Von Karajan bis Moretti: Die Autoleidenschaft der Künstler

3. August 2020
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Dass Künstler gemeinhin als Autoverweigerer gelten, stimmt nur ansatzweise und in Ausnahmefällen – seinerzeit und auch heute. Warum sogenannte Qualitätsmedien und deren grün angehauchte Schreiberinnen und Schreiber die vermeintliche Autoenthaltsamkeit von Kunstschaffenden immer wieder herbeischreiben, wissen nur Frosch, Hase und Fuchs. Apropos Fuchs: Der stolz im Rolls-Royce durch Wien kutschierende Maler Ernst Fuchs ist allen, die dem Jugendalter schon ein paar Dekaden entwachsen sind, wohl noch in bester Erinnerung. Und vor allem: Keiner war dem Meister den Rolls je neidisch.

Auch einem anderen legendären Künstler missgönnte niemand sein mobiles Prachtstück: Wenn Herbert von Karajan mit seinem feuerroten Ferrari am Vormittag von Mauerbach Richtung Wiener Innenstadt düste, verfinsterte sich der Himmel ob der Vogelschwärme, die, aufgeschreckt durch den geifernden 12-Zylinder, aufstiegen wie NASA-Raketen.

Karajan genoss vor dem Festspielhaus in Salzburg sogar das Privileg einer eigenen Abstellfläche für seinen Ferrari, außer ihm gelang das nur dem beliebten österreichischen Bühnenkünstler Josef Meinrad aufgrund seines monströsen britischen Nobelwagens. Doch so freundlich, bescheiden und zurückhaltend, wie Meinrad im Leben auftrat, passte sein Rolls-Royce eigentlich gar nicht zu ihm. Dass, wie er argumentierte, er diesen lediglich aus Gründen der Wirtschaftlichkeit besaß, nahm ihm kaum jemand ab. Wenngleich seine Kostenrechnung durchaus plausibel erschien. Alle drei Jahre ein neues Auto zu kaufen, könne er sich nicht leisten – zu teuer. Den Rolls hingegen bewege er ohne größere Reparaturen dreißig Jahre lang. Unterm Strich, meinte er, sei ein Roll-Royce das wirtschaftlichste Auto der Welt. Schauspiel-Kollegen vermuteten angesichts solcher Kühnheit: Josef Meinrad ist ja doch ein Auto-Narr! Und die scharfzüngige Burgschauspielerin Adrienne Gessner ätzte, boshaft, wie sie war. „Seit der Pepi den Rolls-Royce fährt, ist er noch bescheidener geworden.“

Sparsam war auch Peter Alexander – und ebenfalls ein Auto-Freak. Seine Lieblingsmarke: Mercedes. Peter Alexander war einer der erfolgreichsten und populärsten Entertainer seiner Zeit, er füllte die größten Hallen in Deutschland und Österreich, seine Shows im Fernsehen waren Straßenfeger. Aber Alexander war kein Workaholic, ganz im Gegenteil, am liebsten saß er in seinem Haus in Wien-Döbling bei Schweinsbraten und Kaiserschmarrn, dazu ein Glaserl Rotwein… Gattin Hilde, sie war auch seine Managerin, machte freilich aus der Not eine Tugend: Nur wenige Auftritte, dafür horrende Gagen. Die Kosten-Nutzen-Rechnung für Peter stimmte.

Als die Veranstalter einer Alexander-Tour nach zwei ausverkauften Vorstellungen in Berlin dem Wiener Unterhaltungsstar eine dritte Aufführung anboten, unterschrieb Hilde kurzerhand den Vertrag. Sie wagte es aber nicht, das ihrem Peter zu sagen. Der freute sich schon auf den Rückflug nach Wien, auf Schweinsbraten, Kaiserschmarrn und das Glaserl Wein… Als am nächsten Tag die Alexander-Crew im Wagen durch die Berliner Innenstadt chauffiert wurde, erblickte Peter in einem Schaufenster am Kurfürstendamm das neue, damals gerade vorgestellte Mercedes 220 SE Coupé. „Das wär‘ doch was für mich, leider teuer“, seufzte er. Hilde sah ihre Chance gekommen: „Du Peter, wenn wir noch eine dritte Show machen, kannst dir das Auto locker leisten.“ Da strahlte der sparsame Peter. Er willigte ein, eine dritte Show zu machen – die freilich von der schlauen Hilde längst fixiert war. Und ein paar Monate später kaufte sich Peter Alexander tatsächlich das neue Mercedes Coupé.

