Glavitzas Gschichtln – Das Horror-Jahr 1970

2. Dezember 2020
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Feature

Rückblickend betrachtet war 1970 ein schlimmes Jahr für die jungen Wilden. Das zügellose Leben der Rockgene­ra­tion forderte gnadenlos seine Opfer. Jochen Rindt war zwar kein Rockgitarrist, aber sein Auftreten als Rennfahrer, sein Jet-Set-Leben in Paris und London waren dem State-of-the-Art der rockenden Sechziger angepasst.

In der Replik erscheinen diese Jahre wie eine einzige Party. Der Haarschnitt eher ein vom Tornado zerwühlter Wuschelkopf, ­Glockenhosen aus rosa Cord, breite Ledergürtel mit megagroßen Schnallen, körpereng geschnittene Hemden mit überlangen Krägen – und statt eines braven Portemonnaies hatte man Geldscheine in einer goldenen Klammer.

Jochen Rindt gehörte als Formel 1-Rennfahrer ebenso zur Popkultur wie Edelgitarrist Jimi Hendrix und die schrille Rockerin Janis Joplin. Wie Rindts Spezi Jackie Stewart hatte er konservative Friseure streng gemieden, und die Begleiterinnen der beiden, Nina und Helen, traten in der internationalen Modewelt als Trendsetter auf. Man parlierte mit dem Fürsten Rainier von Monaco oder dem Kultregisseur Roman Polanski. Bei den ­Popikonen Janis Joplin und Jimi Hendrix ging es weniger nobel zu: Joplin ­forderte „I need a man …“, Hendrix zer­trümmerte ­Gitarren im Akkord. Das Publikum tobte nach „more, more, more“.

Die ersten Warnschüsse hatten in der ­zweiten Hälfte der 60er-Jahre begonnen. Der bis dahin unverwundbar scheinende Schotte Jim Clark zerschellte im Wald von Hockenheim. Rindt überlebte in Barcelona eine Beinahe-Katastrophe – sein Bolide war ­nahe am Sprung ins Publikum. ­Stewart und Rindt forderten ein Flügelverbot für die Rennwagen, die inzwischen zu Flugzeugen mutiert waren, die nicht abheben durften – oder besser: sollten. Lotus-Chef Colin ­Chapman wies Rindts Kritik brüsk zurück: Er möge die Klappe halten und sich aufs Fahren konzentrieren.

Ab diesem Zeitpunkt herrschte zwischen den beiden klirrender Frost. Auf die Frage ­eines Reporters, ob Rindt in seinen Lotus-Rennwagen noch Vertrauen hätte, antwor­tete er knapp: „Ich hatte nie eines.“ Und als beim Großen Preis von Frankreich an der Lenksäule geschweißt wurde, fauchte er zu Chapman und den Mechanikern: „Wenn da was bricht und ich überlebe, bring’ ich euch alle um!“ Nach seinem Sieg im GP von Deutschland schien die Welt rosarot – er selbst aber ahnte Böses: „Langsam wird mir die Siegesserie unheimlich.“

Die dunklen Wolken zogen schon beim ­folgenden Rennen auf dem Österreichring auf: Am Lotus seines Teamkollegen John ­Miles brach die Bremswelle – der junge Engländer fing den wild ausschlagenden Rennwagen ab und ging käsebleich zu den Boxen. Nach dem Rennen sahen sich Colin Chapman und sein Chefkonstrukteur Maurice Philipps den Schaden an, nickten und ­luden den Wagen in aller Stille in den Transporter. Jochen hatte sich darum nicht gekümmert, er war vorzeitig wegen Motorschadens ausgeschieden und abgerauscht.

Ab Sommer 1970 war dann Schluss mit lus­tig: Piers Courage verbrannte im Grand Prix von Zandvoort. Die Rockgranate Janis Joplin starb an ­einer Überdosis in einem Hotel in Hollywood, Jimi Hendrix taumelte im Vollrausch von der Bühne und erstickte an Erbrochenem, und am Lotus von Jochen Rindt brach die Bremswelle wie zwei Wochen zuvor bei John Miles. Sein Wagen scherte links in die Leitplanken, durch den Aufprall wurde er nach vor geschleudert, und der Bauchgurt seines Safety Harness (nur Vierpunkt) drückte eine Rippe in die Aorta. Er war nach wenigen Sekunden tot.

Foto: Joost Evers / Anefo (nationaalarchief.nl)