Na hören Sie mal, wo gibt’s denn sowas: Im Mutterland rappeln kreuzbrave VW vom Band, und plötzlich kommt Âeiner aus Brasilien und zeigt den einheimischen Herren, was man denn so alles aus einem Käfer zaubern kann.“ Rudolf Leiding erläutert aus der Distanz der Jahre, warum der SP2 nie nach Europa gekommen ist. Der gelernte Kfz-MechaÂniÂker überÂnimmt 1968 den Chefsessel bei Volkswagen do Brasil und wird die Produktion innerÂhalb von drei Jahren um 50 Prozent steigern. Sein Lieblings-Vorhaben freilich, das ist seiner großen Liebe gewidmet. Das „Projekt X“ startet Leiding 1970: Ein kostengünsÂtiger SportÂÂwagen soll dem Puma die Krallen stutzen – die brasiÂlianische Raubkatze fährt seit 1967 mit einer hübschen Gfk-Karosserie auf einer GroßÂseÂrien-BoÂdenÂgrupÂpe von VW, worüber man bei uns in der heurigen Mai-Ausgabe lesen konnte. Sportwagen-Importe sind im AmaÂÂzonas-Staat ob absurder Zölle mehr oder weÂniger unmöglich – doch Bedarf ist sichtÂlich da, zunehmend auch bei dynamischen DaÂmen. Also soll der Wagen vor allem Helga gefallen, der Gattin von Rudolf Leiding. Der 56Â-Jährige liefert selbst die ersten SkizÂÂzen für seine HerzensangeleÂgenheit, den FeinÂschliff darf ein Team aus jungen DeÂsigÂnern und Ingenieuren übernehmen. Schon im November 1970 ist das erste TonÂmoÂdell fertig. 16 Millionen D-Mark als Budget klingen alles andere als üppig, doch man entÂwiÂckelt ja im Inland und darf sich großÂzügig aus dem Teileregal von VW do Brasil bedieÂnen. EiÂgenständig Entscheidungsgewalt hatte Leiding auch als BeÂdingung dafür geÂmacht, dass er als Statthalter von Wolfsburg nach São Bernardo do Campo gesandt wurde, ÂeiÂnem Vorort der MetrÂoÂpole São Paolo.
Bereits im März 1971 wird der Projekt X-ProtoÂtyp ebendort auf der deutschen IndustrieÂmesse der ÖffentlichÂkeit präsentiert, da arbeitet Rudolf Leiding schon wieder in seiner Heimat – als ÂAudi-Chef. Freilich nur ein halbes Jahr, dann übernimmt er als KonzernÂleiÂter das große Steuerrad in Wolfsburg. Damit hätte es doch eine Möglichkeit von höchsÂter Stelle geÂgeÂben, den hübschen Volkssportler ins Europa-Programm aufzunehmen, oder?
Stimmt, doch der ScirocÂco scharrÂt da schon in den StartlöÂchern, ab 1974 soll er die sportÂliche Linie bei VW vorgeben – quasi als Coupé-Version des Golf. PikanÂterie dabei: GeraÂde Leiding ist kein Freund der neuen Frontmotor-Strategie des Hauses. Doch als er zurück in die Konzernzentrale kommt, ist der Weg Richtung Wasserkühlung und VorderÂradÂanÂtrieb schon eingeschlagen, weiß auch der damalige Technik-Vorstand Ernst Fiala. Der ProÂfessor aus Wien, gerade erst 90 geworden, blickt für uns in den RückÂspiegel: „Auch aus wirtschaftlicher Sicht hätte ein Europa-Import keinen Sinn geÂhabt, denn in Brasilien wurde nicht gerade günstig produziert. Außerdem wollten wir das europäische Händler- und Werkstatt-Netz nicht mit einer zusätzlichen Komplexität überÂfordern.“
