Gebrauchtwagen: Der Kuba-Effekt

26. Oktober 2020
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Alles Klartext

Auch wer Fernreisen scheut, kennt vermutlich die größte Attraktion Kubas – neben Rum und Zigarren natürlich: die ameri­kanischen Straßenkreuzer aus den Fünf­zigerjahren. Von ihren Besitzern mehr oder weniger liebevoll instand gehalten und nach wie vor im Alltag unterwegs. Mit ihnen haben die Menschen erfolgreich die ungeliebte Alternative umschifft: das sozialistische Einheitsauto, den Lada.

Was das mit Österreich zu tun hat? Der heimische Fahrzeugmarkt vermeldet derzeit eine an­­sehnliche Zunahme an Gebrauchtwagen-Käufen. Neben dem Anlass, in Corona-Zeiten die eigene Mobilität möglichst günstig zu sichern, gibt es einen zweiten Trend: Es werden vermehrt Autos für einen ganz anderen Bedarf gekauft – nämlich einen zuver­läs­sigen Wagen mit Verbrennungs­motor in petto zu haben, sollte es demnächst tat­säch­lich nur noch Stromer geben. Diese Vor­sor­­ge-Käufe betreffen keine Oldtimer, sondern einfach Modelle aus den letzten zwanzig Jahren, die offenbar in guter Erinnerung geblieben sind. Und dazu relativ elektro­nikfrei, die nervige Digital-Überfrachtung bzw. Assistenzsystem-Bevormundung von heute finden ohnehin vorwiegend die Hersteller toll, weniger die damit zwangs­beglückten Kunden.

Es werden also nicht zwingend außer­ge­wöhnliche, aber eben solide Autos angeschafft, um sich damit gegen die ungeliebte elektrische Zukunft zu wappnen. Auch die Werk­stätten freut das: Der Auftrag lautet oft, die Anschaffungen ­komplett durchzure­parie­ren und sie in Topzustand zu versetzen – schließlich müssen sie künftig zu­­verlässig und dann für lange Zeit möglichst klaglos laufen. Bevorzugt werden dabei Marken und Modelle mit zuverläs­siger Teileversorgung zu vernünftigen Preisen. Aber auch potentere ­Varianten werden verstärkt gesucht – mit der Umstellung der motorbezogenen Ver­sicherungs­steuer zah­len attraktiv motorisierte Neuwagen seit Oktober empfindlich drauf. Die ­älte­ren kosten hingegen so viel wie ­vorher und machen dazu meist sogar noch mehr Spaß.

Unser Kauf-Tipp für diesen Trend: Modelle, die es in dieser Art nicht mehr gibt, weil sie leider weg­rationalisiert wurden. Etwa dreitürige Kleine und Kompakte. Es muss nicht zwingend ein VW Lupo GTI oder ein Audi S3 sein – auch normale Moto­risierungen sind durchaus lo­benswert. Oder ein BMW 3er E36 und E46 (siehe Bild oben) mit Saug­motor, Handschaltung und Heckantrieb – gibt es heute neu nirgendwo mehr. Wie wär’s mit einem Audi aus der Fünfzylinder-Ära oder, mit gleicher Häferl-Zahl, ein Lancia Kappa respektive Thesis? Auch Volvos waren vor nicht allzu langer Zeit noch fünfstimmig unterwegs, sogar mit Allrad. Die letzten beiden Saab-Baureihen sind sowieso ein heißer Individua­listen-Tipp. Oder der Renault Avantime, ein bisschen Van und Coupé zugleich, damit gleich doppelter Trendbrecher. Der gute alte Range Rover V8 ohne pein­liches Hybrid-Feigenblatt – schon allein des Ge­­sichts wegen, das der ID.3 fahrende Nachbar ma­­chen wird. Oder ein Honda mit klassischem VTEC-Murl, praktisch un­­zerstörbar. Warum nicht ein Subaru mit hand­fes­tem Boxer? Oder lieber doch ein Alfa 159 bzw. GT Coupé? Die Empfeh­lungs-
Liste ließe sich lange fortsetzen – weitere Inputs werden gerne entgegen­genommen.

Ob Österreich tatsächlich ein zweites Kuba wird oder wie nahe wir ohnehin schon dran sind, beobachten wir aufmerksam weiter. Und freuen uns wie die Karibik-Bewohner künftig auf bunte Fotomotive mit Autos, die wir mögen, anstatt mit verordneten Fahr­zeugen.

6 Kommentare

  1. ad “die nervige Digital-Überfrachtung bzw. Assistenzsystem-Bevormundung ” – das kann ich nur unterschreiben. Macht die Autos nur massiv teurer und braucht kein Mensch (der Autofahren richtig gelernt hat)!
    Aber einen Avantime als Tipp? Fällt doch absolut nicht unter zuverlässig, schon gar nicht elektronik-seitig…
    Mit allem anderen bin ich einverstanden. Man könnte noch ergänzen: klassische Coupes (sterben ja auch aus), aber normale Limousinen oder Kombis sind auch schon fast ein Statement gegen den SUV-Boom!
    lg Rolex

  2. Die Verknüpfung Lancia Kappa und Thesis mit einer gesicherten Ersatzteileversorgung erscheint mir etwas kühn. Im übrigen werden wir nicht ein zweites Kuba werden. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass es für Youngtimer aufgrund ihres Abgasverhaltens Fahreinschränkungen geben wird.

  3. Ja, ein E46 wäre schön…für mich nach wie vor der schönste 3er ever…allerdings selbstverständlich mit Automatic…und Heckantrieb hat er auch keinen…schade, dass der schon vor 16 Jahren eingestellt wurde. Das ist mir dann doch zuviel. Natürlich, für meine derzeitige Kilometerleistung würde er wohl allemal reichen, allerdings wo einen wirklich tadellos in Schuss befindlichen bekommen ohne einen Apothekerpreis dafür zu bezahlen…
    MfG J

    • Hallo Hans, wieso soll der keinen Heckantrieb haben? Alle 3er haben Heck- oder Allradantrieb.

      • Heckantrieb hat ein Porsche 911 (Motor und angetriebene Räder hinten).
        Der E46 hat Hinterradantrieb (Motor vorne, angetriebene Räder hinten).
        MfG J

        • Diesen – wesentlichen – Unterschied habe ich wohl beim Lesen vermanscht. Sorry! MfG

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