Als Peter Handke Niki Lauda interviewte

9. März 2021
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Die Chefredaktion des deutschen Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“ hatte 1975 die verwegene Idee, den damals schon berühmten Schriftsteller Peter Handke (Jahrzehnte später, 2019, erhielt er den Nobelpreis für Literatur) zum Formel 1-Grand Prix auf den Nürburgring zu entsenden. Er sollte seine Eindrücke tiefsinnig reflektieren und für die Zeitschrift zu Papier bringen. Den schüchternen Vorschlag eines österreichischen Kollegen, man hätte doch Heinz Prüller mit dem Schreiben der Geschichte betrauen können, lehnten die Hamburger Bosse entschieden ab. „Wir wollen Literatur im Blatt.“

Handke statt Prüller, meinten die „Spiegel“-Leute damals, das wäre für jedes Medium so etwas wie ein Aufbruch in höhere Sphären. Außerdem sei Handke der Sportszene durchaus wohlgesinnt, man dächte nur an seine Erzählung „Die Angst des Tormanns beim Elfmeter“. Und in seinem von der Literaturkritik gefeierten Band „Die Innenwelt der Außenwelt der Innenwelt“ bestünde doch das Kapitel 17 ausschließlich aus der Mannschaftsaufstellung des 1. FC Nürnberg: „Wabra; Leupold, Popp; Ludwig Müller, Wenauer, Blankenburg; Starek, Strehl, Brungs, Heinz Müller, Volkert.“ Darüber und darunter nur noch Datum und Anpfiffzeit des Spiels, sonst nichts: „27. Jänner 1968, Beginn 15 Uhr.“ Keiner der mir bekannten Redakteure hatte den Sinn des allein aus Spielernamen eines Fußballklubs zusammengesetzten Buchkapitels auch nur ansatzweise verstanden, im Lauf der folgenden Diskussionen stellte sich heraus, dass dieses Unverständnis der Journalisten auch auf die übrigen Kapitel des Handke-Buches zutraf.

Wie dem auch sei: Der Künstler sagte zu, auf den Nürburgring zu kommen, war auch pünktlich zur Stelle, tat sich aber anfangs schwer, dem Milieu der Formel 1-Szene mentale Nähe abzuringen. Handke sprach mit dem künftigen Weltmeister Niki Lauda und dessen damaliger Partnerin Mariella Reininghaus, beobachtete das Geschehen an und auf der Rennstrecke und lieferte sein Manuskript ab. „Der Spiegel“ ließ den Artikel des Schriftstellers unter dem Titel „Das Öl des Weltmeisters“ zu einem Zeitpunkt erscheinen, als Lauda noch gar nicht als Weltmeister feststand.

Die Reflexionen Handkes vom Nürburgring lasen sich so (Zitate Handke im „Spiegel“ Nr. 33/1975, auszugsweise):

Niki Lauda verwendet das Wort „Technik“ sehr oft: für seinen Wagen, für die Art, wie er diesen steuert; für die Methode, mit der er es vermeidet, während des Rennen an anderes zu denken … Laudas Leben ist von Techniken bestimmt … das Einschlafen vor dem Rennen ist Technik, sogar im Urlaub muss er sich technisch verhalten … Und sie (Laudas Freundin Mariella, Anm.) steht über eine Stunde lang in der heißen Sonne, die Füße eng und gerade nebeneinandergestellt … Angesprochen, lächelt sie sofort, mit einer einzigen Gesichtsbewegung. Ebenso schnell, mit einer einzigen Gesichtsbewegung, hört sie auch, ist die Bewegung der Zuwendung zu jemand anderem vorbei, zu lächeln auf … Den Nürburgring säumten zweihunderttausend tragisch wesenlose, nicht einmal gerichtsbekannte Bierbäuche ohne Lebensgeschichte und Frauen mit über der Leere ihres Lebens verschlossenen Gesichtern, als seien sie alle gerade von einer Strafexpedition zurückgekehrt … Manche freilich finden es lebensechter, aus dem Fenster zu schauen auf die Dauer auch gefährlicher.

Meine Frage damals an Niki Lauda (ich arbeitete gerade an einer Lauda-Biografie und stand mit Niki in ständigem Kontakt), ob er Handkes Essay gelesen habe: „Ja, aber viel steht nicht drin, eigentlich ein Schas.“ In Entzückung geriet allerdings der „Kurier“-Kulturredakteur Kurt Kahl. Begeistert legte er mir, der ich damals für die Motorsportseiten der Tageszeitung schrieb, ein Exemplar des „Spiegel“ auf den Tisch und meinte, ein derartiges Niveau, mit Handke und anderen hochkarätigen Literaten, würde er sich auch für den „Kurier“ wünschen. Sein Wunsch ging nicht in Erfüllung.

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Faksimile: Der Spiegel Nr. 33/1975