Zurück nach Südamerika. Als Partner für die Produktion des SP holt man sich Karmann – die Osnabrücker unterhalten auch ein Werk in Brasilien, nur einen SpeerÂwurf von der VW-Fabrik entfernt. Dort fertigte man bereits in kleiner Stückzahl Ghia-KarÂmänÂner sowie seit 1970 das ebenfalls VW-basierte Touring Coupé, vulgo TC, einen von GiugÂiaro geÂlunÂgen geÂstylten 2+2-Sitzer. Karmann kümmert sich um den Karosseriebau, LackieÂrung und EndÂmonÂtage erfolgen aus Qualitätsgründen bei Volkswagen – je nach ÂQuelle schafft man dort 20 bis 25 SP pro Tag. Die BodenÂgrupÂpe stammt ungekürzt vom braÂsilianiÂschen Typ 3, der südÂamerikanischen Schachtel, die seit 1968 am Markt ist. Das beÂdeutet HeckmoÂtor, PenÂdelÂachse hinten, dazu Käfer-Kurbellenkerachse vorne – und vier Nippel, die alle 10.000 Kilometer abgeschmiert werden wollen. Für die SP1 geÂnannÂte Basis-Version wird das Triebwerk unverändert vom VW 1600 übernomÂmen, doch nur wenige Käufer wollen sich mit 54 PS abspeisen lassen. Für den SP2 bohrt man den Boxer auf 1700 Kubik auf und bestückt ihn mit größeren Vergasern, mehr als 65 PS sind aber ob der geringen VerÂdichtung von 7,5:1 nicht drin, getankt wird schließlich südÂameriÂkanischer SpruÂdel. „Sem Potência“, also „ohne Leistung“, so interÂpreÂtieren AugenÂzwinÂkernde den NaÂmen des hübschen Zweisitzers, dabei steht SP einfach für São Paolo. Kurz wird über den Einbau des Triebwerks aus dem Volks-Porsche 914 nachÂgedacht, das käme jedoch zu teuer, denn in ÂSachen Einfuhrzölle ist die brasilianische MilÂiÂtärreÂgieÂrung ziemlich ausÂländerÂfeindlich. Dazu mischt sich der Staat auch in die PreisÂgeÂstaltung der Fahrzeuge ein.
Für einen VW ist der SP innen gar sportlich und luxuriös, gepolstertes Armaturenbrett, eine hübsche Mittelkonsole, sechs dekorative Rundinstrumente – so sieht ein VolksÂwaÂgen in jenen Jahren eigentlich nicht aus. Dazu finden sich hinter den Sitzen lederne GeÂpäckÂspanngurte, das kommt in den besten Häusern vor. Leder gibt es auch optional als Bezugsstoff für die Sitze, an weiteren Extras lassen sich Gurte, FeuerÂlöÂscher, Radio und Pannendreieck Âordern. Die Farbpalette ist bunt gemischt, obligat sind rote reÂflekÂtieÂrende Zierstreifen seitlich, die geradewegs in die Heckleuchten münden. Fesch ist der SP2, richtig fesch. Wir treffen den Brasilo-Sportler in Berchtesgaden, wo alle zwei Jahre Ende September das Rossfeldrennen stattfindet. An zwei Tagen geht es je drei Mal den Berg hinauf und über eine eindrucksvolle Panoramastraße wieder zurück ins liebevoll insÂzenierte Fahrerlager – das muss man Âgesehen haben! So wie als OldÂtiÂmer-Fan dieÂsen raren VW. Immer wieder werden wir von Zuschauern und TeilÂnehÂmern auf den SP2 angesprochen. Ist das ein Prototyp? Nein, davon wurden über 11.000 Stück gebaut. WaÂrum habe ich so einen noch nie gesehen? Nur knapp 700 Stück geÂlangten in den offiziellen Export, nie aber nach Europa, der Großteil ging nach Afrika, aber auch in den Nahen Osten.
Jetzt aber hinein ins Cockpit. Der Einstieg gelingt einem durchschnittlich gelenkigen Menschen ganz gut, selbst GroßÂgewachsene finden genug Platz. Und die Sitzposition ist ob kleinem geschüsseltem Volant wirklich gut. Brav schiebt der Boxer von unten heraus an, die Schaltung über den kleinen Hebel zeigt sich überraschend knackig und kurzwegig, auch die ReakÂtion auf Lenkrad-Bewegungen ist so gar nicht Käfer-like – 2,7 Umdrehungen sind es von Anschlag zu Anschlag. Vertrauenerweckend legt sich die keine 1,2 Meter tiefe Flunder in die Kurve, und schon beginnt man zu sinnieren, wie sich der SP2 mit einem motiÂvierteren Motor anfühlen würde. Vor allem der Anschluss vom Zweiten auf die Dritte lässt den Vorwärtsdrang bergauf einknicken, immerhin zeigt sich der Murl trotz dünnem Teppich zum Innenraum hin ganz gut gedämmt in Sachen Wärme und Geräusch.
