Wow zwölf: BMW M760Li xDrive

2. Juni 2017
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Der BMW M760Li beweist: Von wegen der V12 ist tot. Abseits der noblen Supersport-Adressen Ferrari, Lamborghini und Aston Martin sowie Bentley & Rolls-Royce aus der Luxus-Abteilung bauen die gro­ßen Drei aus Deutschland nach wie vor feine Zwölfzylinder. Gekauft werden die zwar immer seltener am Heim-Kontinent, doch Länder und Regionen, in denen Protz keine Schande ist, lechzen nach wie vor nach großen ­Limousinen mit einem satten Dutzend Brennräume.

Jetzt liefert auch BMW wieder einen V12 für sein Firmen-Flaggschiff – den BMW M760Li. Diese Tradition sollte man auch hochhalten, schließlich waren es die Münchner, die vor genau 30 Jahren beim damaligen 7er (Baureihe E32) den ersten deutschen Nach­kriegs-Zwölf­zylinder auf den Markt gebracht hatten – fünf Liter groß, 299 PS stark und auch mit „kurzem“ Radstand zu haben. BMW, Audi und Mercedes verbauen ihre Spitzen-Triebwerke mittlerweile nur noch mit Allradantrieb – bis auf Audi sind die Zwölfender auch stets aufge­laden und bis auf Mercedes zudem nur in den Lang­versionen zu haben. Im Falle unseres bayrischen Probanden entsteht so eine sperrig-unele­gante Typen­be­zeichnung – M760Li xDrive klingt nicht gerade sexy. Doch schon der erste Buch­stabe sugge­riert, wohin die Reise geht: M wie Mmmmmh!

Frozen Dark Brown Metallic nennt sich die 3800 Euro teure Mattlackierung unseres Testwagens. Felgen, Auspuffblenden, Zierleisten, Spiegelkappe und BMW-Niere sind beim Top­modell serienmäßig in „Cerium Grey“ galvanisiert

Frozen Dark Brown Metallic nennt sich die 3800 Euro teure Mattlackierung unseres Testwagens. Felgen, Auspuffblenden, Zierleisten, Spiegelkappe und BMW-Niere sind beim Top­modell serienmäßig in „Cerium Grey“ galvanisiert

Die Motorsport-Abteilung des Hauses hat also ihren ersten ­V12 für die Serie ausge­spuckt, 6,6 Liter, 610 PS und 800 Nm markieren in der Firmenhistorie einen neuen Zenit, trotz 2,2 Tonnen Leergewicht tun das auch die Fahrleistungen: 0 auf 100 in 3,7 Sekunden und Spitze 305 km/h (ex aequo mit M5 & M6) – zumindest sofern man das optionale „M Driver’s Package“ ge­ordert hat. Das beinhaltet neben der Vmax-Anhe­bung ein für diese Belange eher sinnloses Fahrertraining mit Eigenanreise und kostet exakt 3253 Eu­ro, was an sich schon ein bisserl eine Frech­heit ist. Dass man es aber nur in Kombi­nation mit dem Panorama­dach um weitere 2736 Euro bekommt, ist bes­tenfalls unbe­greiflich. Der Einwand, dass Men­schen, die sich ein Auto um über 200.000 Euro leis­ten kön­nen, über solche Beträge locker hinwegsehen, stimmt nur bei oberfläch­licher Be­trach­tung. Denn in der Regel sind die Käufer erfolgreiche Ge­schäftsleute, tagtäg­lich auf der Suche nach Gewinn­opti­mie­rung, Produkti­vitäts­stei­gerung und besseren Einkaufskonditionen. Und genau solche Zeitgenossen wollen eines nicht: über den Tisch gezogen werden.

