Ein alter Fiat in einem Schauraum voller klassischer Porsche. Kein Abarth, kein Dino oder Bertone, auch kein Coupé 20V Turbo. Einer mit 1100 Kubik, der dreht und dreht und dreht und davon nie genug kriegen kann. Erdacht von Ferrari-Leuten. Wo gibt es so was? Bei Doktor Georg Konradsheim in Vösendorf bei Wien. Schleichwerbung ist unsere Schwäche nicht. Wir nähern uns auch diesem Fuhrwerk Orange mit distanzierter Neugier. Runde Doppler strahlen uns an. Gestaltet von zwei Schöpfern des Ferrari 250 GT: Vater und Sohn Boano leiteten seit 1957 das Centro Stile Fiat. Der 128 nahm dort seit 1964 Form an, den „Millecento“ abzulösen, bei uns als Steyr-Fiat 1100 sehr populär. Ein Wagen von schlichter, dreivolumiger Gestalt, mit großen Babyaugen. Die modernste aller neun Karosserie-Varianten, ein Schrägheck mit Heckklappe, wagt 1971 schrägerweise der jugoslawische Lizenznehmer Zastava. Das Coupé 128 Sport lockt 1971 zwar mit Hüftschwung und Fließheck, aber kurzem Kofferraumdeckel – wie der Superseller Ford Capri auch. Mit großer Heckklappe kommt erst 1974 der Capri II aus dem Turiner Studio Ghia. Jetzt kann auch „La Fiat“ nicht länger zögern: Unser 3 Porte hier folgt 1975 mit gestrafften Hüften und großem Hecktor. Zwar Berlinetta getauft, eigentlich aber ein Kombicoupé.
Technischer Weitwurf. Frontantrieb testet Fiat seit 1964 bei der kleinen Mailänder Schwester Autobianchi in der Primula, mit dem 128 kommt er 1969 in Großserie wie seit 1959 bei Austin-Morris. Allerdings stehen bei Fiat Motor und Getriebe in einer Flucht. Der Quermotor dreht so fix wie einer aus Maranello. Erdacht von Aurelio Lampredi, dessen Vierzylinder 1952/53 Ferrari die Grand Prix-Szene dominieren ließen und im 500 Testa Rossa die Zweiliter-Klasse der Sportwagen-Rennen. Eine Nockenwelle im Alukopf, in Riemenhaltung wie seit 1962 bei Glas, aber einfacher zu warten. Bohrung 80 bei Kolbenhub 55 Millimeter – eine Drehorgel! Im Gruppe 2-Renner von Trivellato dreht dieser 1100er bei 9000 seine 135 PS aus und danach munter weiter. Nur dieser Bolide hat fünf Gänge, gerade verzahnt und so laut wie der Motor.
Im Serien-Coupé greift man schon bald nach Ortsende intuitiv zur kleinen schwarzen Kugel rechts unten – um dort keinen höheren Gang zu finden als den vierten. Wie in der Berlinetta 250 GT von Ferrari. Gereifte Charaktere bleiben schön auf Drehzahl, nutzen auf Landstraßen die Motorbremswirkung wie im BMW i3 und meiden die Autostrada. Nach 25 Jahren im TDI-Rausch sind wir vom Drehwurm entwöhnt. Kenner ziehen den 1100er dem 1300er vor, so wie sie im Dino-V6 oder in Alfa 75 und 164 den spritzigeren Zweiliter den größeren Versionen mit Handkuss vorziehen. Weil der kleinere Murl noch quirliger aufdreht und reiner singt. Wie Luciano Pavarotti vor dem Stimmbruch.
Typisch Fiat: Die Messwerte deutscher Tester fielen noch besser aus als die Werksangaben. Der 1300 SL wurde 1972 mit 167,4 km/h und 12,2 Sekunden gestoppt, der 1300 3P später mit 161,4 km/h und 12,3 Sekunden, jeweils statt 160 bzw. 13,5 laut Prospekt. Realkonsum: 9,7 Liter. Wie lange das so gut geht? Einem Forensiker des Netzmagazins „Zwischengas“ verdanken wir die Kunde, der erste Motor habe 330.000 Kilometer gehalten, mit 460.000 auf der Uhr wurde dieser 1300 SL gegen ein Lancia Beta Coupé eingetauscht. Es gibt sie: Autos, die sich weigern, dem zwiespältigen Ruf ihres Herstellers zu entsprechen. Musikalisch ist dieser Fiat auch, weil an Dämmstoffen gespart wurde zugunsten von Innenbreite und Gewicht. Der Dreitürer wiegt mit 850 Kilo um 30 mehr als das zweitürige Coupé. Seine Final-Version mit Plastikstoßstangen, Gummiwurstspoiler und Aluradeln wiegt weitere 30 Kilo mehr. Vergleichbare Manta, Capri, Celica bringen 140 bis 160 Kilo zusätzlich auf die Waage. Gleich leichtfüßig wie der Fiat 3P ist der Alfasud Sprint, einen Hauch zarter noch der VW Scirocco. Beide Entwürfe von Italdesigner Giugiaro schlagen den Fiat 3P im Kriterium Rostfreude.