Zeitgenössische Testberichte, zumal in Deutsch, sind kaum zu finden. Immerhin: Für die Ausgabe 12/1973 reist ein Redakteur der „auto motor und sport“ nach Brasilien, um eiÂnen SP2 zu erfahren. „Viel Beschleunigung kann man nicht erwarten“.
Moniert wird dazu der flache und vom Reserverad teil-okkupierte Kofferraum vorne. Den Bremsen attesÂtiert der Tester Schwergängigkeit, aber auch gute Wirksamkeit. Die Schaltung findet der Kollege natürÂlich ebenfalls toll. Doch im Grenzbereich erweist sich der SP2 als kräftiger UnÂterÂsteuÂeÂrer, was allerdings den brasilianischen ÂPirellis zugeschrieben wird. Der Autor schließt mit Frage: Warum kommt dieses Auto nicht nach Europa? Werner Schmitt, daÂmals Chef bei VW do Brasil, der Mann, der glücklichen Händlern, die einen SP zuÂgeteilt bekamen, geÂraten haben soll, das ÂAuto nicht zu verkaufen, sondern als BlickÂfang in den SchauÂraum zu stellen, kann sie nicht beantworten. 35 Jahre später hat es eine erkleckÂliche AnÂzahl SP2 über den Atlantik geschafft, man munÂkelt von einem deutÂlich zweiÂstelÂligen Bestand in Europa. Den allerersten GrauÂimport allerÂdings, den tätigte ausgeÂrechÂnet VW-Boss ÂRudolf Leiding: Er ließ einen SP2 frisch aus der Fabrik einfliegen – für Gattin Helga zum Geburtstag.
Daten & Fakten
B4, 8V, zwei Fallstromvergaser Solex 34 PDSIT, 1678 ccm, 65 PS bei 4600/min, max. DrehÂÂmoment 123 Nm bei 3000/min, Viergang-Getriebe, HinÂterÂradÂanÂtrieb, vorne EinzelÂradaufhängung, Kurbellenkerachse, hinten: Pendelachse, Längslenker, DrehÂstabfedern, vorne und hinten: Quertorsionsstäbe, Teledämpfer, Stabilisator; ScheiÂbenÂbremÂÂsen v, Trommeln h, Schneckenlenkung, L/B/H 4217/1608/1158 mm, RadÂÂstand 2400 mm, SpurÂÂÂweite v/h 1340/1380 mm, WenÂdekreis 11,3 m, ReifendimenÂsion 185 SR 14, Tank 40 l, KofferÂraum v/h 140/205 l, 2 Sitze, LeerÂgewicht 890 kg, GewichtsÂverÂteilung v:h 43:57, 0–100 km/h ca. 17,5 sec, Spitze 161 km/h, VerÂbrauch (DIN) 8,0 l ROZ 95/100 km
Bauzeit: 1972–76
Lebenslauf:
1971: im April Vorstellung von SP1 und SP2 auf der deutschen Industriemesse in São Paolo; 1972: im Juni Produktionsstart; 1973: SP1 läuft Ende aus; 1975: Im Oktober wird der 10.000. Wagen gebaut; 1976: Im Februar rollt der letzte SP2 aus der Fabrik; ein SP3-ProtoÂtyp mit wassergekühltem 1800er-Reihenmotor aus dem Passat TS wird geÂbaut, schafft es aber nie in die Serie
Stückzahl: 11.123 (davon 162 Exemplare SP1 mit 54 PS)
Neupreis: ca. € 8000,–
Marktwert heute (guter Zustand, lt. Classic Analytics): ca. € 24.000,–
Alternativen: Alfa Romeo GT Junior, Fiat 128 3P, Lancia Fulvia Coupé, Matra Bagheera, Opel GT/J, Saab Sonett III, VW-Porsche 914/4