Es gab unter den Künstlerstars natürlich auch welche, denen Automobile nichts bedeuteten. Oskar Werner, dem Jahrhundertschauspieler, waren noch so faszinierende Blechträume total egal: „Ich spiel den Hamlet doch nicht, um mir einen Mercedes zu kaufen“. Er, ein Besessener seines Genres, lehnte aber auch dutzende Filmangebote aus Hollywood ab, nur, weil ihm die Drehbücher missfielen, und verzichtete solcherart auf Millionengagen. Um das entgangene Geld, meinte er, hätte er sich die Insel Capri kaufen können. „Aber was mach ich mit einer Insel?“ Als Werner 1968 für den englischen Film „Zwischenspiel“ einen Stardirigenten verkörperte, der ein Rolls-Royce Corniche Cabrio fuhr, sagte er zu einer Reporterin, die ihn, den großen Schauspieler, über seine persönliche Beziehung zu Luxusautos fragte: „In dem Moment, wo ich einen Rolls-Royce fahren würde, in dem Moment hätte ich das Gefühl, ich hab mein Talent verloren.“

Auch Claus Peymann, der berühmte Regisseur und Theatermann, hat keinerlei Beziehung zu Autos. Verständlich: Er besitzt keinen Führerschein; anders als seine Schauspieler, die er 1986 als Burgtheaterdirektor, übrigens gegen heftigen Widerstand des alteingesessenen Burgtheater-Ensembles, nach Wien holte. Burgdebütant Urs Hefti, gebürtiger Schweizer und PS-Fan, warf sich, kaum in Wien angekommen, mit seinem Auto mutig in den dichten City-Verkehr. Auf der Ringstraße stoppe ihn ein Polizist: „Ihren Führerschein bittä!“ Hefti, mit unverkennbarem Schweizer Akzent: „Wieso? Warum halten Sie mich an?“ Der Polizist nuschelte in seinem ausgeprägten Meidlinger Dialekt: „Sie ham a Sperrlinie überfahren!“ Hefti war tief getroffen: „Furchtbar! Ich soll einen Sperling überfahren haben?“ Auch Burgstars waren des Wienerischen oft nicht mächtig.

Schauspiel-Tausendsassa und Motor-Freak Tobias Moretti (Bild oben), jetzt gerade als „Jedermann“ bei den Salzburger Festspielen engagiert, liebt und sammelt italienische Oldtimer: Alfa Romeo Spider Veloce aus 1960, Alfa Romeo Duetto 1966, Alfa Romeo GTV 1972. Und dann noch die viertürige Giulia, eine Liebeserklärung an seine Frau Julia. Mit seinem ebenfalls schauspielenden Bruder Gregor Bloéb bestritt Moretti 2013 auf Motorrädern die mörderische Dakar-Rallye, und sie erreichten sogar das Ziel – für die beiden Amateur-Piloten fast so wertvoll wie der Iffland-Ring.

Als sich Moretti einen Porsche 911 leistete, war er entzückt: „Der ultimative Sportwagen, traumhaft schön, phantastisch zu fahren, das Maß von technisch Machbarem, von Geschwindigkeit und Renngefühl.“ Doch als er nach einer Vorstellung im Theater in München seinen 911er auf dem Parkplatz zwischen den vielen 911ern der aufgetakelten Münchener Schickeria nicht gleich fand, war für ihn „plötzlich der Wunsch da, nicht mit einem Porsche, sondern mit einem Fiat Panda vom Theater nach Hause zu fahren“.

Als Tobias Moretti seinen Spider Veloce zu restaurieren beabsichtigte, empfahlen ihm Freunde eine Werkstätte in Allerheiligen im Mühlkreis und insbesondere deren Chef, den Herrn Ambros (nicht den Wolferl), einen Mechaniker mit goldenen Händen. Und man erzählt sich seither folgende Geschichte: Moretti tuckerte mit seinem kränklichen Klassiker nach Allerheiligen, betrat die ihm empfohlene Werkstätte, sah mehrere Männer an Autos schrauben und rief: „Wer ist der Ambros?“„I“, donnerte eine Stimme. „Und wer bist du?“„I bin der Tobias Moretti.“„Kenn i net.“ – „Der Moretti bin i – der aus dem Fernsehen!“ – „I schau net fern, i bin dauernd in der Werkstatt.“ Mittlerweile kennen und schätzen die beiden einander, und der Alfa Veloce erstrahlte nach der Restaurierung durch Herrn Ambros in alter Schönheit.

Sensible Künstlerseelen wählen Autos oft nicht nach sachlichen Kriterien aus – Bauchgefühl und Stimmungen übertünchen die Ratio, Schönheit statt Zuverlässigkeit. Für Klaus Maria Brandauer war das brabbelnde Motorgeräusch seines in den 70er-Jahren erworbenen Käfer Cabrios „der Kammerton meiner Kindheit und Jugend“, wie er sagte, ein Auto nachtschwarz wie der Altausseer See in Brandauers Heimat. Hie und da aber gewinnt auch bei den Empfindsamen der Kopf gegen die Seele: Weite Strecken legt Klaus Maria Brandauer natürlich nicht mit dem Käfer, sondern mit einem bequemen Audi A6 zurück.

Günther Effenberger/Wendelin Narrowetz

www.buch-effenberger.at

Foto: Markus Kucera/Ennstal-Classic