Direkte Lenkung, mit dreieinhalb Umdrehungen um eine weniger als in Toyotas Celica oder Opels Manta. Straßenlage? Nicht weniger als 17 Fiat 128 traten 1973 zur Rallye Monte Carlo an – das sagt alles. Federung straff, aber bequem, da hochbeinig. Jedes Tieferlegen oder Verbreitern wäre hier eine Sünde. Zierliche Sitze, geschneidert für die Popos von Italienerinnen vor der Babypause. Ein Auto für höhere Töchter? „Die Coupés waren bei uns nicht so leicht abzusetzen wie in Italien“ erzählt Walter Niessner, Fiat-Vertreter in Wien-Heiligenstadt: „Der 128 ging sehr gut als Zweitürer und als Rally, der Extrapreis fürs Coupé aber war vielen zu hoch. Wie beim Sportwagen X1/9, der hat sich nur in Amerika wirklich gut verkauft.“
F1-Pilot Mario Andretti lobte in US-Anzeigen „The biggest selling car in Europe“ als flink wirkendes Antidepressivum gegen Fords Schrumpf-Mustang II. Bis „Fix It Again, Tony!“ 1982 mit schlechtem Ruf heimzog. Das Kombicoupé 3P ersetzt der dreitürige Ritmo – Freispiel für Scirocco und Konsorten. Fiats dicht gestricktes Sportwagen-Programm schließt nach der Benzinkrise 1974 zugunsten von Lancia, Käufer sehen sich mit ihrem Liebhaberteil allein gelassen. Die Fratelli Agnelli Gianni und Umberto stehen seit 1966 an Fiats Rudern, 1976 bewahrt sie eine Finanzspritze des Libyschen Staatsfonds unter Oberst Muammar al-Gaddafi vor der Umarmung durch Henry Ford.
So original der orange Lack frei von Orangenhaut ist, so original sind die großkarierten Polster. Nach 39 Jahren in Erstbesitz kam unser Fotomodell mit Kontostand 112.000 aus Italien nach Vösendorf – und giert darauf, gefahren zu werden. Neuer Zahnriemen. Frische Antriebswellen mitsamt Gelenken. Eine Schubstrebe vorn und ein Querlenker hinten sind ebenfalls neu. Kein Nervenflattern bei der Probefahrt, trotz animalischem Röcheln beim Gasgeben. Aber ein blechernes Flattern im Endtopf zwischen 2000 und 3000, da ist wohl ein Schwallblech lose. Die Heizung lässt sich nicht abstellen, ein Tribut an Italiens kalte Winter – das dürfte der Seilzug oder ein Ventil fest sein. Fest auch die Statikgurte: Bei aller Originalität könnte man künftigen Genießern vielleicht doch eine Automatik-Variante gönnen.
„Mit tauben Ohren, aber frohem Herzen stößt der Pilot am Ziel die Türe auf – sie öffnet halb, federt zurück und versetzt dem Aussteigenden zum Dank eine Ohrfeige.“ Auch der Schweizer „Automobil Revue“ fiel 1972 der enge Öffnungswinkel auf. Ernst schauen die 31 Porsche im Behandlungsraum von Doktor Georg Konradsheim drein. Von ganz hinten lacht die orange Berlinetta: „Fahr mich! Küss mich! Nimm mich mit nach Haus!“ Ein Liebhaber aus Nürnberg konnte drei Wochen nach unserem Besuch nicht widerstehen, um einen fünfstelligen Betrag. Was sagt er wohl daheim? „Entspann Dich, Liebling! Ist doch nur ein Fiat… Oder hätte ich dir einen Carrera mitbringen sollen?“