Von Luxus-Problemen, mit denen wir uns im echten Leben ­ohnehin nicht auseinan­dersetzen müssen, zum praktischen Fahr-Erlebnis BMW M760Li xDrive. Die Ausgangs­frage lautet: Kann ein Auto mit 3,2 Meter Radstand Spaß machen? Also links vorne sitzend. Yes, it can. Dank Allradlenkung und aktivem Fahrwerk agiert die 5,2 Meter lange Limousine überraschend agil, dazu spielt’s bru­tale Kraftentfaltung vom Stand weg, perfekt portioniert von der feinen Achtgang-Automatik und klug verteilt auf vier Räder. Ein Chauffeur-Auto zum Selberfahren. Und im Normal-Modus auch wunder­bar komfortabel sowie leise. Das per Knopfdruck aktivierte Sport-Pro­gramm schärft Lenkung und Fahrwerk Richtung Straffheit und macht auch den Aus­puff-Sound rotziger – wenn auch nicht ganz so böse ballernd wie bei den Kollegen von AMG. Doch davon hat ob toller Innenraum-Dämmung ohnehin nur die ­Galerie was. ­Außer man fährt mit offenem Fenster, was bei einem ­Siebener immer ein bis­serl peinlich aus­sieht.

Sportliches M-Lenkrad und V12-Logo in der Mittelkonsole als Insignien der Macht. Nap­pa-Vollleder ist beim teuersten BMW aufpreisfrei, ebenso der Dach- himmel in Alcantara. Den großen Multi- media-Schirm steuert man durch Drehen und Drücken oder Gesten oder An- grapschen – wonach einem halt gerade ist.

Sportliches M-Lenkrad und V12-Logo in der Mittelkonsole als Insignien der Macht. Nap­pa-Vollleder ist beim teuersten BMW aufpreisfrei, ebenso der Dachhimmel in Alcantara. Den großen Multimedia-Schirm steuert man durch Drehen und Drücken oder Gesten oder Angrapschen – wonach einem halt gerade ist.

Zum Schluss noch ein Blick aufs liebe Geld: Mit 218.500 Euro markiert der M760Li xDrive auch preislich einen neuen Zenit bei BMW. Die Mehrkosten von 80.800 Euro gegenüber dem bisherigen Benziner-Topmodell, dem 750er mit V8-Benziner, wirken nur auf den ersten Blick happig. Zum einen versandet nämlich ein Gutteil der Diffe­renz im Staatssackerl, Stichwort NoVA-Höchststrafe 32 Prozent. Dann ist der V12 natürlich teurer in der Produktion. Und in Sachen Ausstattung hat das Topmodell eine Menge Features aufpreisfrei, etwa 20 Zoll-Räder, klimatisierte Kom­fortsitze mit Massage-Funktion vorne wie hinten, Nappa-Volllederpolsterung, ­Al­can­tara-Dach­him­mel, HiFi-Sound, Allradlenkung, das erwähnte aktive Komfort­fahr­werk oder Laser­licht. Wem der Auftritt des falschen M7 zu sportlich ist, der be­kommt ums gleiche Geld übri­gens die noblere „Excellence“-Ausführung, ohne das Aerodyna­mikpaket und den Klappen-Auspuff, dafür mit mehr Chrom außen sowie einem holz-intarsier­ten Lenk­rad innen – und einem Tacho, der nicht bis 330 geht, sondern nur bis 260. Wie arm­selig.

Daten & Fakten

V12, 48V, Bi-Turbo, 6592 ccm, 610 PS (448 kW) bei 5500/min, max. Dreh­mo­ment 800 Nm bei 1550–5000/min, Achtgang-Automatik, All­radantrieb, Scheiben­brem­sen v/h (bel.), L/B/H 5238/1902/1479 mm, Radstand 3210 mm, 5 (4) Sitze, Reifen­di­men­sion 245/40 R 20 (v), 275/35 R 20 (h), Tankinhalt 78 l, Koff­erraum­vo­lumen 515 l, Wende­kreis 12,9 m, Leergewicht 2180 kg, 0–100 km/h 3,7 sec, Spitze 305* km/h, Norm­verbrauch (Stadt/außerorts/Mix) 18,4/9,6/12,8 l Diesel, CO2 294 g/km

Preis: € 219.920,–

*bei optionalem M Driver’s Package (ansonsten 250)