Rückspiegel-Blick

25. Dezember 2023
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Alles Klartext

Aus heutiger Sicht gab es 1992, im Gründungsjahr von ALLES AUTO, auffällig wenig zu meckern. Automobilistisch mit Zeitgenossen wie Lancia Delta Integrale, Toyota Celica GT4, luftgekühlten 911ern oder Alfa Spider sowieso. Die Eltern der Klima-Gretl kannten sich damals noch gar nicht – schade, dass ­dieser glück­liche Zustand nicht angehalten hat. 30er-Zonen galten als lächerliche Spinnerei, mit dem Rad fuhren vorwiegend Kin­der und Sportler, Kick-Scooter waren Spielzeug und auf der Straße verboten. Es gab kein IG-Luft, CO2 war nicht der Bad Boy aller Gase und Diesel der Treibstoff, der mehrheitlich die Mobilitäts-Träume befeuerte.

Auch sonst schien alles gut: Der Kommunismus war besiegt, und die Guten – also wir – hatten gewonnen. Österreich war zumindest geographisch der Nabel Europas anstatt einer seiner Randbezirke. Die Araber brachten sich nur bei sich daheim gegenseitig um, anstatt anderswo in Hochhäuser zu fliegen, und Putin konnte außerhalb von ­St. Petersburg noch kein Unheil anrichten.

Trotzdem gab es auch damals schon genug Raunzer: Autoseitig galt ihnen bereits die Verbreitung von ABS als hinterlistiger Eingriff in die Privatsphäre – wer richtig fahren kann, braucht so was doch wohl nicht! Die Katalysator-Pflicht war erst recht ein ­Affront, und der Sprit – Benzin zu umgerechnet 70 Cent, Diesel zu 56 – natürlich viel zu teuer. Aus durchaus verbreiteter 1992er-Sicht hatte die Welt drei Jahrzehnte davor viel besser dagestanden. Da wa-ren die Autos schöner gewesen anstatt alle gleich auszusehen und die Technik noch ein individuelles Statement jedes Herstellers gewesen. Überhaupt gab’s in den 60ern außerorts kein Tempolimit, schon gar nicht auf Autobahnen. Nicht einmal die Gurtpflicht hatten 1992 schon alle verdaut. Und Staus fanden früher sowieso nur zur Ferienzeit statt, schuld daran waren aber meist die Italiener mit ihren Mautstationen. Im Rückspiegel bekommt somit jede Epoche etwas Sisi-Idylle, inklusive entsprechend dünner Realitätssquote.

Bleiben wir also auch fair, was 1992 angeht: Es war das Jahr vor Einführung der ersten EU-Ab-gasnorm, mit fast viermal so vielen Verkehrsopfern wie heute, doppelt so hohem Durchschnitts­ver­brauch und eher rudimentären Safety-Features. Ohne die Entwicklung vieler Sicherheitssysteme, die seitdem stattgefunden hat, würden wir schon längst nicht mehr so unbeschwert fahren können.

Wie wird es aber in weiteren dreißig Jahren sein? Wird 2052 jemand sagen „Wow, so ein Elektroauto mit echter Lithium-Ionen-Batterie, das war schon was!“ Wenn ja, ist zwar jetzt schon Präventiv-Beileid gerechtfertigt, das Lamento könnte aber viel dramatischer sein, nämlich so: „Das war damals noch was – selbst Auto fahren!“ Auch ganz ohne Kristallkugel ist es eher wahrscheinlich, dass es nicht mehr besser und leichter wird mit der Indi­vidual-Mobilität. Allerdings lehrt die Geschichte auch, dass sie selten als durch­gehende Linie stattfindet – sie biegt öfter mal unerwartet ab, hat Bruchlinien und macht Sprünge. So, wie sich die Gewesslers dieser Welt die Zukunft heute vorstellen, wird sie also wahrscheinlich auch nicht pas­sieren. In jedem Fall sind die meisten Deadlines und Prognosen knapp genug gesetzt, dass wir zu­sehen können, wie sie ihre Urheber blamieren – und das garantiert ohne posthume Verklärung.

Foto: Werk