Betrag bekommt man heute keine ordentliche A110 mehr.
Apropos Gegenwart: Wir sind noch immer bei der Racecar Trophy der Ennstal-Classic. Und die Tauplitz-Alpenstraße steht an – wie schön! Man liegt zwar mehr in der Alpine als man sitzt, dafür ist die Lenkung herrlich direkt. Und die Flunder pickt in Kurven, dass es eine Fahrfreude ist. Der serienmäßige 1600er ist wunderbar elastisch, die flache Französin zieht schön bullig aus engen Spitzkehren. Nach den drei Tagen Racecar Trophy fällt der Abschied entsprechend schwer, nicht nur weil dem Piloten das Einsteigen endlich flott & elegant gelingt. Die 900 Kilometer der regulären Ennstal-Classic wären wohl auch locker zu überleben gewesen – so wie damals die Sternfahrt zur Monte. Beim Dreifach-Sieg 1973 ebendort stand eine Frau ganz oben am Stockerl, Copilotin Michèle Espinosi-Petit, genannt „Biche“. Heute hockt Heike am heißen Sitz – und würde am liebsten selbst ins Steuer greifen, so wie Michèle Mouton, die die A110 von 1974 bis ’76 bändigte und dabei unter anderem einen 11. Platz in Monaco errang. Mehr als zufrieden sind am Ende auch die ALLES AUTO-Alpinisten von 2017: Nach dem Desaster am Red Bull Ring ging es mit der Tauplitz im wahrsten Sinne bergauf für das Alpine-Team. Platz acht gesamt auf der Panoramastraße, später am Flugplatz Niederöblarn gar Rang drei, Platz vier beim finalen Bergsprint in Moosheim rauf nach Gröbming zu den Zuschauermassen – macht in der Endabrechnung Platz fünf in der Klasse und Platz sechs gesamt.
Den Sieg in der Racecar Trophy holen sich Kunz/Kunz auf Mini Cooper, auch so ein kleiner Held aus den Heydays der Monte Carlo-Rallye – hier noch dazu mit einem Mädl am Steuer; Marlene wurde von Papa Florian perfekt dirigiert. Auch bei der „normalen“ Ennstal-Classic, die heuer ihre 25. Auflage feierte und wie immer 220 Starter losschickte, siegte mit Alexander und Florian Deopito ein Familien-Gespann – und das sensationell auf einem Vorkriegsauto, einem Lagonda LG 6 aus 1938.
Die Seitenblicke dominierte freilich ein anderer: Patrick Dempsey. Der amerikanische TV-Star, heuer unterwegs auf einem Porsche Speedster aus dem Stuttgarter Werksmuseum, strahlte bei jedem Interview, Schauspieler halt. Vor allem die Damenwelt lag flach im Ennstal, und am Ende bewies Frauenschwarm „McDreamy“ auch noch Humor: „Toll ist es in Österreich – so viele Frauen hier, die sich für alte Autos interessieren!“